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Es gab auch in unsern Landgemeinden einzelne starke Geister, die nicht zu bewegen waren, einen Jazettel in die Urne zu werfen. Wenn sie beieinander saßen, schüttelte der und jener den Kopf und meinte, im Land drinnen müsse was vorgehen und besonders in Paris könne es nicht mehr recht geheuer sein. Der welsche Schmied, der Gescheiteste im Dorf, wenn er so Abends mit seinen Gevattern vor Reisejockels Tür saß und das Pfeifchen lustig dampfte, und die Schelmenaugen so unheimlich blinzelten … der welsche Schmied sagte: »Ihr Männer! mit dem Kaiser geht's den Krebsgang, sonst brauchten wir nicht abzustimmen, ob er bleiben soll oder nicht. Was gilt's, da steckt etwas dahinter. Und der Staubejörri drüben in Nähweiler, der wildborstige Republikaner, wenn er wieder so einen demokratischen Kraftspruch im Mülhäuser Blättchen entdeckt hatte, der Staubejörri schlug mit seiner massiven Steinhauerfaust auf den Tisch, daß die Fenster klirrten: »Ihr Kapitalsesel! Stimmt nur ja; ihr werdet sehen, wir bekommen's. Krieg gibt's, sagt nur, ich hab's euch gesagt, und wenn die Großen sich rupfen, verlieren wir Bauern die Haare.« So stand's; aber das waren nur Ausnahmen in der großen, überwiegenden Ja-Menge. Sie wurden leicht durch die weltlichen und geistlichen Ordnungsträger unschädlich gemacht, und der 8. Mai 1870, der Tag des Plebiszits, war ein glänzender Sieg und eine feste Bürgschaft für die Zukunft. Niemand in unserm Hanauerlande dachte an den jähen Ausbruch eines so verhängnisvollen Krieges.
Es verflossen einige Wochen; alles ging im alten Geleise. Eine furchtbare Hitze brannte auf unserer Hochebene; die spärliche Heuernte war eingeheimst worden und die Weizenernte stand diesmal viel früher als gewöhnlich vor der Tür. Der Juli war gekommen. Plötzlich drangen in unser stilles Landleben dunkle Gerüchte von politischen Verwicklungen, von Krieg … Man sah einander fragend an: »Krieg? Für was? Mit wem?« – Diejenigen Leute, welche Söhne bei der Armee hatten, erkundigten sich, was die Zeitung melde; wie es stehe; ob etwas zu fürchten sei. Wir beruhigten, so gut es gehen mochte, die besorgten Gemüter, und wieder vergingen einige Tage. – Der Kriegslärm wurde aber allgemeiner, bedrohlicher; man fühlte einen schweren Druck, wie in der Luft, so im Herzen; man spürte, daß ein geheimnisvolles Schachspiel zwischen großen Mächten stattfände. Und das alles ging so schnell, so riesig schnell! – »Jetzt«, sagte am 12. Juli so recht trübselig ein reicher Bauer, »jetzt haben wir falsch gemaust; der Staubejörri hat doch recht gehabt – es gibt Krieg, o weh! es wird nicht gut gehen.« Und siehe, das Gewitter stieg am Himmel immer höher, immer dunkler, bis am 19. Juli ein Blitz mit krachendem Donner die Brandfackel in Preußens Hauptstadt warf.
Der erste Eindruck der Kriegserklärung auf unsere Leute war betäubend, niederschmetternd. Frankreich in Fehde mit Preußen! Das gibt ein schweres Ringen, ein blutiges Trauerspiel, einen Kampf auf Tod und Leben. – Was aber jetzt anfangen? Es galt, den ersten Schrecken ruhig abzuwehren, das geängstete Volk zusammenzuhalten und hinzuweisen auf den alles regierenden, lebendigen Gott. Man erholte sich auch wieder, der Brand war ja nicht mehr zu löschen; aber sofort hatte sich unser elsässisches Volk in zwei grundverschiedene Parteien geteilt, welche während des ganzen Krieges einander feindselig gegenüberstanden und auch jetzt noch (wer mag Schuld daran sein?) zu keiner brüderlichen Aussöhnung gelangen können.
Bei den einen offenbarte sich eine unbändige Freude, getragen von zuversichtlicher Siegesgewißheit und bitterem Feindeshaß gegen die Preußen – bei den andern ein tiefer Ernst, gepaart mit schweren Befürchtungen für das Vaterland und aufrichtigem Mitleid für stammes- und glaubensverwandte Gegner. Beide waren fest entschlossen, ihre Pflicht mit Darangabe ihres Gutes und Lebens zu tun, die einen in wildem Fanatismus, die andern im Hinblick auf den Lenker der Geschichte.