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Zwei Tage später gingen Pelle und der Bibliothekar in die Frederikborger Straße und besahen ein Geschäft, das abgetreten werden sollte. Es war eine kleine Sache mit einem Dutzend Arbeitern, mit elektrischer Werkstatt im Keller und einem Laden darüber. Das Ganze war gegen Übernahme des Lagers und der Maschinen nach Einschätzung zu haben. Die Miete war ziemlich hoch, im übrigen aber waren es billige Bedingungen.
»Ich denke, wir ordnen es so, daß das Anschaffungs- und Betriebskapital verzinst und amortisiert wird wie eine vierprozentige Kreditanleihe«, sagte Brun.
»Das ist billiges Geld«, entgegnete Pelle. »Ein gutes Ergebnis kann ja nicht zugunsten der Verhältnisse reden, wenn wir nicht gleiche Bedingungen mit anderen Unternehmungen haben.«
»Nicht sonderlich billig! Zu dem Preis kann man gegen gute Sicherheit so viel Geld kriegen, wie man will, und die Arbeiter muß man doch wohl als feinste Sicherheit in einem Unternehmen betrachten, das auf Arbeit begründet ist,« sagte der Alte lächelnd – »es wird einen großen Diskontfall geben, wenn Sie zur Macht gelangen, Pelle! Übrigens kostet das nackte Kapital jetzt nicht mehr – wenn nicht mehr daran herumschmarotzt wird. Und den Schmarotzern wollen wir ja gerade zu Leibe.«
Ja, Pelle hatte nichts gegen das billige Geld einzuwenden, der Kampf konnte ohnedies noch hart genug werden. Kam Gang in die Sache, so würde es nicht lange währen, bis ihm die Privatspekulation den Krieg erklärte!
Sie waren sich darin einig, daß sie nichts mit Agenten und Ladenverkauf zu tun haben wollten; die Tätigkeit sollte ganz auf sich beruhen und in direkter Verbindung mit den Konsumenten stehen. Was in der Werkstatt angefertigt wurde, sollte nur die Unkosten oben für den Laden decken; der Rest und der Überschuß sollten unter die Arbeiter verteilt werden.
»Nach welchen Regeln?« fragte Brun und sah Pelle forschend an.
»Zu gleichen Teilen!« antwortete er, ohne sich zu besinnen, »wir wollen überhaupt nichts mit Akkord zu tun haben. Es war ein großer Mißgriff, daß wir damals, als wir die Bewegung anfachten, dem Akkordsystem das Wort redeten, statt es abzuschaffen. Das hat der Ungleichheit Vorschub geleistet. Jeder, der arbeitet, hat das Recht zu leben.«
»Glauben Sie, daß der tüchtige Arbeiter sich dareinfinden wird, gleichmäßig mit dem zu teilen, der weniger tüchtig ist?« fragte Brun bedenklich.
»Das wird er lernen!« entgegnete Pelle bestimmt. »Wie kann er sonst geltend machen, daß alle Arbeit gleich wertvoll ist?«
»Glauben Sie das denn selbst?«
»Absolut. Ich sehe keinen Grund, einen Unterschied etwa zwischen dem Arzt und dem Kloakenreiniger zu machen! Wer von den beiden den größten Nutzen für die Gesundheit schafft, ist unmöglich zu sagen – das Entscheidende muß sein, daß jeder ausrichtet, was er kann.«
»Ausgezeichnet!« rief Brun, »ausgezeichnet!« Der alte Philosoph war so recht in Laune. Pelle hatte ihn für ungewandt und weltfremd gehalten und war erstaunt, welch einen praktischen Blick er für viele Dinge hatte.
»Die Sache ist die, daß dies etwas Neues ist«, sagte der Alte und rieb sich die Hände. »Mit dem Alten war ich fertig, als ich zur Welt kam; da war nichts mehr, was mich reizte – ich sei degeneriert, hieß es. Ja, freilich! Nun will der alte Bücherwurm seinen Ahnen doch zeigen, daß noch in seinen Adern tatkräftiges Blut fließt. Nun haben wir beide die Stelle gefunden, von wo aus die Welt umgekippt wird, mein lieber Pelle – ich glaube, wir haben sie gefunden! Und nun arbeiten wir drauflos.« – –
Ja, da war genug zum Zugreifen. Aber jetzt waren es Realitäten, und Pelle hatte ein angenehmes Gefühl, wieder Boden unter den Füßen zu haben. Dies war doch etwas anderes, als einsam auf seinem eigenen Gedanken durch den Raum zu reiten, beständig in Gefahr, herabzufallen; hier bahnte er sich seinen Weg sozusagen mit den Händen.
Es war so geordnet worden, daß der bisherige Besitzer des Geschäfts es noch eine Weile leitete, während sich Pelle mit dem ganzen Betrieb vertraut machte, die Maschinen und die Buchführung kennen lernte. Er war ununterbrochen im Gange, nutzte seinen Tag aus und schlief des Nachts wie ein Stein. Das Gehirn klapperte nicht mehr fortwährend wie ein Kessel, der beständig kocht, der Schlaf löschte auch darunter das Feuer.
Es handelte sich darum, eine Schar zu werden, die sich ganz aufeinander verlassen konnte, und Pelle kündigte unerschrocken allen Kameraden, die sich nicht dazu eigneten, unter neuen Formen zu arbeiten, und nahm andere an.
Der erste, an den er sich wandte, war Peter Drejer. Ellen riet davon ab. »Du weißt ja, daß er mit der Polizei auf schlechtem Fuß steht,« sagte sie – »du kannst ohnedies schon Kampf genug bekommen.« Aber Pelle hatte das Bedürfnis, einen an seiner Seite zu sehen, der imstande war, die Dinge von einem neuen Gesichtspunkt aus zu betrachten, und ein volles Verständnis für das hatte, um was es sich handelte. Egoisten taugten nicht. Und dies mußte gerade für einen etwas sein, der sich mit all dem Bestehenden in den Haaren lag.
Er war im Buchhaltereikursus gewesen und kam nach Hause, um zu essen. Ellen und Svend Tross waren in der Stadt, aber sie hatte ihm Essen warm gestellt. Er aß der Einfachheit halber in der Küche, saß auf dem Küchentisch und las dabei ein Buch über Buchführung.
Drinnen in der Stube saß Lasse Frederik und lernte seine Schulaufgaben, beide Hände vor den Ohren, um die Welt gründlich ausschließen zu können. Aber das war nicht so leicht, denn Schwester hatte einen losen Zahn, und ihn juckten die Finger darnach, damit in Berührung zu kommen. Jeden Augenblick unterbrach er seine Studien und versprach ihr irgend etwas, wenn er ihn ausziehen dürfe; seine Beine unter dem Tisch waren keinen Augenblick in Ruhe, er war ganz krank. Aber die Kleine antwortete fortwährend: »Nein, Vater soll!«
Da gab er es auf, ehrlich zu Werke zu gehen und suchte es von hinten herum zu erreichen. Und endlich gelang es ihm, sie so weit zu überlisten, daß sie ihn einen Faden um den Zahn binden und am Türdrücker befestigen ließ. »So, nun wird der Faden nur durchgebrannt,« sagte er und zündete einen Lichtstummel an, »sonst kann Vater den Zahn nie 'rauskriegen. Das löst gewaltig!« Er redete bunt durcheinander über alles mögliche, um die Aufmerksamkeit abzulenken, ganz wie ein Taschenspieler, und hielt ihr dann plötzlich das Licht dicht vor die Nase, so daß sie schleunigst den Kopf zurückziehen mußte. »Sieh, hier ist der Zahn!« rief er triumphierend und zeigte ihn der Schwester. Aber sie brüllte aus vollem Halse.
Pelle saß da und hörte das Ganze, aß aber ruhig weiter, sie mußten sich selbst miteinander abfinden. Nach einer Weile war Lasse Frederik bemüht, seine Tat wieder gutzumachen, er redete Anna zu und gab ihr Spielzeug, um sie wieder in gute Laune zu versetzen. Als Pelle hereinkam, lagen sie auf dem Bauch, den Kopf unterm Bett. Sie hatten den Zahn ganz hinten an die Wand geworfen und riefen im Chor:
»Maus, Maus!
Schenk' mir einen goldnen Zahn
für meinen Knochenzahn!«
»Was willst du nu, Vater?« fragte die Kleine und kam auf ihn zu. Ja, Pelle wollte dies und jenes.
»Du hast immer so viel zu tun«, sagte sie verdrießlich. »Bleibt das dein ganzes Leben so bei?«
Das gab Pelle einen Stich durchs Herz. »Nein, ich hab' nicht so viel zu tun,« sagte er hastig – »ich kann gut ein bißchen bei euch bleiben. Nun, was wollen wir denn jetzt anfangen?«
Die kleine Anna holte ihre große Flickenpuppe hervor und fing an, Stühle zusammenzustellen.
»Nein, das ist nichts«, sagte Lasse Frederik. »Erzähl' lieber von damals, als du Kühe hütetest, Vater – und von dem großen bösen Stier!«
Und dann erzählte Pelle bunt durcheinander von seiner Kindheit, von dem Stier und von Vater Lasse, von dem großen Bauer auf Steinhof und von Oheim Kalle mit den dreizehn Kindern und dem fröhlichen Sinn. Das große Gut, das Landleben, der Steinbruch und das Meer – das war wie ein Märchenbuch für die beiden Kinder, die auf dem Straßenpflaster groß geworden waren; der Kampf des kleinen Pelle mit den großen Ochsen um die Oberhoheit, seine wunderbare Eroberung der fünfundzwanzig Ör – eins war immer noch spannender als das andere. Und am spannendsten von allem war doch die Erzählung von dem Hünen Erik, der zum Idioten geschlagen wurde. »Ja, das war damals«, sagte Pelle und nickte. »Jetzt geht das nicht mehr so.«
»Wieviel du doch erlebt hast«, sagte Ellen, die währenddes nach Hause gekommen war und dasaß und strickte. »Es ist beinahe nicht zu verstehen, wie du damit fertig geworden bist, so klein wie du warst. Wie gern hätt' ich dich sehen mögen!«
»Vater, der ist groß!« rief Schwester anerkennend aus.
Aber Lasse Frederik war etwas zurückhaltender. Es war so langweilig, immer stillschweigen zu müssen, und er hätte so gern Platz für eine Zwischenbemerkung über seine eigenen Heldentaten gehabt. »Weißt du was? Da hält ein großes Fuder Korn unten im Torweg beim Fuhrmann«, sagte er, um zu beweisen, daß er auch das Landleben kenne.
»Das ist kein Korn,« sagte Pelle, »das ist Heu – Kleeheu. Kennst du denn nicht 'mal Korn?«
»Wir nennen es aber Korn!« sagte der Junge selbstbewußt. »Und es ist ja auch Korn, denn da sind solche Büschel an den Enden.«
»Ähren, meinst du! Aber die sind auch an dem groben Gras, und das Korn stammt übrigens von dem Gras her. Bist du nie ordentlich auf dem Lande gewesen?«
»Nein. Wir wollten ja 'ne ganze Woche auf's Land. Aber da kam das Pech mit Mutters Arbeit. – Aber im Tiergarten bin ich gewesen.«
Auf einmal wurde es Pelle klar, wieviel den Kindern dadurch entging, daß sie ihr Leben hier drinnen auf dem Straßenpflaster verbringen mußten. »Ob wir nicht daran denken sollten, vor die Stadt hinauszuziehen«, sagte er am Abend, als er und Ellen allein waren.
»Wenn du es meinst«, erwiderte Ellen. Sie selbst hatte kein Verlangen, aufs Land hinauszukommen, sie hegte eine instinktmäßige Angst davor als Aufenthaltsort. Das mit den Kindern begriff sie auch nicht; da waren doch so viele Kinder, die vorzüglich hier drinnen gediehen, und daß sie dumme Bauern werden sollten, wollte er doch wohl nicht. Aber wenn er es meinte, war es wohl das Rechte – er pflegte ja recht zu haben.
Dann war es aber wirklich an der Zeit, daß sie kündigten – es war nur noch ein guter Monat bis zum April-Umzugstag.
Des Sonntags packten sie den Kinderwagenspeicher und machten Ausflüge in die Umgegend der Stadt, so wie in alten Zeiten, als Lasse Frederik noch der einzige war und in seinem Fuhrwerk saß wie ein kleiner Thronfolger, Jetzt half er tüchtig den Wagen schieben, in dem Svend Trost saß und sich breit machte; wenn Schwester müde war, wurde sie mit herabhängenden Beinen auf dem Schutzleder angebracht. Sie suchten jedesmal eine andere Gegend auf und kamen an Orte, die nicht einmal Lasse Frederik kannte. Dicht hinter der hohen Rückseite der Stadt konnten trauliche alte Obstgärten verborgen liegen mit einem niedrigen, strohgedeckten Gebäude mitten darin, das offenbar einstmals das Wohnhaus auf einem Bauernhof gewesen war. Man plumpste zufällig mitten da hinein aus irgendeinem Seitenwege und entdeckte, daß die Stadt im Begriff war, auch außerhalb des kleinen Idylls Kasernen zu bauen und es einzusperren. Wenn Sonnenschein war, ließen sie sich auf einem Erdwall nieder und aßen; Pelle und Lasse Frederik wetteiferten, Kraftkunststücke in dem welken Gras zu machen, und Ellen suchte nach Winterzweigen, um ihr Heim damit zu schmücken.
Auf einem der Ausflüge kamen sie über eine sumpfige Strecke, wo Weidengestrüpp wuchs, dahinter erhob sich das Ackerland. Sie folgten den Feldwegen aufs Geratewohl und kamen an ein unbewohntes, etwas verfallenes Haus, das mitten auf dem ansteigenden Land lag mit einer Aussicht über Kopenhagen. Es war von einem großen, zugewachsenen Garten umgeben. Auf einem alten, morschen Brett stand: Zu vermieten! Aber an wen man sich zu wenden hatte, stand da nicht.
»Genau so ein Haus wünsch'st du dir ja«, sagte Ellen. Pelle war stehengeblieben.
»Es könnte mich interessieren, es innen zu sehen«, sagte er. »Den Schlüssel kriegt man sicher dort oben in dem Gehöft.«
Lasse Frederik lief nach dem alten Bauernhof, der ein wenig mehr landeinwärts auf dem Gipfel eines Hügels lag, um zu fragen. Nach einer Weile kam er in Begleitung des Hofbesitzers selbst zurück. Es war ein bleicher, übernächtiger junger Mann, der einen aufrechtstehenden Kragen trug und eine Zigarre rauchte.
Das Haus gehörte zum Hügelhof und war als Altenteilerwohnung für die Eltern des jetzigen Besitzers gebaut. Die alten Leute hatten den putzigen Einfall gehabt, es Morgendämmerung zu nennen; der Name stand mit großen Buchstaben am östlichen Giebel gemalt. Das Haus hatte leer gestanden, seit sie vor einigen Jahren gestorben waren, und sah wunderlich entseelt aus. Die Fensterscheiben waren eingeschlagen und glichen gebrochenen Augen, die Fußböden waren ganz mit Schmutz überwuchert.
»Nein, das mag ich nicht«, sagte Ellen.
Aber Pelle zeigte ihr, daß das Haus gut genug war, Türen und Fenster schlossen fest, das Ganze bedurfte nur einer gründlichen Ausbesserung. Da waren vier Zimmer und eine Küche im Erdgeschoß und einige Zimmer oben, von denen das eine ein großes Mansardenzimmer nach Süden war. Der Garten war einen Morgen Land groß, und unten auf dem Hofe lag ein Schuppen, der für Hühner und Kaninchen eingerichtet war. Die Miete betrug vierhundert Kronen.
Pelle und Lasse Frederik waren voll Eifer, sie trabten wieder und wieder durch das ganze Haus und machten die wunderlichsten Entdeckungen. Aber als Pelle den Preis hörte, wurde er ernüchtert. »Dann können wir das Ganze nur gleich aufgeben«, sagte er.
Ellen antwortete nicht darauf, aber auf dem Heimwege rechnete sie im stillen nach – sie konnte ihm ansehen, wie enttäuscht er war. »Das wären den Monat fünfzehn Kronen mehr, als wir jetzt geben«, sagte sie plötzlich. »Aber wenn nun der Garten einen Ertrag liefern könnte – und wenn wir Hühner hielten! Vielleicht könnten wir auch die oberen Zimmer möbliert vermieten.«
Pelle sah sie dankbar an. »Ich will mich verpflichten, mehrere hundert Kronen aus dem Garten herauszubringen«, sagte er.
Ellen war bange, daß sich Gesindel da draußen herumtrieb und daß deswegen das Haus nicht vermietet werden konnte.
»Denen geben wir bloß einen aufs Maul, daß sie den Hügel hinunterkollern«, sagte Lasse Frederik flott. »Oder auch, wir bitten bloß Königin Therese, daß sie ihnen sagt, sie sollten sich um ihre eigenen Angelegenheiten bekümmern – vor der haben sie Respekt.«
Sie waren gehörig müde, als sie nach Hause kamen, es war doch ein gutes Stück Wegs hinaus. »Es ist weitab von allem – du müßtest sehen, daß du ein gebrauchtes Rad bekämst«, sagte Ellen. Pelle hörte plötzlich aus dem Klang ihrer Stimme heraus, daß sie selbst sich da draußen einsam fühlen würde.
»Es wird wohl am besten sein, wenn wir uns die Geschichte aus dem Kopf schlagen und sehen, daß wir hier drinnen eine Dreizimmerwohnung finden«, sagte er. »Das andere ist doch unpraktisch.«
Als er am Abend des nächsten Tages von der Werkstatt nach Hause kam, hatte Ellen eine Überraschung für ihn. »Ich bin da draußen gewesen und habe das Haus gemietet«, sagte sie. »Es ist doch gar nicht so weit bis zur Straßenbahn, und im ersten Jahr kriegen wir es für dreihundert Kronen. Der Mann hat versprochen, das Ganze zum Umzugstag gut instand zu setzen. Freust du dich nun nicht?«
»Ja, wenn du dich da nur zurechtfinden kannst«, sagte Pelle und schloß sie in seine Arme.
Die Kinder waren entzückt. Sie sollten da draußen in der blendenden Welt wohnen, in die man sonst nur bei sehr festlichen Gelegenheiten hineinguckte, sollten sich dort tagtäglich herumtummeln und immer mitgenommenes Butterbrot im Grünen essen.
Acht Tage später zogen sie hinaus. Pelle war der Ansicht, daß ihre Mittel ihnen nicht erlaubten, Leute zum Umzug zu nehmen. Er lieh sich einen vierrädrigen Ziehwagen – denselben, der Ellens Habseligkeiten vom Kapellenwege hierher gebracht hatte – und im Laufe von Sonnabend abend und Sonntag morgen fuhren er und Lasse Frederik die Sachen hinaus. Königin Therese war Ellen beim Einpacken behilflich. Mit der letzten Fuhre ging es Hals über Kopf, man mußte vor Kirchzeit zur Stadt hinaus sein. Sie liefen halbwegs damit, Svend Trost war in einem Kübel oben auf der Fuhre untergebracht, Ellen mit der kleinen Anna folgten hinterdrein, und den Beschluß bildete die dicke Königin Therese mit einigen Topfpflanzen, die sorgfältig behandelt werden mußten – es war ein ganzer Aufzug.
Der Tag verging unter fürchterlichem Herumwirtschaften. Es war erbärmlich reingemacht, Ellen und Königin Therese mußten das Ganze noch einmal wieder vornehmen. Nun, darauf war man ja vorbereitet gewesen! Wenn man umzog, mußte man immer zwei Wohnungen reinmachen, die, die man verließ, und die, in die man hineinzog. Mit den Ausbesserungen war es auch nicht weit her, und auch daran war man ja gewöhnt, die Hauswirte waren sich auf der ganzen Welt gleich. Sich zu beklagen, konnte nur wenig nützen, jetzt war man einmal da, und der Kontrakt war unterschrieben. Pelle mußte selbst sehen, daß er allmählich etwas ausrichtete.
Gegen Abend war das Haus so weit in Ordnung, daß man darin schlafen konnte. »Heute tun wir nun nichts mehr,« sagte Ellen – »man muß doch auch merken, daß Sonntag ist.« Sie setzten Stühle vor die Gartenstubentür und aßen draußen. Pelle hatte eine alte Tür über eine Tonne gelegt, das war der Tisch. Jedesmal, wenn Königin Therese sich mit den Ellenbogen auf den Tisch legte, drohte das Ganze umzukippen; und dann kreischte sie. Sie stammte aus einem Pfarrhause und saß nun da und wurde ganz wehmütig. »So habe ich nicht vor einer Gartentür gesessen und gegessen, seit ich als fünfzehnjährige Range von Hause weglief«, sagte sie und trocknete sich die Augen.
»Die Ärmste,« sagte Ellen, als sie sie auf den Weg, der nach der Straßenbahn führte, gebracht hatten – »sie hat sich wirklich was ausprobiert. Kein Mensch außer uns macht sich was aus ihr.«
»Ist sie wirklich eine Pfarrerstochter?« fragte Pelle. »Frauenzimmer von ihrer Art geben sich immer für 'was Feines aus – das ins Unglück gekommen ist.«
»Nein, aber dies ist wirklich so. Sie lief von Hause weg, weil es da nicht zum Aushalten war – sie durfte nicht lachen, sondern sollte immer beten und an den lieben Gott denken. Ihre Eltern haben sie verflucht.«
Sie machten einen kleinen Spaziergang hinter den Hof, um den Abendhimmel zu sehen. Ellen redete drauflos, schon jetzt hatte sie tausend Pläne. Sie wollte viele Obststräucher pflanzen und einen Küchengarten anlegen. Viele Hühner und Kaninchen wollten sie haben. Und zum nächsten Sommer wollte sie frisches Gemüse ziehen, das in der Stadt verkauft werden konnte.
Pelle ging neben ihr und hörte mit halbem Ohr zu, während er in den weißglühenden Abendhimmel hineinstarrte, der mit seinen laufenden Feuerlinien einem fernen Steppenbrand gleichen konnte. Es herrschte eine glückliche Stille um ihn her und in ihm selbst; er war feierlich gestimmt und hatte ein Gefühl, als betrete er nach einer Abwesenheit von Jahren zum erstenmal wieder das Land seiner Kindheit. Die schwarze Erde drückte ihn so weich und bekannt unter den Füßen; es war wie eine Liebkosung, die Kräfte in ihm aufschießen ließ und das Leben neu machte. Hier draußen – mit den Füßen in der schwarzen Erde – fühlte er sich unüberwindlich.
»Du bist so still«, sagte Ellen und nahm seinen Arm, um neben ihm auf dem Erdwall zu gehen.
»Mir ist zumute, als habe ich dich eben erst als Braut bekommen«, sagte er und schlang die Arme stark um sie.