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XI

Jeden Morgen kam Brun herein und sah sich nach dem Betrieb um, ehe er in die Bibliothek ging; er war sehr davon in Anspruch genommen, und sein Aussehen verjüngte sich. Immer drängte er und kam mit Vorschlägen. »Wenn du Geld nötig hast, so sage es nur«, sagte er. Er sehnte sich danach, die Wirkung dieses Neuen zu sehen, und fragte fortwährend Pelle, ob er etwas bemerke. Als er hörte, daß die Schuhwarenfabrikanten eine Versammlung abgehalten halten, um Stellung gegen den Betrieb zu nehmen, lachte er und wollte, daß der Dampf noch verstärkt werde – einerlei, was es kostete. Der alte Philosoph war ungeduldig wie ein Kind geworden; es war Inhalt in sein Greisendasein gekommen, und nun fürchtete er, daß er das Ganze nicht mehr erleben werde. »Du kannst dir wirklich Zeit lassen,« sagte er, »bedenke aber, ich bin alt und obendrein ein Schwächling.« Er behandelte Pelle wie einen Sohn und sagte in der Regel »du« zu ihm.

Pelle hielt dagegen. Es hing so viel davon ab, ob dies gelang, und er gab gespannt acht – es war ja, als sei er dazu ausersehen, die Zukunft auszufragen. Innerhalb der Bewegung verfolgte man sein Unternehmen mit Aufmerksamkeit, die Arbeiterblätter schrieben darüber und verhielten sich abwartend, die Ansichten waren dafür und dawider.

Er wollte gern eine gute Antwort geben und traf seine Verhaltungsmaßregeln mit großer Sorgfalt. Die Arbeiter, die nicht in den Plan hineinpaßten, verabschiedete er. Das machte böses Blut, aber dabei war nichts zu tun. Er war überall zugegen, und wo er nicht selbst war, da war Lasse Frederik; der Junge hatte seine anderen Beschäftigungen aufgegeben, er half im Laden und machte Botengänge. Ellen wollte auch gern helfen. »Wir können ja ein Mädchen nehmen, dann lerne ich die Buchführung und schreibe an und besorge den Laden«, sagte sie.

Aber das wollte Pelle nicht haben. Jetzt sollte es ein Ende haben mit ihrem Teilnehmen an der Versorgung – eine Frau gehörte zu ihren Kindern!

»Heutzutage nehmen die Frauen doch teil an aller Arbeit«, wandte Ellen ein.

Ja, das sei einerlei, er habe nun seine eigene Ansicht über die Sache. Es genüge, wenn die Männer hervorbrächten. Sie sollten am Ende längs der Bürgersteige stehen und zusehen, während die Frauen die Arbeit verrichteten? Es mochte gern sein, daß das nicht freisinnig klang, das sei ihm gleich. Frauen glichen holden Blumen, wie sehr man sie auch zu Gleichberechtigten des Mannes machen wollte. Sie verschlissen die Freude, wenn sie fürs tägliche Brot arbeiten sollten – so viel hatte er auch gesehen.

Es wurde ihr schwer, untätig zuzusehen, während die beiden Männer sich so abarbeiteten, da warf sie sich denn auf den Garten. Sie säte Gemüse und pflanzte Kohl, die Beete lagen wie dicke Federkissen auf der Erde; aber wenn es ihr zufällig gedieh, war sie glücklich. Sie hatte sich ein Gartenbuch gekauft und zerbrach sich den Kopf damit, die verschiedenen Arten und ihre Behandlung herauszufinden. Nach Feierabend kam ihr Pelle zu Hilfe, und unter seiner Hand wuchs es. Ellen schmollte ein wenig darüber; sie machte es genau so wie er, aber es war gleichsam, als wenn die Pflanzen einen Unterschied machten. »Ich hab' 'ne Bauernhand«, sagte er lachend.

Am Sonntag ging es geschäftig her. Dann war die ganze Familie im Garten, Lasse Frederik grub, Pelle beschnitt das verfallene Spalier um die Gartentür, und Ellen band es auf. Die Kinder gingen herum und wollten überall helfen, vorläufig richteten sie noch hauptsächlich Schaden an. Jeden Augenblick machte eins von ihnen Unsinn, sie traten auf die Beete und rissen Pflanzen heraus. Sonderbar dumm waren sie, so rechte Stadtgören! Sie verstanden nicht einmal eine Warnung; Pelle begriff das nicht und war oft nahe daran, aus der Haut zu fahren.

Eines Tages, als die kleine Anna so treuherzig kam und ihm einen blühenden Apfelzweig zeigte, den sie abgebrochen hatte, wurde er zornig und packte sie hart beim Arm. Als er ihren verzerrten Ausdruck sah, mußte er an den Mann mit den wunderlichen Augen denken, der ihn in seiner Kindheit gelehrt hatte, mit den bloßen Händen zu hüten – und er schämte sich. Er nahm die Kleinen bei der Hand und ging mit ihnen im Garten umher und erzählte ihnen von den Bäumen und den Büschen, die lebendig waren, ebenso wie sie selbst, und dachte nur daran, es den Kindern so recht gemütlich zu machen. Die Zweige, das seien die Arme und Beine, und da könnten sie sich selbst wohl vorstellen, wie entsetzlich es sei, sie abzureißen. Schwester war ganz bleich und sagte nichts, aber Svend Trost, der sich endlich entschlossen hatte, den Mund aufzumachen, und eine förmliche Plaudertasche geworden war, schwatzte mit und streckte den Bauch vor wie ein Trommelschläger. Er war ein kleiner kräftiger Bursch, und Ellens Augen verfolgten ihn mit Stolz durch den ganzen Garten.

Es machte einen merkwürdigen Eindruck auf die beiden Kinder, zu wissen, daß alles lebendig war. Sie bewegten sich immer Hand in Hand umher und hielten sich vorsichtig in den Steigen. Ringsumher brach die Erde auf, und sonderbare Wesen kamen daraus hervor, die Bohnen hatten einen Kübel über dem Kopf, um ihn zu beschützen, und der Salat schob die gefalteten Hände vor sich in die Höhe, als wolle er um gutes Wetter bitten. Jeden Morgen, wenn sie ihre Runde durch den Garten machten, waren neue Wesen aufgetaucht. »Sche, sche!« rief Svend Trost mit einer Stimme, die noch vom Speichel verschleiert war, und stieß mit dem rundlichen Bauch nach den Beeten; zu zeigen wagte er nicht. Sie standen in gebührender Entfernung und unterhielten einander von den neuen Merkwürdigkeiten, vornübergebeugt und die Hände auf dem Rücken versteckt – als seien sie bange, daß das Neue sie in die Finger beißen würde. Es geschah wohl, daß Svend Trosts rundliches Patschhändchen sich auf eigene Faust aufmachte und zupacken wollte, aber er zog sie erschreckt zurück, als habe er sich verbrannt, und sagte: »Au!« Und dann stürzten die beiden Kinder in wilder Hast dem Hause zu.

Für die beiden war der Garten eine Wunderwelt voll von Herrlichkeiten – und voller Grausen. Sie wurden bald auf eigene Faust mit seinen Gewächsen vertraut und traten in eine Art mystischen Verhältnisses zu ihnen, einander freundlich begegnend und Ansichten austauschend – wie Wesen aus zwei verschiedenen Welten, die sich auf der Schwelle begegneten. Es lag beständig etwas Rätselhaftes über den neuen Freunden, die sich in gebührendem Abstand hielten – sie gaben keine rechte Auskunft über sich. Wenn man sie fragte: wer hat euch gerufen? so antworteten sie ganz flott: das hat Mutter Ellen getan! – Fragte man sie aber, wie es unten in der Welt aussah, so schwiegen sie baumstill. Für sie blieb der Garten beständig eine unerschöpfliche Welt, soviel sie auch darin herumtrampelten. Jeden Tag unternahmen sie neue Entdeckungsreisen unter Wacholder- und Dornenbüschen; da waren Stellen, wohin sie geradezu noch nicht gelangt waren, und andere Flecke, wohin sie sich nicht wagten. Unzählige Male am Tage mußten sie ganz dicht da heran und über die Stachelbeerbüsche hinweg in das grauenvolle Dunkel gucken, das wie ein böses Wesen da drinnen saß und keinen Namen hatte. Draußen in dem strahlenden Sonnenschein auf dem Gartensteig standen sie und forderten es heraus, Schwester spuckte, so daß es an ihrer Schürze herabfloß, und Svend Trost sammelte mühsam Steine auf und warf sie da hinein; – er konnte sich nicht bücken, so dick wie er war, sondern mußte sich jedesmal, wenn er etwas aufnehmen wollte, in die Hocke setzen. Und plötzlich stürzten sie davon, dem Hause zu, in panischem Schrecken.

Man brauchte kein Kind zu sein, um das Leben des Gartens zu verfolgen. Es war ein unfaßliches Treiben in alles gekommen, des Nachts krachte und pusselte es da draußen im Mondschein, die Zweige streckten sich in neuem Wachstum, die Säfte drängten und brachen durch die altgewordene Rinde als Obstblüten und neue »Augen« hindurch. Es war, als wenn Pelles und Ellens glücklicher Eifer ansteckend wirkte; die halberstickten Obstbäume, die seit vielen Jahren nicht getragen hatten, lebten wieder auf und antworteten auf die munteren Stimmen, indem sie über alle Maßen üppig blühten. Es ward ein rechter Wettstreit zwischen Menschen und Pflanzen, wer es am festlichsten machen konnte. »Der Frühling überschüttet uns ja förmlich mit Blumen und mit Grün«, sagte Pelle. Er hatte nie ein Nest gesehen, das so schön war wie das seine – jetzt hatte er doch endlich ein Heim geschaffen!

Traulich war es hier, wilder Wein und blaue Klematis bedeckten die ganze Fassade und hingen von der Gartentür dicht herunter. Dort pflegte Ellen mit ihrer Handarbeit zu sitzen und die Kleinen zu beobachten, die sich auf dem Rasen tummelten; und da wollte sie des Sonntags am liebsten mit Pelle sitzen, wenn die Kopenhagener Familien auf ihren kleinen Landausflügen vorüberstreiften.

Dann blieben sie wohl draußen vor dem Dornenstrauch stehen und riefen: »Nein, welch ein reizendes Heim!«


In Pelles Werkstatt wurde um sechs Uhr des Morgens angefangen, aber schon um vier Uhr machte man Feierabend, so daß alle, die sich etwas daraus machten, noch etwas von ihrem Tage haben konnten. Er hatte die Arbeitszeit auf neun Stunden herabgesetzt, weiter durfte er sich vorläufig noch nicht wagen.

Einige von den Arbeitern freuten sich über diese Ordnung und benutzten den Nachmittag, um zusammen mit der Familie auszugehen, einige aber wollten des Morgens lieber die Stunde länger liegen. Eines Tages kamen die letzteren und erklärten, jetzt seien sie in der Mehrzahl und wollten die Stunden umgelegt haben.

»Darauf lasse ich mich nicht ein«, sagte Pelle. »Es ist das Vorrecht der Arbeiter, früh auf zu sein, und das opfere ich nicht.«

»Aber wenn wir nun darüber abgestimmt haben«, sagten sie. »Dies ist, den Teufel auch, eine demokratische Einrichtung!«

»Ich habe mich nicht verpflichtet, der Stimmenmehrheit zu gehorchen«, entgegnete Pelle ruhig. »Vorläufig regiere ich, und wer sich nicht in die Verhältnisse hier fügen kann, muß sich anderswo nach Arbeit umsehen.«

Dergleichen kam häufig vor, aber er legte ihm keine größere Bedeutung bei, als es hatte. Sie hatten das Bewußtsein ihrer Macht erobert, aber die meisten von ihnen halten noch nicht den Zweck davon entdeckt. Sie gebrauchten sie blind – in kindlicher Freude, sie entfaltet zu sehen, so wie die Knaben, die ihre Fahne entrollen; tyrannisierten zur Abwechslung ein wenig und rächten die Unterjochung alter Zeiten, indem sie systematisch das Gegenteil von dem verlangten, was war. Sie schwankten ein wenig – die Mirakel des Stimmzettels waren ihnen zu Kopfe gestiegen. Nun, das war ein begreiflicher Übergang; die Verantwortung würde sie schon packen.

Eines anderen Tages kamen die beiden tüchtigsten Arbeiter und verlangten, daß der Akkord wieder eingeführt werde. »Wir wollen nicht dastehen und Geld für die Kameraden zusammenarbeiten«, sagten sie.

»Vertrödeln sie die Zeit?« fragte Pelle.

»Nein, aber wir sind schneller als sie.«

»Dafür sind sie durchgehends gründlicher, das eine wiegt in der Regel das andere auf.«

»Ja, ich danke, aber das nützt uns ja nich'!«

»Das kommt den Verbrauchern zugute – und unter den neuen Verhältnissen bleibt sich das gleich! Wir müssen darauf halten, daß ein jeder, der seine Pflicht tut, gleich gut ist; das ist in unserem eigenen Interesse.«

Damit beruhigten sie sich denn für diesmal; es waren zwei tüchtige Burschen, sie hatten das Neue bei der Ordnung nur nicht erfaßt.

Auf die Weise gab es allerlei Schererei, die Arbeiter waren kurzsichtig und sahen nur von der Hand bis zu ihrem eigenen Mund. Die Ungeduld trug auch Schuld daran! Sie hatten kürzere Arbeitszeit und höheren Lohn, maßen aber nicht die Wirksamkeit hier mit der anderswo. Sie war ja das Neue und mußte ihren Träumen entsprechen – und dies hier konnte, verdammt und verflucht, nicht zu goldenen Bergen führen, so wie Pelle es betrieb. Er war ein wenig zu gewissenhaft, mehr als nötig war, wenn man von allen Seiten von einer unfeinen Konkurrenz bedrängt wurde.

Da waren zum Beispiel noch allerlei Menschen, die treu an dem guten alten, mit der Hand genähten Schuhzeug festhielten und gern halbmal so viel dafür bezahlten. Das machten sich verschiedene kleine Meister zunutze, sie annoncierten mit der Hand genähtes Schuhzeug und lieferten die Maße dann an eine Fabrik. Das war ein gutes Geschäft für Fabrik wie für Meister, aber Pelle wollte nichts mit dem Handel zu tun haben. Er schlug ein Fabrikzeichen auf alles, was aus seiner Werkstatt hervorging.

Pelle nahm dies alles mit überlegener Ruhe hin. Mit welchem Recht konnte er Überblick von diesen Menschen verlangen? – es war seine Sache, sie dazu zu erziehen. Wenn sie nur willig waren, so war er zufrieden. Einmal bekam er sie wohl so weit, daß sie die Tätigkeit in Gemeinschaft übernehmen oder sie zu einem Aktienunternehmen machen konnten, bis dahin hatten sie sich seinen Plänen unterzuordnen!

Etwas von einem fernen und mächtigen Traum war trotzdem im Begriff, sich in seinem Unternehmen zu verwirklichen, so bescheiden es bis auf weiteres auch war; gelang es, so war der Weg zu einer neuen Zeit für den kleinen Mann gewiesen! Und was noch mehr bedeutete – sein eigenes Heim wuchs aus dieser Wirksamkeit heraus. Er hatte den Punkt gefunden, wo das Glück der Vielen in der Verlängerung seines eigenen lag – jetzt hatte er das Richtige erfaßt! Zuweilen fühlte er sich am Abend nach einem mühseligen Tage ein wenig müde von allen den Schwierigkeiten, aber wenn er am frühen Morgen zur Stadt radelte, während der Brodem der Nacht über den Feldern dahinzog und die Lerche über seinem Kopf sang, war er immer guter Laune. Dann verfolgte er die Ergebnisse seiner Arbeit in die Zukunft hinein, die guten Grundsätze gingen ihren siegreichen Gang, und die Tätigkeit erweiterte sich. Schwesterunternehmungen schossen in den anderen Stadtteilen und auch in anderen Städten auf. In weiter Ferne sah er, wie alles Schaffen in den eigenen Händen der Arbeiter lag.

Peter Drejer stützte ihn als guter Kamerad und nahm die Stöße von allerlei Unannehmlichkeiten auf sich. Uneigennützig spannte er alle Kräfte an, teilte aber nicht Pelles Glauben an die gewaltigen Resultate, die daraus hervorgehen sollten. »Mein Gott, dies hier ist ja auch kapitalistisch,« sagte er – »sozialistischer Kapitalismus! Sieh doch 'mal da zum Bürgersteig hinauf, da geht einer, der keine Sohlen unter seinen Schuhen hat! Er hat nasse Füße, kommt aber trotzdem nicht hier 'runter und holt sich ganzes Schuhzeug. Denn wir wollen ja Geld dafür haben, so wie alle anderen; und der, der unsere Arbeit am meisten nötig hat, der hat einfach kein Geld. – Die da setzt zehn Mann auf die Straße hinaus – da hast du die ganze Geschichte!« Er stieß mit dem Fuß gegen eine der Maschinen.

Pelle verteidigte seine Maschinen, aber Peter beharrte bei seiner Ansicht. »Erst hätte das Ganze umkalfatert werden müssen, so wie es jetzt ist, ist es eine Erfindung des Teufels!« sagte er heftig. »Die Maschinen sind einen Tag oder auch zwei zu früh gekommen und wenden uns die Mündung zu – so wie eroberte Kanonen!«

»Die Maschinen machen Schuhzeug für zehnmal so viel wie wir mit unseren Händen versorgen könnten – das ist doch wohl kein Unglück«, sagte Pelle. »Nur mit der Verteilung sieht es schlecht aus.«

Peter Drejer zuckte die Achseln – er hatte keine Lust mehr, über die Verteilung nachzugrübeln. Wollte man etwas tun, um sie anders einzurichten, so war er mit dabei. Es war genug darüber salbadert. Wer Geld hatte, konnte alles aufkaufen, was sie machten, während der Barfüßige noch immer ebensoweit war – das stand fest. Großer Gott, würde das die Welt auf den Kopf stellen, daß jeder Mann den vollen Ertrag seiner Arbeit erhielt? Das bedeutete ja nur Gerechtigkeit innerhalb der Grenze des Bestehenden, solange Diamanten noch immer mehr wert waren als Brot. »Ich sehe nicht ein, daß die, die zufälligerweise an der Arbeit stehen, mehr Recht zu leben haben als die, die nicht ankommen«, sagte er bebend. »Oder kennst du etwa nicht den Fluch der Arbeitslosigkeit? So sieh doch, wie sie zu Tausenden dahinwandern, Sommer und Winter, ein ganzes Schattenheer. Der Staat erhält sie, so daß sie so eben zusammenhalten – Gott bewahre, das ist keine Armenunterstützung, alle Achtung vor dem redlichen Arbeiter! Er soll, weiß Gott, sein Stimmrecht behalten, da ihm das nun einmal Pläsier macht – das ist ein unschuldiges Vergnügen. Stell dir doch vor, wenn er statt dessen ordentliches Essen verlangte!«

Ja, Pelle kannte sehr wohl die große Hungerreserve, er war nahe daran gewesen, selbst zu ihr übergehen zu müssen. Aber hier sah er dennoch Grund; es lag eine friedliche Macht in dem, was er vorhatte, die weit vorwärts bringen konnte. Peter Drejer erkannte das ja selbst an, indem er so getreulich mitarbeitete. Er wollte es nur nicht einräumen!

Im Anfang gerieten sie häufig aneinander, aber Pelle lernte bald, auszuweichen. Peter, der sonst so gut und fügsam war, schlug einen heftig gequälten Ton an, sobald die Rede auf die sozialen Zustände kam; es war gleichsam, als sei seine Geduld erschöpft. Obwohl er sehr ordentlich verdiente, ging er schlecht gekleidet und sah so aus, als bekomme er nicht genug zu essen; das Frühstück, das er in der Werkstatt in der Gesellschaft der anderen einnahm, bestand in der Regel aus Brot mit Margarine darauf, seinen Durst löschte er am Wasserhahn. Die erste Zeit stichelten die anderen auf seine Gefangenkost, aber er gewöhnte sie bald daran, sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern, es war nicht gut Kirschen essen mit ihm. Einen Teil seines Verdienstes brauchte er zur Agitation; die Kameraden erzählten auch, daß er mit einem buckeligen Frauenzimmer und ihrer Mutter zusammen lebte. Er selbst machte keinen Menschen mit seinen Angelegenheiten vertraut, sondern wurde immer verschlossener. Pelle wußte, daß er in einer der Hintergassen im Westen wohnte, hatte aber nicht einmal seine Adresse. Wenn er stumm über der Arbeit stand, war sein Ausdruck immer finster, zuweilen entsetzlich traurig; es war, als arbeite das Weh beständig in ihm.

Die Polizei verfolgte ihn fortwährend mit ihren Schikanen. Pelle hatte wiederholt einen Wink bekommen, ihn nicht zu beschäftigen, wies aber ganz bestimmt jede Einmischung in seine Angelegenheiten zurück; dann kam man ganz willkürlich auf den Einfall, daß sich Peter Drejer jede Woche zur Kontrolle melden solle.

»Das tue ich nie im Leben,« sagte er – »das Ganze ist ungesetzmäßig. Ich bin nur für politische Vergehen bestraft. Nun habe ich mich ängstlich gehütet, daß sie mir nicht wegen eines Formfehlers beikommen können, und nun wollen sie diesen Triumph haben. – Nie im Leben!« Er sprach gedämpft und beherrscht, aber seine Hände zitterten.

Pelle versuchte, ihn bei seinem selbstlosen Herzen zu fassen: »Dann tu es meinethalben«, sagte er. »Sonst stecken sie dich ein, und du weißt, daß ich dich nicht entbehren kann.«

»Würdest du denn zur Kontrolle gehen – wenn du eine Vorladung bekämst?« fragte er dann.

»Ja, es schadet keinem Menschen, wenn er sich der brutalen Übermacht beugt.«

Dann ging er. Aber es kostete ihn eine unendliche Überwindung, und an diesem Tag in der Woche mußte man ihn am liebsten in Ruhe lassen.


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