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XXI

Im Garten der »Morgendämmerung« schwand der Schnee von Tag zu Tag. Zuerst zog er sich vom Hause fort und machte einem ganzen kleinen Wald von Schneeglöckchen und Krokus Platz; die Hyazinthen auf dem Rasen brachen die Erde beiseite, sie stiegen daraus hervor wie eine Reihe Knöchel, die erst hübsch anklopften.

Die Kinder waren jeden Augenblick da, um die Fortschritte zu verfolgen, sie begriffen die feinen Krokus nicht, die gerade aus der gefrorenen Erde hervorschossen, ohne totzufrieren, aber starben, wenn die Wärme kam. Jeden Tag packten sie Schneeglöckchen in Papier und legten sie auf Bruns Tisch – das waren Neckbriefe Diese bei Kindern im Vorfrühling üblichen Briefe tragen keine Unterschrift; der Empfänger muß erraten, wer sie geschrieben hat.. Dann gingen sie in ungeheurer Spannung umher, und wenn er vom Felde hereinkam, begegneten sie ihm mit einer geheimnisvollen Miene und waren sehr erpicht, ihn nach oben hinaufzulocken.

Draußen auf dem Felde waren sie fast fertig mit den Ausgrabungen und warteten nur darauf, daß das Winterwasser sinken sollte, so daß man Kies und Steine fahren und mit den Maurerarbeiten beginnen konnte. Noch konnten die Felder nicht tragen.

Es war nicht mehr so viel Eifer in dem alten Brun jetzt, nach seinem Krankenlager; obgleich ihm eigentlich nichts recht fehlte, hatte das Bett ihn doch angegriffen. Er ließ Pelle mit dem Betrieb schalten und walten, wie er selbst wollte, und sagte ja und Amen zu allem, was er vorschlug. »Ich kann das Ganze nicht in meinem Kopf zusammenhalten,« pflegte er zu sagen, wenn Pelle kam und ihm irgendeine Erweiterung vorschlug – »mach' du es aber, wie du meinst, mein Sohn, dann wird es sicher richtig!« Es geschah nicht genug Handgreifliches da unten, um seinen Sinn warm zu halten – und er war doch zu alt, um es wachsen zu hören und Kraft daraus zu schöpfen. Aber dann ging sein Glaube nur von der Sache selbst auf Pelle über – ihn sah er lebend vor sich und konnte sich auf seine jungen Kräfte stützen.

Die Arbeit mit den Plänen hatte er beiseitegelegt. Es überstieg seine Kräfte, und er begnügte sich damit, ein paarmal täglich seine Runde auf dem Felde zu machen und sich nach den Arbeiten umzusehen. Die heftig aufflammende Energie, die Pelles Jugend bei ihm ins Leben gerufen, hatte sich verflüchtigt – zurück blieb ein rührender Greis, der sein ganzes Leben lang Kälte empfunden hatte und sich nun in einigen späten Abendstrahlen sonnte. Er maß sich nicht mehr mit Pelle und wurde nicht mehr eifersüchtig auf einen Vorsprung – sondern bewunderte ihn ganz einfach und fügte sich eng dem Kreise ein, dessen Vorsehung Pelle war. Ellen behandelte ihn wie ein großes Kind, das vieler Fürsorge bedurfte, und die Kinder faßten ihn selbstredend als ihresgleichen auf.

Wenn er seinen Spaziergang über das Feld machte, hatte er in der Regel Svend Trost an der Hand; die beiden konnten sowohl Schritt miteinander halten, wie sich auch unterhalten. Da war etwas, was sie stark beschäftigte und ihre Gemüter in Spannung hielt; täglich wurde der Storch auf dem Hügelhof erwartet, und dann sollte er ein Kindlein für Mutter Ellen mitbringen. Es war keineswegs ein bloßes Vergnügen, darauf zu warten. Der Storch biß immer die Frau des Hauses ins Bein, wenn er mit einem Kind zu ihr kam; Svend Trosts eigene Mutter hatte er gebissen, so daß sie davon starb – ja, jetzt war er so klug. Der kleine Bursche war Ellens Junge und ging in einer ernsthaften, fast gedrückten Stimmung umher. Er sprach mit den anderen Geschwistern nicht über seine Sorge, um nicht ausgelacht zu werden, aber wenn der Alte und er zusammen auf das Feld gingen, beredeten sie die Sache, und Brun, als der Ältere und Vernünftigere, gelangte zu dem Ergebnis, daß keine Gefahr vorlag. Trotzdem hielten sie sich immer in der Nähe des Hauses, um zur Hand zu sein.

Eines Tages blieb Pelle von der Arbeit heim, und Ellen stand nicht auf wie sonst. »Ich liege hier und warte auf den Storch,« sagte sie zu Svend Trost – »geh du hinaus und paß ihm auf.« Und dann ging der Kleine mit einer Gerte rund um das Haus herum. Brun trabte mit ihm herum, und wenn sie Ellen schreien hörten, preßten sie einander die Hand. Es war ein so verworrener Tag, daß es unmöglich war, irgend etwas im Gange zu halten; bald rollte ein Wagen mit einer dicken Frau vor die Tür, bald sprang Lasse Frederik auf sein Rad und jagte den Feldweg hinab – auf den Pedalen stehend. Ehe Svend Trost es sich versah, war der Storch dagewesen, und Ellen lag mit einem kleinen Jungen im Arm im Bett. Er und Brun waren zusammen da drinnen, um Mutter Ellen zu gratulieren, und sie waren beide gleich erstaunt. Der Alte bat um Erlaubnis, die Wange des Kleinen nur eben berühren zu dürfen.

»Er ist noch so häßlich«, sagte Ellen mit einem verschämten Lächeln und hob den Zipfel, der den Kopf des Kindes bedeckte, ein klein wenig in die Höhe. Und dann sollte sie Ruhe haben, und Brun nahm Svend Trost mit nach oben.

Pelle saß auf dem Rande des Bettes und hielt Ellens Hand, die in einigen wenigen Stunden weiß und dünn geworden war. »Jetzt müssen wir zu Königin Therese schicken«, sagte sie.

»Sollen wir nicht auch zu deiner Mutter schicken?« fragte Pelle, der oft den Vorschlag gemacht hatte, daß sie die Sache übers Knie brechen und die Alten aufsuchen wollten. Es war ihm zuwider, sich mit altem Groll herumzutragen.

Ellen schüttelte den Kopf. »Sie müssen von selbst kommen«, sagte sie bestimmt. Wie man sich gegen sie selbst benahm, war ihr einerlei, aber sie hatten die Nase über Pelle gerümpft; da war es nicht mehr als billig, als daß sie kamen und das wieder gutmachten.

»Aber ich habe hingeschickt,« sagte Pelle – »das war es, weswegen Lasse Frederik fortradelte. Du sollst nicht ohne Mutterhilfe im Kindbett liegen.«

Schon nach ein paar Stunden war Frau Stolpe da. Sie war sehr bewegt; um das zu verbergen, fing sie an, das ganze Haus nach reinen Lappen und Binden zu durchsuchen und auf den Kopf zu stellen, während sie herumging und vor sich hinschalt. Das war auch die rechte Zeit zu einem zu schicken, wenn das Ganze bereits überstanden war.

Vater Stolpe war härter; er gehöre nicht zu denen, die gleich angesprungen kamen, sobald man nur pfiff! Aber ein paar Abende, nachdem der Kleine zur Welt gekommen war, lief ihn Pelle beinahe um, – er schlich in einiger Entfernung um das Haus herum. Nun ja, er ging da und wartete auf Mutter, um sie nach Hause zu begleiten – das ging doch wohl niemand was an? Er tat sehr abweisend, war aber verhältnismäßig leicht zu bewegen, näherzutreten; und es währte nicht lange, bis es Ellen gelungen war, ihn aufzutauen. Sie hatte ihre eigene Art und Weise wie immer.

»Ich will dir nur sagen, Vater, daß nicht ich zu dir geschickt habe, sondern Pelle. Und wenn du ihm nicht die Hand gibst und sagst, daß du ihm unrecht getan hast, so werden wir nie wieder gute Freunde!«

»Sie ist, weiß Gott, dasselbe hartgesottene Frauenzimmer, das den Stier bei den Hörnern packt, das sie immer gewesen ist«, sagte Stolpe, ohne sie anzusehen. »Na, man kann wohl ebensogut hineinspringen wie kriechen – und eingestehen, daß man sich schweinemäßig betragen hat. Wollen wir einen Strich durch die Sache machen, Schwiegersohn?« Er reichte Pelle die Hand.

Als erst die Versöhnung überstanden war, wurde Stolpe ganz aufgelegt. »Ich hatt' es mir wirklich nicht träumen lassen, daß ich das Mädel fürs erste zu sehen kriegen würd' – und am allerwenigsten im Kindbett!« sagte er vergnügt und strich Ellen mit seiner rauhen Hand über das Gesicht.

»Sie ist ja immer sein Augapfel gewesen, und Vater hat die Geschichte oft leid genug getan. Aber er macht sich ja hart«, sagte Frau Stolpe.

»Unsinn, Mutter!« brummte Stolpe – »Frauenzimmer müssen immer schwatzen!«

Die Zeit hatte sie beide mitgenommen. Es war viel Arbeitslosigkeit im Fach gewesen, und Stolpe war jetzt bei Jahren, es wurde ihm schwer, es mit den Jungen auf dem Gerüst aufzunehmen. Man sah es den Kleidern an, daß sie nicht mehr in guten Verhältnissen waren wie in alten Zeiten. Aber Stolpe war noch immer Vorsitzender des Fachvereins und ein angesehener Mann innerhalb der Bewegung.

»Und nun, mein Junge«, sagte er plötzlich und legte die Hände auf Pelles Schultern – »mußt du mich ein bißchen vertraut damit machen, was du diesmal vorhast. Ich höre, du fängst an, die Gemüter wieder aufzuwiegeln.«

Pelle machte ihn mit seinem großen Plane von den Genossenschaftsbetrieben bekannt, der Alte kannte übrigens allerlei davon – es zeigte sich, daß er aus der Entfernung Pelles Tun und Treiben verfolgt hatte.

»Es ist am Ende gar nicht so übel das da,« sagte er, »vielleicht könnten wir ganz in aller Stille das Kapital aus der Welt herausbekommen, wenn wir allzusammen darauf losgingen. Aber die Bewegung mußt du auf deiner Seite haben, und dann muß ausgemacht werden, daß jeder, der seine Partei nicht stützt, Streikbrecher ist.«

»Ich habe Anschluß bekommen – aber es geht ein wenig langsam«, sagte Pelle.

»Dann müssen wir ein bißchen hinterher sein. – Pelle, was ich sagen wollte, dieser Sonderling – Brun heißt er ja wohl – wohnt der nicht bei euch?«

»Er ist kein Sonderling,« sagte Pelle, »wir können ja hinaufgehen und ihn aufsuchen.«

Brun und Stolpe kamen gleich in ein Gespräch miteinander; sie waren gleich alt und hatten, jeder auf seiner Seite, die ersten Tage der Bewegung miterlebt. Frau Stolpe kam mehrmals und mahnte ihren Mann – sie müßten nach Hause.

»Na, es ist nie gut, sich mit seiner eigenen Frau zu überwerfen,« sagte Stolpe endlich – »aber ich komme wieder. Ich höre, Sie bauen hier draußen, da möchte ich doch gern mal sehen, wie unsere eigenen Häuser aussehen werden.«

»Wir haben noch nicht angefangen«, entgegnete Pelle. »Aber komm' Sonntag heraus, dann zeigen Brun und ich dir das Ganze.«

»Ihr gebt die Arbeit wohl an die Meister?« fragte Stolpe.

»Nein, wir hatten gedacht, die Arbeitslosen hier zu beschäftigen, falls sie es übernehmen wollen und einen Mann haben, den man an die Spitze setzen könnte«, sagte Brun. – »Aber das können Sie vielleicht übernehmen?«

»Sie können überzeugt sein, daß ich das kann«, erwiderte Stolpe mit Selbstgefühl. »Sollte ich nicht der geeignete Mann sein, Häuser für die Arbeiter zu bauen? – Ich war schon Mitglied der Partei als sie erst einen Mann zählte!«

»Ja, Stolpe ist der Veteran der Bewegung«, sagte Pelle.

»Tod und Teufel, es wäre doch wirklich ein putziger Zufall, wenn ich die Arbeit bekäme!« sagte Stolpe, als Pelle die beiden Alten an die Straßenbahn begleitete. »Ich will einen Stamm Arbeiter auf die Beine stellen, wie kein Mensch was Ähnliches gesehen hat – und was für Häuser wir aufführen wollen! Keine Spur von Pappmasché soll dabei sein!


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