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Lassen wir uns unterdessen durch solche trübselige Zustände nicht entmutigen; sie sind die unausbleiblichen Folgen des Krieges in jedem eroberten Lande – und wenden wir unsere Blicke auf ein stilles Friedenswerk, welches unter mühevoller Arbeit langsam zu schöner Vollendung gedeiht.
Unser kirchliches Leben geht zwar seit dem 13. August 1870 seinen geregelten und gesegneten Gang. Wie schmerzlich aber eine Gemeinde von 700 Seelen den Mangel eines Gotteshauses empfindet, das weiß nur der, welcher solche Notstände selbst erfahren hat. Wird auch der leiblichen Trübsal durch mildtätige Handreichung der Brüder täglich Abhilfe geschafft, so bleibt doch unsere geistliche Vereinsamung ein schwerer Kummerstein, der je länger, je drückender auf Hirt und Herde lastet. Wie aber diesen Kummerstein los werden? Wo Hilfe suchen? Der Krieg wütet mit ununterbrochener Heftigkeit fort und steigert sich allmählich zum Vernichtungskampf: wer wird den Sieg davontragen? Das weiß Gott … wie aber auch die Würfel schließlich fallen: von staatlicher Unterstützung ist jedenfalls vorderhand nichts zu hoffen; die Gemeinde liegt zerbrochen am Boden und unsere Pfarrei hat keinen Heller Vermögen … In solch einer trostlosen Lage ist guter Rat teuer und jeder nur halbwegs wohlwollende Mensch kann sich vorstellen, wie sehnlich allenthalben der Wunsch sich regte: »Ach, wenn wir doch wieder ein Kirchlein hätten!«
Nur getrost, das Kirchlein wird kommen … Es handelt sich ja nicht um eine politische Angelegenheit, sondern um Gottes Reichssache, und es gibt in allen Landen und Herzen, die für das Evangelium schlagen, Hände, die sich für heimgesuchte Brüder auftun. Den ersten Baustein (ein 20-Frankenstück) zum Wiederaufbau der eingeäscherten Kirche spendet ein durchreisender Schweizer; der zweite, ein preußischer Taler, kommt durch die Feldpost aus der Umgegend von Nancy von einem Unteroffizier und seinen Mannschaften. »Wir haben, sagen sie, die alte Kirche zerstören helfen und senden ein Scherflein zum Aufbau der neuen.« – Diese zwei Liebesgaben bilden den ersten Grundstock zu unserm künftigen Baukapital; sie bestärken uns in der Zuversicht: es wird uns geholfen werden, aber der einzig mögliche Weg ist die Sammlung freiwilliger Beiträge unter unsern Glaubensgenossen.
Einige Tage später, am 14. August, sitze ich einmal so recht traurig und sorgenvoll auf den Ruinen der Kirche, Goßners Neues Testament in der Hand, und neben mir steht, den zerschossenen Arm in der Schlinge, der alte Eiserhenner – Gott hab ihn selig! … Da tritt ein junger, unbekannter Mann auf mich zu, reicht mir freundlich die Hand und fängt an mich zu trösten: »Ich solle doch nicht verzagen, das evangelische Deutschland werde gewiß das zerstörte Gotteshaus wieder aufrichten und er wolle auch nach Kräften mithelfen usw.« Ich höre zu und weiß nicht, was ich antworten soll. Der fremde Wandersmann zieht seine Straße weiter … »Wer ist's? – Wird er auch Wort halten?«
Es ist Pastor S. Nielsen aus Potsdam, und wie er sein gegebenes Versprechen einlöst, darüber bringen schon die nächsten Tage tatsächliche Beweise. – Sein Wirkungskreis ist Norddeutschland; seine erste Mitarbeit ein Hilferuf »von Brüdern zu Brüdern«, worin die materielle Not, besonders aber die kirchliche Bedrängnis der Gemeinde Fröschweiler zu opferwilliger Handreichung auffordern. Dieser Hilferuf wird von befreundeten Redaktionen verbreitet; wohin er gelangt, erwacht die regste Teilnahme; die Gaben fließen in größern und kleinern Summen, sowohl zur Unterstützung der Bedürftigen, als zum Wiederaufbau der Kirche.
Mit Aufrufen allein aber ist die Sache nicht getan. Es gilt, namentlich in großen Städten, das Interesse zu wecken, einflußreiche Persönlichkeiten zur Mitwirkung zu gewinnen. Unser norddeutscher Freund ist unermüdlich. In seiner ungeheuren Korrespondenzlast übernimmt er auch die Mühe weiter und beschwerlicher Reisen. Er geht nach Leipzig, Bremen, Hamburg, Lübeck, Hannover, an den Rhein usw. und gründet überall unter schwierigen Verhältnissen, im Kreise hochgestellter Persönlichkeiten, Sammelkomitees, welche unsere Angelegenheit in die Hand nehmen, befürworten, die Beiträge zentralisieren und direkt nach Fröschweiler senden. Unser Kummerstein wird leichter; der erste Baufonds ist bereits auf Tausende angewachsen.
Gleichzeitig und ohne in die Tätigkeit unseres norddeutschen Vertreters störend einzugreifen, ergeht durch den Erzähler im Namen des Presbyteriums ein Hilferuf an die Superintendenten, Dekane, Pfarrer, Gustav-Adolf-Vereine. Unsere »dringende Bitte« findet ebenfalls große Verbreitung und freundliche Aufnahme. Aus allen Ländern und Provinzen rinnen die Liebesbächlein freudig herüber. Der Zentralverein der Gustav-Adolf-Stiftung tritt freigebig in die Schranken, die Haupt- und Zweigvereine bewilligen bedeutende Beiträge; eine große Anzahl von Gemeinden legt auf Anregung der Geistlichen ihre Opfer zusammen. Die Kirchenkollekte in Bayern erzielt allein gegen 20 000 Franken; das Stuttgarter Sonntagsblatt nimmt einige »Kriegs- und Friedensbilder« auf und sendet wiederholt beträchtliche Sammlungen. Viele einzelne Geber aus allen Ständen schicken ihre Gaben direkt nach Fröschweiler. Bald ist's die Goldmünze des Reichen, bald das Scherflein der Witwe, bald der Kreuzer des Handwerkers, bald der Sparpfennig des Kindes. Was soll ich viel sagen? Wir werden getröstet über Bitten und Verstehen! Was aber mehr noch als alle diese großen und kleinen Gaben unsere Herzen erfreut, das sind die Zeugnisse herzlicher Bruderliebe, welche fast immer dieselben begleiten. Ja, da erfährt man es so recht lebendig: es gibt noch eine Gemeinschaft der Gläubigen und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder! Jetzt sind wir der schwersten Sorgen enthoben. Unser Kapital ist auf die Summe von 70 000 Franken gestiegen und genügt zum Aufbau der einfachen Dorfkirche, welche wir in unsern Verhältnissen brauchen. Aber unsere bescheidenen Hoffnungen sollen nicht in Erfüllung gehen. Viele Wohltäter, deren Söhne, Brüder, Anverwandte auf unsern Gefilden begraben liegen, haben ihre Liebesgaben mit dem bestimmten Wunsche dargebracht, es möchte zur Erinnerung an die teuern Gefallenen eine würdige Gedächtniskirche erbaut werden. Eine große Anzahl von Gönnern, deren Begeisterung für das neu erstandene Deutsche Reich und die wiedergewonnenen Bruderstämme in hohen Wogen geht, äußern in nachdrücklicher Weise denselben Gedanken; es müsse auf dem Schlachtfelde bei Wörth ein schönes, monumentales Gotteshaus erstehen! Wiederum andere, welche mehr den Standpunkt des Reiches Gottes vertreten: es zieme sich nach solchen wunderbaren Erfolgen, Freund und Feind gegenüber, ein edles Friedensdenkmal zu errichten. So steht jetzt die Sache; so kommt die Kirchenbauangelegenheit in neuer Gestalt von außen an uns heran. Wir können nicht mehr mit den anvertrauten Gaben nach eigenem Gutdünken schalten. – Andrerseits begrüßen wir (warum es nicht ehrlich gestehen?) die Aussicht auf eine schöne Kirche mit inniger Freude.
Wie aber dieses Vorhaben zur Ausführung bringen? Wo die noch fehlenden Geldmittel hernehmen? Darüber noch folgende Mitteilungen.
Der Friede ist endlich geschlossen. Elsaß und Lothringen bleiben deutsche Provinzen. Die Regierung will aber die geschlagenen Wunden nach Kräften heilen; alle Zerstörungsschäden, alle Kriegsopfer in Stadt und Land sollen vollständig vergütet werden. Auch für unsere niedergebrannte Kirche wird der Gemeinde ein Schadenersatz von 68 600 Franken bewilligt. Die Möglichkeit, den Gedanken einer gotischen Kirche zu verwirklichen, rückt näher. – Aber noch mangeln bedeutende Summen. Da tritt die Regierung uns helfend zur Seite und gibt aus der Landeskasse einen Zuschuß von 10 000 Franken. Endlich fördert Seine Majestät der Kaiser die Entscheidung und gewährt huldvollst ein Gnadengeschenk von 30 000 Franken.
Nun hat alles Sorgen und Zögern ein Ende. Auf der Fröschweiler Höhe, mitten im Zentrum des Schlachtfeldes, wird aus vereinten Kräften des deutschen Volkes eine monumentale Gedächtniskirche erbaut. Die nötigen Mittel zum Rohbau sind vorhanden und werden einstweilen nutzbringend angelegt. – Geht's auch diesmal wieder nach dem alten Sprichwort: Gut Ding will Weile haben, so geht's doch vorwärts – dem schönen Ziele entgegen.