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Pelle führte den Kampf unverdrossen weiter, schlug sich mit widrigen Verhältnissen und mit Abtrünnigkeit herum und ging nur immer wieder kühn drauflos. Zahlreiche Male im Laufe des Kampfes war er immer wieder auf demselben Fleck; Meyer hatte eine neue Abteilung Arbeiter aus dem Auslande bekommen, und er mußte wieder von vorne anfangen: sie zu bearbeiten, so daß sie wieder abreisten, oder sie unter den Hausbewohnern unmöglich machen, so daß sie verziehen mußten. Der Nachwinter war hart und kam Meyer zu Hilfe. Er lohnte seine Arbeiter jetzt gut und hatte eine Schar Unorganisierter zusammengebracht; eine Zeitlang sah es so aus, als könne er sein Geschäft wieder in Gang bringen. Aber Pelle hatte den Unorganisierten nur infolge von Zeitmangel Ruhe gelassen; jetzt suchte er sie auf und kam mit mehr Autorität als das letztemal. Man sprach schon von seinem Willen, die meisten übergaben sich ihm im voraus. »Dem kann kein Teufel widerstehen«, sagten sie.
Er schwankte nicht in seinem Glauben an den Sieg und ging überall drauflos, er philosophierte sich nicht auf die andere Seite des Resultates hinüber, sondern setzte alle Kräfte daran, um es zu erreichen. Starke Mächte regten sich in ihm, führten ihn den geraden Weg. Die Vereinsgenossen folgten ihm willig und nahmen die Entbehrungen, die die Entvölkerung der Werkstätte mit sich führte, willig hin. Er besaß ihr Vertrauen, und sie fanden, daß es im Grunde ein herrlicher Spaß war, dies Spießumdrehen, wo sie ausnahmsweise einmal den Druck auf den Ausgangspunkt zurückkehren ließen. Sie hatten es bitter erprobt, was es heißt, vergebens zu laufen, um Arbeit zu betteln, und um ihr Guthaben zu betteln und zu zanken – die Kleinen zu sein. Es war amüsant, die Rollen zu vertauschen. Jetzt spielten die Mäuse mit der Katze und amüsierten sich gut dabei, obwohl ihre Krallen sie hin und wieder kratzten.
Pelle fühlte das Zutrauen von Mann zu Mann durch die Bereitwilligkeit, mit der sie ihm folgten, als sei er nur der Ausdruck ihrer eigenen Gesinnung. Und wenn er auf den Generalversammlungen und Zusammenkünften stand, um einen Bericht abzulegen oder zu agitieren, und der Beifall der Kameraden ihm entgegenschlug, spürten sie, wie starke Kräfte in ihm zusammenflossen. Er war wie der »Widder« Widder = in alten Zeiten: Schiffsschnabel. des Schiffes, die ganze Kraft ging mit ihm vor. Er fing an, sich zurechtzufinden als Ausdruck für etwas Größeres: er war zu etwas ausersehen.
Der Pelle, der klug und ruhig mit Meyer verhandelt und festgenagelt hatte, was er wollte, ohne auch nur ein böses Wort zu sagen, war nicht der gewöhnliche Pelle! Ein größeres Wesen arbeitete in ihm, mit mehr Verantwortung, als er selbst es ahnte! Er prüfte sich selbst, um sich dies als Bewußtsein anzueignen, er fühlte, daß dort Kräfte waren.
Dies Höhere stand in mystischem Zusammenhang mit so vielem, bis ganz zurück in die früheste Kindheit konnte er es als eine reiche Verheißung verfolgen. So viele hatten auch unwillkürlich etwas von ihm erwartet; er hatte ihnen nur verwundert gelauscht, jetzt ward es zur Prophezeiung.
Er achtete genauer auf die Worte in seinem persönlichen Verhältnis, jetzt, wo ihre unbegrenzte Tragweite sich ihm offenbart hatte. Aber bei der Agitation waren ihm die stärksten Worte die natürlichsten, sie kamen wie ein Echo aus dem leeren Raum, der unbegrenzt hinter ihm lag. Er beschäftigte sich mit seiner Persönlichkeit. Alles das, was er bisher sorglos einen freien und unbeherrschten Spielraum gegeben hatte, mußte jetzt am liebsten eingefriedigt werden und einem Zweck dienen. Auch sein Verhältnis zu Ellen prüfte er, entschuldigte sie und gab sich Mühe, ihre Ansprüche an das Glück zu verstehen. Er war sanft und gut gegen sie – aber unbeugsam im wesentlichen.
Wegen des Hofschuhmachers machte er sich kein Gewissen. Der hatte lange genug seine Übermacht auf allen Gebieten mißbraucht; durch sein großes Geschäft hatte er die Zustände geschaffen und beherrscht, die schlechten Verhältnisse mußten auf ihn zurückgeführt werden. Es war jetzt Sommer und eine gute Zeit für die Arbeiter, und sein Geschäft ging stark zurück. Pelle sah seinen Fall voraus und fühlte sich als gerechter Rächer.
Der jahrelange Kampf nahm seinen ganzen Sinn in Anspruch. Immer war er unterwegs, kam nach Hause gestürzt zu der Arbeit, die dalag und auf ihn wartete, schaffte sie beiseite wie ein Wütender, und eilte wieder von dannen. Von Ellen und dem kleinen Lasse sah er in dieser Zeit nicht viel, sie lebten ihr Leben ohne ihn.
Er wagte nicht, sich bei der Tatsache zu beruhigen, daß das Zusammenhalten jetzt stark war. Beständig war er unterwegs, um noch mehr zu stützen und zu unterbauen; er wollte dem Unvorhergesehenen nicht zum Opfer fallen. Seine Unermüdlichkeit steckte die Kameraden an, sie wurden eifriger und eifriger, je mehr sich der Kampf in die Länge zog. Er wuchs für sie durch Opfer, die er erforderte, und durch die Kraft des Widerstandes; Meyer wuchs allmählich zu einem Koloß heran, den niederzuhauen jeder seine Wohlfahrt einsetzen mußte. Familien gingen dabei zugrunde; aber je mehr Opfer der Kampf erforderte, um so sorgloser schienen sie draufloszugehen. Und sie jubelten vor Freude an dem Tage, als der Koloß fiel und einige von ihnen unter seiner Masse begrub.
Pelle war unbestreitbar Sieger, der Schustergesell hatte den größten Arbeitsherrn des Faches zu Fall gebracht! Sie fragten nicht, was es gekostet hatte, sondern trugen seinen Namen im Triumph. Sie riefen Hurra, wenn er sich blicken ließ oder wenn sein Name genannt wurde. Früher würde ihm dies zu Kopf gestiegen sein, aber jetzt fand er den Ausgang ganz natürlich – als Wirkung eines höheren Willens!
Schon ein paar Tage nachher berief er eine Versammlung im Fachverein, legte den Entwurf zu einem neuen, zeitgemäßen Tarif vor und forderte gleich auf, jetzt einen Kampf daraufhin zu beginnen. »Die Gelegenheit kann nie besser werden,« sagte er; »jetzt haben sie gesehen, wozu wir taugen! Mit der Tariffrage schlugen wir Meyer nieder! Wir müssen das Eisen schmieden, solange es warm ist!«
Er rechnete darauf, daß die Kameraden gerade jetzt in Kriegslaune waren, trotz all der Entbehrungen, die der Kampf ihnen bereitet hatte – und er irrte nicht. Sein Vorschlag wurde einstimmig angenommen.
Ein Lohnkampf wurde es nicht. Meyer lief jetzt mit den Probekästen für eine Lederfirma bei den Meistern herum. Der Anblick des einst so mächtigen Mannes wirkte verstimmend. Der Meisterverein bezeichnete ein paar Meister, die mit dem Fachverein über die Lohnerhöhung verhandeln sollten.