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Das 48. Linienregiment kampierte, wie gesagt, auf dem schönen freien Wiesenabhang hinter dem Gottesacker. – Der Kapitän, ein kleines feuerrotes Männchen, der vorgestern erst die Epauletten aufgesetzt bekommen hatte; der Leutnant, ein schlanker, flotter Bursche, ehemaliger St. Cyrien, und der Unterleutnant, so ganz im vollen Sinne des Wortes ein guter braver Junge, gebürtig aus Bitsch – waren seit einigen Tagen unsere Gäste. – Wir hatten die Leutchen lieb gewonnen, so gut es gehen mochte, gastfreundlich bewirtet, und so wollten sie uns denn auch, wie überhaupt die Franzosen keine Gefälligkeit unerwidert lassen, alle möglichen Gegendienste und Artigkeiten erweisen. Am Sonntag abend wurde unserm Hause ein Ständchen gebracht, wobei die Marseillaise natürlich nicht fehlen durfte, und dem Hausvater die Einladung übergeben, den andern Tag das Abendessen avec ces Messieurs im Lager zu teilen. Warum nicht? Da gibt's gewiß viel Interessantes zu sehen und zu hören, und das passiert einem einsamen Dorfpfäfflein sobald nicht wieder. Also angenommen. In der Voraussicht aber, daß dort unten am Bitzematter Buckel nichts gewachsen und auch nichts zu kaufen, respektive zu erfechten sei, wurden am Montag auf anonymem Wege allerlei Zugemüse-Kleinigkeiten an den Küchenmeister befördert, und gegen einhalb sechs Uhr traf der Erzähler unter freundlichem Willkomm beim Rendezvous ein. Welch ein herrlicher Sommerabend, und welch ein unvergleichlich reizendes Panorama vor unsern Blicken! Dort hinten, nordöstlich am Horizonte, die pfälzischen Berge mit ihren hochaufragenden Spitzen, die wie unheimliche Fragezeichen nach unserm Hanauer Ländchen herüberschielen … dann unsere Vogesen, die treuen Grenzwächter, mit ihren waldbedeckten Höhen, Gebirgspfaden, Schluchten: Scherrhohl, Pfaffenschlick usw., dann, immer näher heran, der Liebfrauenberg, der ehrwürdige Trotzkopf, im dunkeln Gewande, das alte Kloster auf dem Rücken, das malerisch gelegene Görsdorf zu den Füßen, … dann das Sauertal mit seinen langen grünen Wiesenteppichen, seinen Mühlen, Hopfenanlagen, Erlengruppen – Wörth, das anmutige Städtchen in der Mitte. – Dann unsere baumbekrönten Anhöhen, unsere Rebhügel, Obstgärten und über dem ganzen Bilde die goldenen Strahlen der Abendsonne … O Heimat, so schön, so schön! Und hier oben auf dem Höhenrücken dicht neben dem Friedhof, wo unsere Toten schlummern, das regste, fröhlichste Leben. Da stehen die niedlichen Zelte, reihenweise, gassenweise, eine wahre Nomadenstadt auf blühendem Gefilde; und diese bunte, hin und her wimmelnde tausendköpfige Bevölkerung … Die einen holen Wasser, die andern tragen Holz; wieder andere machen ihr Lager zurecht; noch andere schreiben Briefe, wichsen ihre Schuhe, putzen ihre Gewehre, packen ihre sieben Sachen zusammen; noch andere sitzen oder liegen rauchend, schäkernd, zankend vor dem kochenden Suppentopf. Dort drüben spielen sie Karten … horch wie sie schnattern, lachen, fluchen – was gilt's, sie trumpfen einander mit Faustschlägen nieder? – 's hat nichts zu bedeuten. – Weiter unten blinde Kuh … alle möglichen Sätze, Posituren, Grimassen … o sorglose, glückselige Kinder – wenn nur der Bismarck nicht wäre!
Plötzlich im ganzen Lager ein greulicher Spektakel. Alles rennt in wilder Unordnung durcheinander … »Ho! ho! haltet ihn fest! Haltet ihn fest!« – Der Kapitän stürzt unter die brüllende Menge … »Was ist denn?« – Was ist's? Da läuft einer herum mit rattenkahl rasiertem Kopf, ganz abscheulich weiß, ein wahres Ungeheuer, und hat einen schwarzen chinesischen Zopf mitten auf dem Schädel. Den Aufzug beschreiben! unmöglich … »Ho! Ho! haltet ihn fest! Bringt ihn her!« – Ja festhalten … Der Kerl läuft wie besessen hin und her mit seinem chinesischen Zopf, keiner kann sein habhaft werden, bis sie ihn endlich umringen und mit Gewalt heranschleppen. Der Kapitän: »Animal! was hast du gemacht?« – »Ich hab' mich scheren lassen.« – »Ach, du hast dich scheren lassen! Was hast du denn auf dem Kopf?« – »Ich habe nichts auf dem Kopf.« – » Comment? und der Haarbüschel da?« – Der greift auf den Schädel, zieht den Zopf in die Höhe – ein Riesengelächter erhebt sich von allen Seiten … »Ich wußte es nicht … der hat mir das überm Scheren zum Spaß getan« … Der Kapitän: »Geh' fort … daß du mir morgen nicht so vors Angesicht kommst« – und der drollige Possenreißer verschwindet unter seinen lachenden Kameraden.
Aber Unterleutnant B. will jetzt die Honneurs machen. Da hat er eine große Kiste hergeschleppt, die dient als Tisch, andere Kisten bedeuten die Stühle; Teller, Löffel, Messer, Gabeln hat er unterm Kriegsgeräte oder auch bei den Nachbarn aufgegabelt; Salz, Pfeffer, Senf, Wein, Kognak hat er zweifelsohne erfochten … Jetzt bringt er die Suppe – richtig, die gelben Rüben, Erbsen, Bohnen sind drin – schmeckt gut in dieser dürren, hungrigen Zeit – dann bringt er Beefsteaks, halb blutig, gesalzen, gepfeffert, daß einem der Schweiß ausgeht. Tut nichts – Krieg ist Krieg! Dann wäscht er die Teller mit einer Brotkruste und stellt sie wieder auf; 's kommt noch etwas. Unablässig rührt er die Pfanne; die Sauce wird schließlich ganz schwarz – noch ein wenig Senf, Wein, Pfeffer dazu – jetzt … wir müssen dran: kleine zerschnittene Nieren (wo er die erbeutet?), ein Hauptregal, wie er gutmütig überzeugt ist; läßt sich auch mit einiger Energie schon bewältigen – dann eine Tasse Kaffee, worüber noch ein halbes Stündlein in gemütlichem Gespräch vorüberfließt. Es wird allmählich stille im Lager; schwarze Schatten gleiten vom Liebfrauenberg herab ins Tal; der Abendstern leuchtet so ruhig in der blauen Ferne. – Auf Wiedersehen, ihr wackern freundlichen Leute! …
Sie sind die letzten auf dem linken Flügel – Gott weiß, wo sie kämpfen, siegen oder verbluten werden; – wir haben sie nie wiedergesehen.