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Die Verwundeten in den Lazaretten

Wir haben gesehen, in welcher Weise und mit welchem Erfolg die Verwundeten in Fröschweiler bis jetzt versorgt worden sind. In den ersten Tagen nach der Schlacht war unsere Lage so trostlos, daß wir nur mit ihnen leiden konnten. Sobald aber die helfende Liebe von allen Seiten zu uns herüberdrang, wurde auch den Kranken die möglichste Handreichung zuteil. Und ist auch in der ersten Bedrängnis manchem tapfern Krieger das Herz vor Durst und Erschöpfung gebrochen, so sind später doch auch viele durch die uns zugeflossenen Samaritergaben gerettet worden. Fragen wir nun, welche Hilfe die Verwundeten auf dem übrigen Gebiet des Schlachtfeldes gefunden haben.

Es ist schon bekannt, in welchem Zahlenverhältnis die Verwundeten am 6. und 7. August in die umliegenden Ortschaften untergebracht worden sind. Nirgends ist die Anhäufung verstümmelter Menschen so groß als in Wörth und Fröschweiler; und doch gibt's auch in Morsbronn, Gunstett, Diefenbach, Spachbach, Görsdorf, Langensulzbach usw. usw. des Jammers genug zu stillen. Die Geschichte darf es aber auch freimütig bekennen: überall tut unsere wackere Bevölkerung, die Pfarrer, Bürgermeister, Lehrer und Lehrerinnen an der Spitze, mit warmer Liebe und unverdrossener Hingabe ihre Schuldigkeit. Einzelne traurige Ausnahmen fallen dem öffentlichen Mitleid anheim.

Überall werden denn auch, wie in Fröschweiler, sobald die Möglichkeit vorhanden ist, die weniger lebensgefährlich Verwundeten abgeholt und im ganzen Vaterlande in Privatpflege oder in Lazarette aufgenommen. Was die barmherzige Nächstenliebe in so vielen elsässischen Familien, in den allenthalben eingerichteten Lazaretten in Weißenburg, Sulz, Niederbronn, Hagenau, Bischweiler, Pfaffenhofen, Buchsweiler, Ingweiler, Straßburg usw. usw. an diesen Unglücklichen geleistet hat, das weiß Gott; unsere Aufgabe ist es nicht, hier näher darauf einzugehen.

Die deutschen transportfähigen Kranken werden meistens durch die Pfalz und über den Rhein geführt und bei ihren Verwandten oder in heimatlichen Pflegestätten untergebracht. Was dort zur Rettung der leidenden Schlachtopfer geschehen, das weiß Gott auch, und es mögen andere gebührend davon erzählen. Wir beschränken uns auf den engeren Rahmen des Schlachtfeldes und unserer persönlichen Erlebnisse.

Die schwer Getroffenen müssen hierbleiben. In jedem Dorfe sind die Schulgebäude, Gemeindehäuser – in Wörth auch die verlassene Gendarmerie und die ansehnlichsten Privatwohnungen in Lazarette verwandelt. – Man kann sich diese Lazarette, in den ersten Tagen nach der Katastrophe, vorstellen: von Blutgeruch und Jammergestöhn erfüllte Elendhöhlen! Doch bald sind bessere Einrichtungen getroffen. Eine Menge aus rohen Brettern verfertigter Bettstellen werden aneinander gereiht; die Kranken bekommen ein menschenwürdiges Lager. Die deutschen Ärzte sind seit Samstag abend überall auf dem Plan; wie Dr. Sadoul während der Schlacht und bis heut auf dem Posten gestanden, bedarf keines Lobes. Daß man aber den Straßburger Ärzten keinen Raum zu menschenfreundlicher Mithilfe gestattet, ist sehr zu bedauern. Sie haben es gut gemeint und sind, fürwahr, edle Männer und erprobte Fachleute. Aber so geht es eben, auch der Sieg besänftigt nicht alle Herzen … Die deutschen Ärzte beherrschen also die Lage auf der ganzen Linie; sie schalten und walten in unbeschränkter und unermüdlicher Tätigkeit und der Wahrheit die Ehre! Sie sehen keine Uniformen, sondern nur hilfsbedürftige Mitmenschen.

Gottlob, das Rettungswerk schreitet vorwärts. Die Operationen gehen rasch vonstatten; – überall dieselbe blutige Arbeit, dieselben Schmerzensbilder. Bald sind die ersten Mühsale überwunden, die gedrängten Reihen gelichtet. Aber unsere Lazarette sind immer noch angefüllt.

Doch dürfen wir sagen: die Pflege der Verwundeten geht ihren geordneten Gang. Die nötigen Verband- und Heilmittel sind reichlich vorhanden; für Speis und Trank wird in bester Weise gesorgt; die Gemeinden, namentlich Wörth, bringen große Opfer für Stroh, Eis, Apothekerwaren usw.; die Société internationale (Straßburg) wetteifert in hochherziger Liebe; Deutschland sendet seine besten Gaben, die Schweizer kommen mit vollen Händen …

Ein zahlreiches Wärterpersonal steht den Ärzten zur Seite. Da sind unsere Diakonissinnen (Wörth, Reichshofen); ihre Treue und Selbstverleugnung ist bekannt. Da sind die grauen schlesischen Schwestern: brave, unermüdliche Seelen. Da sind auch die Brüder vom Bonifaziusverein, tüchtige, zuverlässige Gehilfen. Einer dieser Brüder macht Operationen, Gipsverbände trotz dem besten Chirurgen. Zwei Feldprediger, ein katholischer und ein evangelischer, überwachen das ganze Gebiet und üben die Seelsorge. – Wahrlich, wir können für die armen Kranken nur froh und dankbar sein, sie ruhen in guten Händen!

Die Zahl der Verwundeten ist in steter Abnahme begriffen; die gemeinsamen Gräber auf den Friedhöfen wölben sich immer länger; die Genesenden werden nach allen Richtungen fortgeschafft. Die Tage kommen und gehen; die Kriegsereignisse nehmen einen immer verhängnisvolleren Lauf; die Schlachten bei Metz werden geschlagen; Napoleon bei Sedan gefangen, Straßburg belagert. – Die Walstatt bei Wörth tritt mehr in den Hintergrund. Die meisten deutschen Ärzte, die Feldgeistlichen, die Brüder und Schwestern ziehen ihres Weges. – Dr. Sadoul behält die Leitung mehrerer Lazarette; Rektor Hinz die katholische, der Erzähler die evangelische Seelsorge (der damalige Pfarrer in Wörth war schon leidend und starb dann auch im November) – die Krankenpflege wird nach und nach in Wörth zentralisiert. Es sind immer noch viele solcher Bejammernswerter in unserer Mitte; die ärmsten, mühseligsten von allen! Durch die Brust, den Leib, den Oberschenkel geschossen; an Armen oder Beinen zu Krüppeln verstümmelt. Was die schon gelitten haben und noch leiden werden, bis der Todesbote endlich einkehrt und ihrem qualvollen Martyrium ein Ende macht! Ach, wenn man so in die Lazarette hineinkommt und sieht diese hagern abgemergelten Gestalten, diese hochgeschwollenen gräßlichen Wundenmale, und schaut hinein in die bleichen Angesichter, in die großen starren Augen: »Wie geht's dir?« – »Es geht mir schwer!« – »Und dir?« – »Ach, ich hab' große Schmerzen!« – »Und dir?« – »Wenn ich's nur einmal überstanden hätte!« – »Und dir?« – »Ach, wenn ich nur in der Heimat wäre!« – Du guter Gott! wenn man so zusehen muß, wie diese Jünglinge in hoffnungslosem Siechtum langsam verschmachten, buchstäblich verjauchen …, da lernt man so recht lebendig mitfühlen und mitleiden des Krieges Weh und Jammer. – Es ist aber auch wahr: was die teilnehmendste Liebe vermag, was die aufopferungsfreudigste Barmherzigkeit erfinden kann, das wird aufgeboten, um diesen Unglücklichen ihre langen, schweren Leidenstage zu versüßen. Sie haben reichlich, was sie nur wünschen können; gute Betten; Hemden, Strümpfe, Pantoffel, Flanellsachen, Braten, Wildbret, Kaffee, stärkende Weine, Süßigkeiten, Tabak – ja, es werden vielleicht manche verwöhnt, um nicht mehr zu sagen, durch allzu begeisterte Liebesbeweise. Über einzelne Fälle schweigt die Geschichte. Und wo kommen die Spenden alle her? Aus Wörth selbst, aus allen Ortschaften des Elsasses, aus Straßburg, aus allen Teilen des geschlagenen Vaterlandes …

Nebenher wirkt die deutsche Opferwilligkeit. Aus allen Gauen des Reiches strömen die Liebesgaben nach dem Schauplatz des Kampfes. Die Sanitätsdepots in Walburg, Hagenau usw. sorgen mit freigebigster Handreichung für alle Bedürfnisse. So werden die Verwundeten in unsern Lazaretten behandelt. Es vergehen Wochen, Monate – langsam schreiten die einen zur Genesung, die andern zum Tode; die meisten zum Tode. Allmählich kommt das Weihnachtsfest mit seinem fürchterlichen Winter. Die deutschen Waffen haben schon längst eine Wagenburg um die Hauptstadt geschlagen; noch immer bleiben einzelne Verwundete in Wörth, in Reichshofen. Endlich, tief im Jahr 1871 hat sich der letzte Zuave verabschiedet; er ruht in der großen Totenschanze bei seinen Kameraden.


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