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III

Das Haus, in dem Pelles wohnten – das Palais nannten es die Bewohner der Straße war ein altes, verfallenes dreistöckiges Gebäude mit Mansarden. In der Mitte der Fassade liefen die Überreste einiger kannelierter Pilaster durch die beiden oberen Stockwerke hinauf und rahmten die schmalen Fenster vornehm ein. Der Name des Hauses war nicht ganz aus der Luft gegriffen, die alte Eisenkrämerin im Hintergebäude konnte sich noch entsinnen, daß es in ihrer Kindheit das Landhaus eines Generals gewesen war und ganz frei gelegen hatte. Damals ging der Strand bis da hinauf, wo jetzt die Istadstraße läuft, und die Stachelbeerbüsche wuchsen bis ganz an den Rathausplatz. Zwischen vielen Hintergebäuden eingeklemmt, standen da noch zwei uralte krebskranke Apfelbäume aus jener Zeit.

Die Stadt hatte seither die Obstgärten eine halbe Meile weiter zurückgeschoben, die fröhliche Sommergegend des Westens legte sich im Laufe der Zeit Seitengassen zu, enge Armeleutestraßen, die um die zerstreut liegenden Landhäuser aufschossen und dem Licht den Zutritt verwehrten. Arme Leute, Artisten und Dirnen, vertrieben die Herrschaften und wandelten den üppigen Sommerbezirk in einen bunten Stadtteil um, wo die bestiefelte Armut und die sohlenlose Intelligenz sich ein Stelldichein gaben.

Das Palais war die letzte Erinnerung an eine entschwundene Zeit. Noch sah man die Reste der ehemaligen Feinheit an den verräucherten Stucküberbleibseln der Decke und an den tiefen Fenstern; aber die großen Zimmer waren in Kleineleutewohnungen von ein oder zwei Stuben zerstückelt, und die Hälfte des breiten Aufganges war durch Bretter zu Feuerungsgelassen abgeteilt.

Aus Pelles kleiner Zweizimmerwohnung führten eine Tür und ein paar Stufen in einen großen Raum hinab, der das obere Stockwerk des ganzen Seitengebäudes ausfüllte und sehr wohl den Ruinen eines ehemaligen Festsaals gleichen konnte. Die schwere, rauchgeschwärzte Decke ragte ganz bis unter das Dach empor – sie war einstmals dekoriert gewesen. Jetzt waren die meisten Felder herabgefallen, und die Balken drohten hinterdrein zu kommen.

Der mächtige Raum war im Laufe der Zeiten als Brauerei und als Lager benutzt worden, aber noch immer trug er ein Gepräge vergangener Herrlichkeit. Die Kinder des Hauses fanden auf alle Fälle, daß es hier großartig war, sie bröckelten die letzten Paneelreste zu Brennholz ab und konnten stundenlang da sitzen und einander zurufen von den hohen Absätzen über den Mauerpfeilern herab, wo einstmals Büsten von berühmten Männern gestanden hatten.

Von Zeit zu Zeit mietete sich hier eine russische oder polnische Emigrantenschar ein und nahm den Saal für einige Nächte in Besitz. Sie lagen und schliefen durcheinander auf dem bloßen Fußboden, ein jeder auf seinem Bündel, und am Morgen klopften sie an die Tür von Ellens Stube und baten mit Gebärden, die Waschgelegenheit benützen zu dürfen. Im Anfang war sie bange vor ihnen und versperrte die Tür mit ihrem Kleiderschrank, aber der Gedanke an Pelle im Gefängnis machte sie weich und hilfsbereit. Es waren arme, verkommene Wesen, die Elend und Unglück aus der Heimat fortgetrieben hatten. Sie konnten keine Sprache und wußten nichts von der Welt, aber so wie die Zugvögel schienen sie den Weg zu ahnen. In ihrem blinden Streben ins Weite hinaus fanden sie sich von selbst hierher nach dem Palais, um auszuruhen.

Sonst lag der große Raum unbenutzt. Der Saal, der durch zwei Stockwerke ging, hätte zu verschiedenen kleinen Wohnungen eingerichtet werden können; aber der Besitzer des Ganzen – ein alter Bauer aus Glostrup – war so geizig, daß er es nicht übers Herz brachte, Geld auszugeben, wenn auch die Vorteile noch so einleuchtend waren. Und Ellen hatte nichts dagegen, so wie es jetzt war! Sie trocknete ihre große Feinwäsche hier und brauchte nicht um den Schmutz und den Kohlenstaub besorgt zu sein.

Der Zufall, der sonst, wo es sich um den armen Mann handelt, anstelle der Vorsehung treten muß, hatte sie und die Kinder hier hineingespült, als sie draußen am Kapellenwege gescheitert waren. Ellen hatte nach ausdauernder Arbeit endlich ihre Arbeitsstube in Gang gebracht und hielt sich zwei Schülerinnen zur Hilfe, als ein langwieriger Streik kam und ihr das Ganze über den Haufen warf. Sie wehrte sich so gut sie konnte, aber eines Tages kamen sie doch und trugen ihre Habseligkeiten hinunter in den Rinnstein, das war die alte Geschichte – Pelle hatte sie schon etliche Male gehört. Da standen nun sie und die Kinder und hielten Wache bei den Habseligkeiten, bis es dunkel wurde, strömendes Regenwetter war es, und sie wußten weder aus noch ein. Leute hemmten ihre eiligen Schritte, stellten ein paar Fragen und hasteten weiter; hin und wieder erteilte ihnen jemand den Rat, sich an die Obdachlosenabteilung zu wenden. Aber dazu waren Ellen und Lasse Frederik zu stolz; sie setzten die Kleinen bei der Rollfrau im Keller unter und standen selbst da und hielten Wache bei den Habseligkeiten, in dieser dumpfen Hoffnung, daß doch etwas geschehen würde, die die Erfahrung bei den Armen nie hat unterkriegen können.

Und als sie hinreichend lange da gestanden hatten, geschah auch wirklich etwas. Von der Norderbrückenstraße her kamen zwei Kerle in wilder Fahrt mit einer vierrädrigen Karre dahergejagt, wie sie die armen Leute Kopenhagens benutzen, wenn sie – in der Regel des Nachts – aus einer Wohnung in die andere ziehen. Der eine zog an der Deichsel, während der andere hinten nachschob und – wenn die Karre ordentlich in Fahrt war – sich bäuchlings über das Fuhrwerk warf und mit den Holzschuhen gegen das Pflaster bremste, so daß der Wagen in den Rinnstein lief. Auf dem leeren Wagen saß ein ältliches Frauenzimmer und trällerte, mit den Beinen über den Seiten baumelnd; sie war korpulent und hatte einen mächtigen Hut mit großen, nickenden Blumen auf dem Kopf, einen echten »Herrenwinker«. Es ging mit gewaltigem Hallo von dem einen Rinnstein in den anderen, und jedesmal kreischte die Dame.

»Da haben wir ja einen Umzugwagen!« sagte Lasse Frederik, und im selben Augenblick bremste der Wagen gerade vor ihnen und lief in den Rinnstein.

»Na nu! Was is denn los, Thorvald?« sagte der eine von den Kerlen und glotzte Ellen gerade ins Gesicht. »Hast du dir das Auge gestoßen, was?«

Das Frauenzimmer war vom Wagen heruntergehüpft. »Zum Kuckuck mit dir, du Rindvieh!« sagte sie und puffte ihn beiseite, »du kannst doch wohl sehen, daß die da 'rausgesetzt sind! Hat dein Mann dich 'rausgeschmissen?« fragte sie und beugte sich teilnehmend über Ellen.

»Nein, denn der Wirt hat uns 'rausgesetzt«, sagte Lasse Frederik.

»Solch Rhinozeros, und nu habt ihr keine Stelle, wo ihr über Nacht bleiben könnt, was? Ach, Krischan, lad du den Trödel da auf 'n Wagen, denn kann das über Nacht bei uns im Torweg stehenbleiben. Die Sachen werden ja ganz schimpfiert vom Regen.«

»Ja, die Stuhlbeine haben schon angefangen Wurzel zu schlagen«, entgegnete Krischan. Die beiden Burschen waren in übermütiger Laune.

»Nu kommt man ganz einfach mit mir,« sagte das Frauenzimmer, als die Sachen aufgeladen waren, »denn will ich euch schon Unterkunft für die Nacht schaffen. Und denn morgen is der liebe Gott selbst zu Haus!«

»Das is 'ne Schneppe!« flüsterte Lasse Frederik Ellen einmal über das andere zu und zerrte sie am Kleide. Aber ihr war das jetzt alles einerlei, wenn sie nur nicht ins Armenhaus kamen. Sie trug die Nase nicht mehr hoch.

Es war Königin Therese in höchsteigener Person, die sie getroffen hatten, und damit war gewissermaßen ihr Glück gemacht. Sie verhalf Ellen zu der kleinen Wohnung und verschaffte ihr die Feinwäsche von den Dirnen dieses Stadtteils. Es war nicht allzuviel daran, die Mädchen hier im Westen trugen den feinen Staat, solange sie nur konnten; aber es warf doch das tägliche Brot ab.


Pelle sah es nicht gern, daß Ellen noch ferner mit all dem Schmutz zu schaffen haben sollte; er wollte allein für das Auskommen sorgen. Ellen hatte außerdem ihr Teil Arbeit getan, sie sah so müde aus und hatte es nötig, ein wenig gepflegt zu werden. Es war gleichsam, als falle sie ab, jetzt, wo er dastand und die Verantwortung wieder übernehmen konnte. Aber daß sie die Wäsche aufgeben sollte, davon wollte sie nichts hören.

»Es ist nie gut, das schmutzige Wasser auszugießen, ehe man reines hat«, sagte sie.

Jeden Morgen machte er sich auf den Weg, mit einem funkelnagelneuen Fachvereinsbuch ausgerüstet, und ging von Werkstatt zu Werkstatt. Es waren keine guten Zeiten für das Fach, viele von seinen alten Arbeitskameraden waren in andere Erwerbszweige hinübergedrängt, er traf sie wieder an als Kondukteure, Laternenanzünder und dergleichen: die Maschinen hätten sie überflüssig gemacht, sagten sie. Es waren die Nachwehen von der großen Aussperrung – die hatte die kleinen selbständigen Meister totgeschlagen, die ehedem mit einem Mann oder auch mit zweien arbeiteten, und der Großindustrie die Segel gebläht. Die vereinzelten, die es hatten aushalten können, hatten sich Maschinen angeschafft und waren Fabrikanten geworden, der Rest war hinausgedrängt und saß ringsumher in entlegenen Kellerwohnungen und ernährte sich durch Flickarbeit.

Am allerwenigsten hatte er sich gedacht, daß er wieder unter den alten Bedingungen auf Arbeit gehen müsse. Und nun ging er hin und bot sich an, war willig, wieder in die Lehre zu gehen, um die Maschinen seines neuen Herrn zu bedienen, und bot sich der ärgsten Ausbeutung feil. Und die Fabrikanten hatten nicht einmal Verwendung für ihn – sie erinnerten sich seiner noch zu gut. »Sie sind zu lange vom Fach fortgewesen«, sagte dieser oder jener zweideutig.

Nun, das war ja nur ein wohlgemeinter Dank für alte Zeiten. Aber er fühlte bitter, wie sich die Vergangenheit selbst wider ihn erhob. Da hatte er gekämpft und alles geopfert, um die Berufsverhältnisse zu verbessern – und die Maschinen waren die niederschlagende Antwort der Entwicklung an ihn und seinesgleichen.

Er war nicht der einzige, der in dieser guten Frühlingszeit umherging und vergeblich suchte, eine Menge anderer Berufe hatten dasselbe Schicksal gehabt wie der seine. Jeder neue Morgen führte ihn in einen ganzen Zug von Menschen hinein, die dazu verdammt schienen, das Pflaster zu treten in hoffnungslosem Suchen nach Arbeit, Leute, die aus der Maschinerie herausgedrängt waren und sich nicht wieder hineinfinden konnten. »Es muß etwas mit ihnen nicht stimmen«, dachte er, während er dastand und beständig derselben Geschichte lauschte, wie sie plötzlich abgehakt waren und das Ganze davondampfen sahen. Es mußte ihre eigene Schuld sein, wenn nicht ein neuer Zug kam und sie ankoppelte, vielleicht waren sie träge oder versoffen. Aber allmählich sah er solide, erprobte Leute in den Reihen stehen und ihre Kräfte Morgen für Morgen ohne Ergebnis ausbieten; und es ahnte ihn frierend, daß die Zeiten im Begriff waren sich zu ändern.

Er hätte sich schon durchschlagen wollen, wenn da nur Arbeit gewesen wäre. – Der Tarif war ordentlich genug. Er hatte nur den verhängnisvollen Fehler, daß er nicht gegessen werden konnte. Alles in allem schien eine Verschiebung zum Nachteil des Handwerkers eingetreten zu sein – und um es noch unheimlicher zu machen, hatten ihm die Großbetriebe den Ausweg versperrt, sich niederzulassen und selbständig zu werden. Da war nicht einmal eine kleine Hintertür mehr offen: Pelle konnte es sich ebenso gut gleich wie später aus dem Kopf schlagen; um jetzt Meister zu werden, hatte man Kapital und Kredit nötig. Das Beste, was die Zukunft jetzt in ihrem Schoße barg, war eine endlose und aussichtslose Wanderung nach der Fabrik und wieder zurück von der Fabrik.

Er war auf einmal wieder hineinversetzt in die alte Frage; der ganze Zustand entrollte sich ganz von selbst vor ihm, es nützte nichts, die Augen zu schließen. Er hatte den besten Willen, sich nur seiner eigenen Angelegenheiten anzunehmen und kümmerte sich um nichts weiter. Aber das eine führte das andere mit sich, und er mochte wollen oder nicht, es sammelte sich zu einem Überblick über den Zustand.

Der Zusammenschluß hatte nach außen hin die Probe bestanden, die Arbeiter waren gut organisiert und hatten ihr Koalitionsrecht behauptet, man konnte ihre Organisationen nicht mehr umgehen. Die Löhne waren auch beträchtlich gestiegen, und der Sinn für das Heim hatte bei den Arbeitern selbst zugenommen, viele von ihnen waren aus ihren Höhlen in neue Zwei- und Dreizimmerwohnungen gezogen und hatten hübsche Möbel bekommen. Ihre Ansprüche an das Dasein waren gestiegen, aber alles war auch teurer geworden, und das Leben war beständig das gleiche, von der Hand in den Mund. Er konnte sehen, daß die soziale Entwicklung nicht mit der mechanischen Schritt gehalten hatte; die Maschinen trieben sich still aber unerbittlich zwischen die Arbeiter und die Arbeit hinein und warfen immer mehr Männer auf die Straße hinaus. Die Arbeitszeit war nicht wesentlich verkürzt, der Staat schien kein besonderes Interesse daran zu haben, die Arbeitenden zu beschützen. Aber er nahm sich der Invaliden der Arbeit jetzt mehr an als früher, in die Armenversorgung war Schwung gekommen. Er konnte nicht ein Gesetz entdecken, das regulierend eingriff, dahingegen eine ganze Reihe von Gesetzen, die den Zuständen ein Pflaster auflegten. Es wurden eine Menge verschiedener Unterstützungen ausgeteilt – immer hart an der Hungergrenze; immer mehr mußten ihre Zuflucht dazu nehmen. Das beraubte sie nicht ihrer bürgerlichen Rechte, machte sie aber zu einer Art politisch ausgehaltenem Proletariat.

So sah die Märchenwelt, an deren Eroberung Pelle teilgenommen hatte, jetzt aus, wo er zurückkehrte und sie mit neuen Augen ansah. Die Welt war nicht neu geschaffen, etwas Starkes, menschlich Tragendes schien die Bewegung nicht abgesetzt zu haben. Es sah so aus, als wenn sich die Arbeiter ruhig aus dem Spiel ausscheiden ließen, wenn sie nur ihr Geld zum Spazierengehen erhielten. Wo war ihr alter Stolz geblieben? Sie hatten sich offenbar die bürgerliche Moral zugelegt, da sie sich gutwillig aufs Altenteil setzen ließen. An Macht fehlte es ihnen nicht, die ganze Welt konnten sie dahin bringen, daß sie hinwelkte und hinstarb, ohne auch nur einen Blutstropfen zu vergießen – nur durch ihren Zusammenschluß. Was ihnen fehlte, war Verantwortung. Die tragende Idee der Bewegung war scheinbar spurlos an ihnen vorübergegangen!

Pelle grübelte darüber hin und her, aber er schliß die Pflastersteine in vergeblichem Suchen. Der Überblick drängte sich ihm von selbst auf, und da waren Kräfte in ihm selber und von außen her, die darauf hinarbeiteten, ihn in die Bewegung hinüberzudrängen und vorwärts in die Führerstellung. Aber er schob das von sich – jetzt wollte er für seine Familie arbeiten.

Er fischte sich etwas Flickarbeit bei den Nachbarn auf und half im übrigen Ellen, Wäsche aufhängen und die Rolle drehen; man mußte die Ehre beiseitesetzen und froh sein, daß sie etwas hatte. Sie freute sich über die Hilfeleistung, konnte es aber nicht leiden, daß jemand es sah, daß er sich mit Frauenarbeit befaßte.

»Das ist nichts für einen Mann«, sagte sie und sah ihn mit Augen an, die besagten, wie glücklich sie über seine Gesellschaft war.

Sie liebten es, zusammen zu sein, genossen es auf eine eigene, stille Weise, ohne viele Worte. Es war viel geschehen, aber Pelle wie auch Ellen ließen sich Zeit. Keins von beiden war schnell mit dem Wort bei der Hand, aber sie tasteten sich durch Pausen zum Verständnis und rückten einander während des Schweigens näher. Jeder wußte, was der andere gelitten hatte, ohne daß es gesagt zu werden brauchte; die Zeit hatte an ihnen beiden gearbeitet.

Über ihrem neuen Zusammenleben wehte kein Sturm, die Tage glitten still dahin, schwer gemacht von den verflossenen Jahren. Ellens Gemüt barg weder Jubel noch Vorwürfe. Sie war ihm gegenüber vorsichtig – fast scheu wie das erstemal, als sie einander begegneten; hinter all ihrer Güte und Fürsorge lag derselbe Schimmer jungfräulicher Unnahbarkeit wie damals. Sie nahm seine Liebkosungen still hin, selbst gab sie hauptsächlich, indem sie etwas für ihn war. Er merkte, wie jede kleine häusliche Arbeit, die sie für ihn verrichtete, aus ihr herauswuchs gleich einer mütterlichen Liebkosung und ihn in ihr Herz einschloß. Er war dankbar dafür, aber das war es nicht, dessen er am meisten bedurfte.

Wenn sie in der Dämmerung zusammen saßen und die Kinder im Zimmer umherkrochen und spielten, schwieg sie am liebsten und beobachtete ihn verstohlen; sobald er das bemerkte, verkroch sich das Tiefe in den Augen. Forschte sie wieder nach seinem verborgenen Wesen wie in ihrer ersten Zeit? Es war als rufe sie nach etwas in ihm – wolle sich selbst aber nicht zu erkennen geben. So konnte eine Mutter auch dasitzen und nach der Zukunft ihres Kindes spähend hinausstarren. Liebte sie ihn denn nicht? Sie hatte ihm all das Ihre gegeben, ihm Kinder geboren und getreulich dagesessen und auf ihn gewartet, als die ganze übrige Welt die Hand von ihm gezogen hatte, und doch war er nicht sicher, daß sie ihn jemals geliebt hatte.

Pelle war der Liebe nicht als etwas Unbändigem begegnet – die Bewegung hatte den Überschuß seiner Jugend aufgezehrt. Aber nun stand er hier gleichzeitig mit dem Frühling von neuem geboren und empfand es plötzlich wie Kraft in sich. Jetzt wollten er und Ellen anfangen – denn jetzt war sie alles! Das Leben hatte ihn Ernst gelehrt, und das war nur gut. Er entsetzte sich darüber, wie leichtsinnig er Ellen zu sich genommen und sie erst zur Mutter gemacht hatte, ohne sie zuvor zur Braut zu machen. Das Frauenherz mußte grundlos sein, da sie darüber nicht zerbrochen war, sondern beständig dastand und noch immer ebenso unberührt darauf wartete, daß er sie gewinnen würde. Sie hatte sich darüber hinweggeholfen, indem sie Mutter war!

Und würde er sie denn jemals gewinnen? Wartete sie wirklich noch – oder hatte sie sich beruhigt?

Er liebte sie so heftig, daß alles an ihr verklärt wiederkehrte, glücklich in dem Bewußtsein, daß sie sein Schicksal war. Nur ein Band oder eine gewürfelte, dünngeschliffene baumwollene Schürze – jeder kleine Gegenstand, der zu ihr gehörte, nahm eine wunderlich warme Farbe an – erfüllte den Sinn mit Süße. Ein Blick oder eine kleine Berührung machten ihn schwindlig vor Glück und ließen seinen Sinn in Wogen von heftiger Wärme gegen sie anstürmen. Sie lächelte ruhig und drückte freundlich seine Hand – es zündete nicht. Sie hatte ihn lieb und versagte ihm nichts, aber er hatte trotz alledem ein Gefühl, als wenn sie ihm ihr innerstes Wesen vorenthalte. Wenn er da hineinsehen wollte, verschloß sie sich mit Freundlichkeit.


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