Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Pelle war wieder unter seinen eigenen Leuten; er bereute nicht, daß das Glück sein Versprechen zurückgenommen hatte, im Grunde war er froh. Hierher gehörte er nun doch einmal! Er hatte seinen großen Anteil an dem mächtigen Aufbruch – sollte er da von dem Kampf ausgeschlossen werden?
Unter den Führern war er willkommen, niemand trug so viel wie er, wenn es darauf ankam; seine Gestalt flößte lichten Glauben ein und brachte die Leute zum Ausharren und zum unerschrockenen Drauflosgehen. Er war geschickt im Pläneschmieden!
Jeden Morgen wanderte er in aller Frühe nach dem Lockoutbureau hin, von wo aus der ganze Kampf geleitet wurde; alle die vielen Fäden liefen hier zusammen. Die Lage wurde für den Augenblick klargelegt, Männer, die genaue Kenntnis von den stärksten Stellungen des Feindes hatten, wurden zusammenberufen, um Aufschlüsse zu geben, und ein umfassender Kampfplan wurde gelegt. Auf geheimen Kontrollversammlungen, zu denen zuverlässige Genossen von den verschiedenen Betrieben einberufen wurden, sammelte man Angriffsmaterial jeder Art – um die Unternehmungen damit zu treffen und zur Verwertung im Zeitungskampf. Es galt die Blutdürstigen und die, die leicht im Sattel saßen, zu treffen! Da waren Betriebe, die die Arbeitgeber aus lokalen Gründen im Gange behielten; die mußten ausfindig gemacht und zum Stillstand gebracht werden, selbst wenn es die Arbeitslosigkeit vermehrte. Man rüstete sich energisch, es war nicht die Zeit, wählerisch mit den Waffen zu sein. Pelle war so recht in seinem Element. Dies war doch etwas anderes, als einen einzelnen Schuhmacher zu fällen, selbst wenn er der größte der Stadt war! Er war reich an Ideen und schwankte nie in der Ausführung. – Kampf war Kampf!
Dies war die Angriffsseite; aber durchdrungen von der Gemeinschaft, wie er war, sah er klar, daß der eigentliche Kampf der Verteidigung galt. Es forderte Voraussicht und große umfassende Verhaltungsmaßregeln, falls die Massen den Kampf aushalten sollten; schließlich würde es eine Frage der Ausdauer werden! Ausländische Streikbrecher mußten ferngehalten werden durch schnelle Mitteilung in den Parteiblättern der Länder und durch das Aufstellen von Posten an den Eisenbahnen und Dampfschiffen. Die Arbeiter nahmen den Telegraphen in ihren Dienst – zum erstenmal. Die Anzahl der einheimischen Streikbrecher mußte mit allen Mitteln niedergehalten werden, und in erster Linie mußten Vorräte geschafft werden, so daß die ledigen Massen sich die Hungersnot vom Leibe halten konnten!
Pelle hatte in einer Vision die natürliche Solidarität des Arbeiters über der ganzen Erde gesehen, und das kam ihm jetzt zu Nutzen. Die Führer erließen ein mächtiges Manifest an die Arbeiter Dänemarks, zeigten noch einmal auf den Abgrund hin, aus dem sie aufgetaucht waren, und auf die Lichtzinnen, zu denen sie emporstrebten, und ermahnten sie in ergreifenden Worten zum Zusammenhalten! Ein Bericht über die Ursache des Lockouts und die Absicht, die dahinter lag, wurde gedruckt und über das ganze Land verteilt mit der Aufforderung zur Unterstützung im Namen der Freiheit! Und durch Aufrufe an die Arbeiterparteien des Landes erinnerte man an die große Gemeinschaft. Es war ein ungeheurer Apparat, der in Gang gehalten werden mußte; von einem kleinen Werkstattverein war der Zusammenschluß weiter gewachsen, bis er das ganze Reich umfaßte, und nun versuchte man auch, die Arbeiterbevölkerung der ganzen Welt zu umspannen, um sie als Bundesgenossen im Kampf zu erwerben. Aber diese Männer, die aus der Masse aufgetaucht waren und noch immer die gleichen Verhältnisse mit ihnen teilten, die waren doch dazu imstande! Sie hatten Schritt mit dem starken Wachstum der Bewegung gehalten und wuchsen noch immer.
Das Gefühl, gut vorbereitet zu sein, flößte Mut ein und verlieh einen lichten Ausblick auf das Ergebnis. Vom Lande liefen täglich Arbeitsanerbietungen an die Ausgesperrten beim Bureau ein. Es wurde auch Geld geschickt – und Beiträge in Form von Nahrungsmitteln; und manche Familien da draußen erboten sich, Kinder der Ausgesperrten zu sich zu nehmen. Vom Auslande her kamen Geldsendungen, und in den liberalen Kreisen der Hauptstadt sympathisierte man mit den Arbeitern; in den Arbeitervierteln der Stadt fingen die Kaufleute und Wirtshausbesitzer an, für die Ausgesperrten zu sammeln.
Die Arbeiter trugen eine ungeheure Opferbereitschaft zur Schau, und auf allen Arbeitsplätzen zirkulierten Kuponbücher, Tausende von Arbeitern gaben jede Woche ein Viertel ihres knappen Wochenlohnes her. Die Ausgesperrten gingen mit großem Mut in die Arbeitslosigkeit hinein, die Gemeinschaft machte sie heroisch. So entblößt, wie sie nach dem harten Winter waren, einigten sie sich dahin, während der ersten beiden Wochen auf Unterstützung zu verzichten. Viele schonten die Kasse ganz und halfen sich, so gut sie konnten – suchten sich ein wenig Arbeit bei Privaten oder gingen aufs Land hinaus. Die jungen Unverheirateten zogen ins Ausland.
Die Arbeitgeber taten, was sie konnten, um allen diesen Auswegen zu Leibe zu kommen. Sie verboten den Kaufleuten und Lieferanten, den Ausgesperrten, die auf eigene Hand arbeiteten, Materialien zu liefern; es wurden schwarze Agenten über das ganze Land geschickt an die kleinen Meister und an die Bauern, um sie gegen die Ausgesperrten aufzuhetzen; über die Grenzen des Landes hinaus wurden sie mit Steckbriefen verfolgt.
Die Absicht war klar genug; es sollte ein eiserner Ring um die Arbeiter geschlossen werden, und, darin eingesperrt, hatten sie nichts, um den Hunger abzuhalten, bis sie mürbe waren und nachgaben. Ihr Widerstand wuchs durch diese Erkenntnis. Mager waren sie nach der endlosen Wüstenwanderung, aber sehr aufgelegt, um sich zu schlagen. Viel hatten sie bisher nicht von dem Ganzen verstanden; das Neue hatte sich in ihnen geregt, in losgerissenen Fetzen und Stücken – als Ausdruck des dumpfen Gefühles, daß das Land jetzt nahe sei. Oft war es nur ein einziges Wort, das sich festgebissen hatte und das dienen mußte, das Ganze auszudrücken. Es konnte jemand kommen und es ihnen mit noch so vernünftigen Gründen wegschlagen, dann zersplitterten die Sätze, an die sie sich festgeklammert hatten. Aber zurück blieb der Glaube selbst und das große Verständnis; tief in ihren Seelen saß das dunkle, unerschütterliche Bewußtsein, daß sie ausersehen seien, in die Glückszeit einzuziehen.
Und nun klärte es sich allmählich für sie. Der Kampf warf Licht nach vorwärts und rückwärts. Er veranschaulichte in all seiner Härte ihr ganzes Dasein. Es war dasselbe, worauf sie immer aus gewesen waren, nur so kräftig aufgezogen, daß ein jeder es sehen konnte. Man hatte die vielen Peitschenenden zu einer großen Peitsche zusammengeflochten – zur Hungerpeitsche, um sie damit zurückzutreiben, wieder mitten hinaus in das Elend! Die Not war in ihrer kompaktesten Gestalt auf sie gehetzt! Das war das äußerste Mittel; es bestärkte sie in der Gewißheit, daß sie sich jetzt auf dem rechten Wege befanden und dem Ziele nahe waren. Die Nacht war immer am finstersten, ehe der Tag graute!
Da war auch allerlei, worüber man jetzt klug wurde. Da war man umhergegangen und hatte sich einreden lassen, daß die Deutschen der Erbfeind seien und daß das Vaterland allem voranginge. Aber jetzt riefen die Arbeitgeber ganz ruhig deutsche Mietstruppen ins Land, um mit ihnen ihre eigenen Landsleute in das Elend zu treiben. Das mit dem Vaterlandsgefühl waren nur schöne Worte, es gab nur zwei Nationen, die Unterdrücker und die Unterdrückten!
Ja, so verhielt es sich wohl bei Licht besehen! Man sollte nicht zu sicher glauben, was von oben her erzählt wurde – und von da her kam ja doch aller Unterricht! Die Geistlichen waren ja so brav, sie wußten wohl, welchem Herrn sie zu dienen hatten! Nein, man hätte seine eigenen Schulen haben sollen, wo die Kinder anstatt in Religion und Patriotismus in dem neuen Geist unterwiesen würden. Dann wäre es längst vorbei gewesen mit dem Fluch der Armut! – So benutzten sie den Kampf und den erzwungenen Müßiggang, um über die Dinge nachzudenken und zu versuchen, das und jenes zu befestigen.
Das Gespenst des Hungers begann alsbald von Haus zu Haus zu ziehen, aber die Wirkung war nicht die erwartete; es erweckte nur Haß und Trotz in ihnen. Gerade auf diesem Gebiet hatten sie ihre Unüberwindlichkeit! Im Laufe der Zeit hatten sie gelernt zu leiden – hatten nichts weiter gelernt; und das kam ihnen jetzt zugute. Sie hatten unerschöpfliche Fonds, zu denen sie griffen und aus denen sie ihre Widerstandskraft schöpfen konnten, sie waren nicht totzukriegen. Ob sie sich wohl nicht bald ergeben würden? Nun, dann ein neues Tausend auf die Straße. Aber das Elend wurde dem Anschein nach deswegen nicht größer; sie hatten es gelernt, gebildet mit ihren Entbehrungen umzugehen – das war ihr Anteil an der steigenden Kultur. Man sah keine hervortretende Not, sie fanden sich damit in den Winkeln ab und sahen mutig aus. Das schwächte den Glauben der Widersacher an die Unfehlbarkeit des Mittels.
Und sie adoptierten selbst den Hunger als Kampfmittel, boykottierten die Arbeitgeber und ihre Angehörigen und schlugen den Feind, wo sie konnten. Manch eine Tür wurde von dem großen Arbeiterheer mit einem Kreuz gekennzeichnet und alle hinter ihr dem Untergang geweiht.
Es war, als wenn der Mut in den Massen steige, je drohender die Not ihnen auf den Leib rückte. Niemand konnte wissen, wie lange Zeit dies währte; man mußte sich amüsieren, solange man noch lockiges Haar hatte. Noch waren die Kleider in Ordnung, und man machte Ausflüge in den jungen Lenz, zog singend mit Fahnen an der Spitze aus und kehrte singend heim.
Es war das erstemal, daß man frei hatte, obwohl es Arbeit genug gab – also die ersten Ferien! Als seien sie Matadoren der Kauftüchtigkeit, boykottierten sie alle die Geschäfte ihres Viertels, die nicht auf seiten der Arbeiter standen. Der Haß war in ihnen erwacht, es hieß für oder wider, alles mußte Stellung nehmen. Die Krämer versteckten ihre Auffassung, falls sie überhaupt eine hatten, und wetteiferten in Arbeiterfreundlichkeit. Auf den Ladentischen lagen Kuponbücher für die Sammlung, einzelne gaben Prozente von ihrem Umsatz. Man hatte gute Zeit, seinen Leuten auf die Finger zu sehen, und der Haß war erwacht; es ward bitterer und bitterer.
Die Führer hielten zurück und mahnten zur Besonnenheit. Aber es lag etwas Berauschendes in diesem Kampf um die nackte Existenz – und um Glück! etwas, das zu Kopf stieg und sie in Versuchung führte, Kopf oder Schrift zu spielen. Die Leitung hatte ihre Aufmerksamkeit stark darauf gerichtet, die Anzahl der ledigen Hände zu beschränken – es konnte schwer halten, ausreichende Mittel zu beschaffen. Aber die Arbeiter, die noch Arbeit hatten, verließen sie, um sich in blinder Solidarität ihren ausgeschlossenen Kameraden anzuschließen. Sie meinten, das gehöre mit dazu!
Eines Tages erhoben die Maurer unerwartet Anspruch darauf, daß eine Stunde von der Arbeitszeit gestrichen werde. Sie erhielten einen Abschlag; aber des Abends hörten sie um sechs Uhr auf statt um sieben Uhr. Die Bevölkerung war aus allen Fugen; mitten im Stillstand nach einem harten Winter verlangte man kürzere Arbeitszeit!
Dieser Zug kam der Kampfleitung überraschend. Man fürchtete, daß dadurch die allgemeine Sympathie für die Arbeiter verscherzt werden könnte. Es überraschte namentlich, daß der erprobte, besonnene Parteimaurer Stolpe sich nicht dem Beschluß widersetzt hatte. Als vieljähriger Vorsitzender der Organisation hatte er große Macht über die Leute; er mußte sehen, sie zu bewegen, daß sie die Arbeit wieder aufnahmen. Pelle verhandelte mit ihm.
»Das ist nicht meine Sache«, erwiderte Stolpe. »Ich habe die Arbeitsniederlegung nicht vorgeschlagen; aber auf der Generalversammlung war die Mehrzahl dafür – und damit ist die Sache abgemacht. Ich gehe nicht gegen die Kameradschaft an.«
»Aber das ist verkehrt von euch«, sagte Pelle. »Du trägst doch die Verantwortung, und euer Fach hat auch die besten Arbeitsbedingungen – und ihr solltet an den Kampf denken, in dem wir stehen.«
»Ja, der Kampf! Natürlich haben wir an den gedacht. Und du hast recht, ich habe ein gemütliches und gutes Heim, weil mein Fach gut gestellt ist, wir Maurer haben uns gute Zustände geschaffen und verdienen ordentlich. Aber sollten wir vielleicht uns gütlich tun und zusehen, daß die anderen um das trockene Brot kämpfen? Nein, wir gehören mit dahin, wo es losgeht!«
»Aber die Unterstützung von euch – das sind die Woche zehntausend Kronen, und die müssen wir jetzt entbehren! Und eure Handlungsweise kann unberechenbare Folgen für uns haben. Du mußt die Sache rückgängig machen, Schwiegervater! sieh zu, daß die Majorität nicht anerkannt wird.«
»Das soll wohl Diplomatie sein, was? Aber heb du die lieber für unsere Gegner auf! Bei uns halten wir die Abstimmung in Ehren, und die soll das Ganze reformieren. Fängt man erst an bei den Stimmzetteln zu rühren, so –«
»Aber das tut ja gar nicht nötig! Die Leute sind sich ja nicht klar darüber, was sie tun, man kann keinen Überblick von ihnen verlangen. Darum könntest du eine neue Abstimmung vornehmen – wenn ich erst mit ihnen über den Kampf geredet habe!«
»So, du meinst, wir könnten nicht übersehen, was wir tun!« erwiderte Stolpe beleidigt. »Aber die Folgen hinnehmen, das können wir doch! Jawohl, du willst auf die Tribüne steigen und sie um die Ecke herum schwindeln, und dann sollten sie für das Entgegengesetzte stimmen! Nein, keine Fixefaxereien hier. Sie haben nach ihrer Überzeugung gestimmt – und damit steht die Sache fest, mag sie richtig oder verkehrt sein. Daran gerührt wird nicht!«
Pelle mußte es aufgeben, der Alte war nicht von seinem Standpunkt abzubringen. Die Maurer vermehrten die Spaziergänger um ein paar tausend Mann.
Die Arbeitgeber benutzten diesen Übergriff, der sie in der öffentlichen Meinung vorteilhaft hinstellen mußte, um eine entscheidende Schlacht zu schlagen. Die allgemeine Aussperrung wurde erklärt.