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Die Hungers- und Wassersnot

Der Totenwagen.

Diese Mordgeschichte hat mich schier aufgerieben. Sie gehört zum Entsetzlichsten, was ich erlebt habe; ich glaube auch, ich wollte lieber sterben, als solch einen Tigerkampf noch einmal mitansehen. Todesmüde komme ich endlich wieder heim. Es ist ein Uhr. Auf der Straße dasselbe Gedränge, in Hof und Haus dieselbe Verödung. Ich habe sehr Hunger … und meine Leute da droben … Wunderbar! die sind ganz vergnügt. Sie erzählen mir, ein deutscher Offizier sei gekommen und habe gefragt, ob sie Not litten und als sie ihm gesagt, sie hätten heute noch nichts gegessen als ein wenig Milch, da habe der fremde Herr Brot und Speck auf den Tisch gelegt und habe mit ihnen geteilt und gegessen, sie seien satt geworden, und es sei noch übrig für mich, wenn ich heimkäme. Ach du guter Gott, hab Dank für diese Wohltat und begleite mit deiner Gnade den barmherzigen Samariter hinaus ins wilde feindliche Leben! – Wenn nur alle unsere Leute im Dorf so ein Mittagsmahl hätten! Denn gewiß, sie haben alle Hunger und Durst, und nirgends mehr ist etwas vorhanden. Wie wird's ihnen ergehen? 's ist schon gar lang seit gestern Morgen – und alle diese Schrecken und Erschütterungen … Wenn sie doch den Mut hätten und gingen hinaus und rafften sich Kartoffeln zusammen – aber kein Mensch traut sich aus der Höhle, niemand darf das Schlachtfeld betreten – die eiserne Rute des Krieges will's – sie sollen hungern … Oder wenn nur aus den Nachbardörfern die Freunde, die Verwandten herüberkämen und brächten Speis und Trank für die Unglücklichen? Ach, was sag ich? Sie sind schon frühe gekommen, aus Jägertal, aus Langensulzbach usw., sie bringen Milch, Suppe, Brot, was sie gerade haben, aber sie dürfen nicht herein. Dort stehen sie mit ihren Liebesgaben vor dem undurchdringlichen Feindesgürtel; ihr Herz blutet wie das unsrige – sie dürfen nicht hindurch; wir sollen warten – das hat, wie es scheint, dieser Tag zur unerbittlichen Parole. Nun, in Gottes Namen! Wir leiden und schweigen; es geschieht doch nicht mehr und dauert doch nicht länger, als der Allmächtige über uns verhängt hat. Und ich glaube, die Soldaten werden auch heute, wo die Not am größten, aus Mitleid ihren Mundvorrat mit den Einwohnern teilen; sie haben ja zu essen, und daß mancher ein fühlend Herz auch in Feindesland bewahrt hat, durften wir gestern schon erfahren. Die armen Leute sollen nur bitten, herzhaft bitten, kein braver Kriegsmann läßt den Besiegten erbarmungslos verderben. Er denkt zurück an die Heimat, an Eltern und Geschwister, er denkt vorwärts an die kommenden Gefahren – es wird ihm jämmerlich zumute und er teilt seinen Bissen mit den Elenden, gewiß, gewiß … Darum unverzagt, ist's auch ein schwerer Tag, Gott ist mit auf dem Plan – es darf doch niemand zugrunde gehn … Der Mensch kann viel ertragen, sehr viel, und wenn auch einmal die Gebeine vor Hunger klappern, – ist auch gut. Da lernt man wieder den Wert der edlen Gottesgaben erkennen und bitten ums tägliche Brot und danken dem Herrn, denn Er ist freundlich und seine Güte währet ewiglich … Viel peinlicher aber als die Hungersnot ist der Wassermangel in dieser drückenden Hitze. Ach wie brennt einem das Herz, wie lechzt die Zunge nach einem labenden Trunke – und nirgends ist Wasser zu finden. Schon lange vor der Schlacht haben unsere Truppen alle Brunnen ausgeschöpft, nur ein einziger sprudelt noch aus mächtiger Quelle. Wer dahin könnte und schöpfen und trinken mit langen Zügen! Ha! welche unaussprechliche Erquickung! … Aber es ist nicht möglich; das ganze Dorf ist von Soldaten überschwemmt; der Brunnen ist von durstigen Massen buchstäblich belagert, ein furchtbares Getümmel, sie schreien und streiten, Preußen, Bayern, Schwaben – sie drängen und stoßen einander und schöpfen und trinken und laufen von dannen – und wiederum sind andere da und wollen auch herzu, drängen sich heran und erhaschen die Beute. O ja, das sind heiße Stunden! da wird man aufgeschreckt zu heilsamer Nüchternheit; da vergeht einem die Lust nach Wein und köstlichem Labsal. Nur Wasser, nur Wasser; Gott erbarm dich! nur Wasser! – Wir nehmen vorlieb, wir sind überglücklich mit Wasser … Kein Wasser!

O Wörth, wie beneidenswert ist dein Schicksal; du liegst an den Ufern der Sauer … Dort rauschen die Wasserfluten so frisch und helle … und hier oben diese brennende Dürre. Wer doch hinab könnte und Wasser holen dürfte für sich und die dürstenden Brüder! Aber es darf nicht geschehen; überall heißt's: Niemand passiert, und ob wir auch anhalten und flehen: Zurück! es darf niemand zum Dorf hinaus. »So laßt doch den Wagen herein, den ein Freund aus Reichshofen, mit Fässern beladen, heraufgebracht hat, bis ans Kreuz, oben vorm Dorfe.« Er darf nicht herein! – Das ist die Schärfe des Schwertes, das ist Disziplin und Gehorsam im offenen Felde. Nun so sei's denn in Gottes Namen, wir wollen dulden und stille sein. Eine Stunde vergeht um die andere. Es wird schon Hilfe kommen, ja sie kommt gewiß. Und wenn auch einmal vor Durst die Eingeweide brennen, da liegen Tausende von Verwundeten in viel schwerer Trübsalshitze. – Nur ruhig – solche Zeiten sind auch heilsam. Da lernt man wieder Gottes Gaben schätzen und dankbar genießen. Jetzt wissen wir, was ein Stücklein Brot, was ein Trunk Wasser für einen Wert hat. Wir werden's nicht vergessen, unser Leben lang.

Aber was kommt da für ein Wagen das Dorf herab? Langsam bewegt sich der Zug durch die Heeressäulen – von Zeit zu Zeit hält er stille und ein düsterer Gegenstand wird hinaufgeschoben. Ist's ein Schreckbild der Phantasie, oder ist's Wirklichkeit? Kommt herzu und sehet das grausige Schauspiel! Es ist ein Totenwagen, der die Leichname an der Straße, in den Häusern sammelt, daß sie wegkommen aus den Augen, aus dem Lande der Lebendigen … Wer hat's befohlen? Wir wissen es nicht. Aber schaut doch dahin. Kann man sich etwas schauerlicheres denken? Da liegen schon, weiß nicht wie viele, in den Brettern, starr und bleich – und wiederum hält der Wagen und andere Leichen werden hinaufgeworfen; die ausgestreckten Glieder sträuben sich hoch empor, und die entseelten Menschenleiber rutschen durcheinander. Fahre weiter, du gräßlicher Erntewagen des Krieges! Fahre fort und bette die blutigen Garben in die Erde! Sie sind gefallen im Streite … Die Erlösten aber des Herrn werden wiederkommen mit Jauchzen.


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