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XXVIII

Es war eine stark bewegte Zeit, die jetzt folgte. Durch eine Reihe von Jahren hatte der Kampf sich sozusagen selbst vorbereitet, und sie hatten sich dazu gerüstet, hatten sich danach gesehnt, hatten versucht, ihn herbeizulocken, um einmal zu entscheiden, ob sie für ewige Zeiten ausersehen waren, Sklaven zu sein und still zu stehen, oder ob es auch für sie eine Zukunft gab. Jetzt war der Kampf da – und kam ihnen allen überraschend; man hätte jetzt gern Frieden geschlossen.

Aber irgendwelche Aussicht auf friedliche Lösung war nicht da. Die Arbeitgeber fanden den Zeitpunkt günstig, um aufzuräumen; jetzt sollte der Kampf vor sich gehen. Es war in den letzten Jahren allerlei durch die Organisationen durchgedrückt; das wurde hervorgehoben und auf den Tisch gelegt. Bitte schön, freßt das wieder in euch hinein! Das war dasselbe, als sie gehen heißen. Jeden Morgen kam Nachricht von einer neuen Schar Arbeiter, die auf die Straße gesetzt oder von selbst gegangen waren.

Das eine griff in das andere ein. Die Eisenindustrie machte gemeinsame Sache mit der Fabrik »Dänemark« und schloß die Maschinenschmiede aus; dann gingen auch die Former und die Modelltischler vor – und andere Fächer traten in den Ausstand – das Ganze hing zusammen.

Pelle konnte von seinem Standpunkt aus das Ganze übersehen. Es stiegen alte Kampferinnerungen in ihm auf; sein Blut wurde heiß, und er ertappte sich dabei, wie er oben in der Zeichenstube Pläne für den Feldzug der Arbeiter schmiedete, so und so. Er besaß das schnelle Kampfblut – das die Offensive ergreift – und er sah ihre Fehlgriffe: sie traten jetzt nicht kräftig genug auf. Sie waren noch träge und konnten sich schwer damit aussöhnen, daß sie wieder spazierengehen sollten. Daneben fehlte es an Gegenangriffen, die Schaden verursachen konnten. Die Arbeitgeber, die unter der Führung der Eisenindustrie energisch zugriffen, erhielten gleich von Anfang an ein bedeutendes Übergewicht. Die Fabrik »Dänemark« wurde im Gange erhalten, aber der Betrieb lag in den letzten Zügen. Er wurde mit Hilfe von einigen Streikbrechern aufrechterhalten, und jeder unter den Beamten, der sich darauf verstand, wurde dort unten bei der Arbeit angestellt, selbst der Direktor der Maschinenabteilung hatte eine Bluse angezogen und stand da und bediente eine Drehbank. Es galt, den Streikenden den Mut zu nehmen, indem man ihnen zeigte, daß das Ganze auch ohne sie ging.

In der Zeichenstube und auf den Kontoren herrschte Verwirrung; die Streikbrecher mußten alle vom Auslande her aufgestöbert werden; andere liefen auch davon und mußten durch neue ersetzt werden. Unter diesen Verhältnissen durfte Pelle für sich selbst sorgen und sich aneignen, was er vermochte. Das war ihm nicht recht; es war weit bis zur höchsten Spitze, und man konnte nicht schnell genug etwas lernen.

Eines Tages bekam er den Befehl, hinabzukommen und in der Zentrifugenabteilung mit Hand anzulegen; die Arbeitsleute hatten gemeinsame Sache mit den Maschinenschmieden gemacht. Der Befehl traf ihn mitten in einem festlichen Zukunftstraum. Er erwachte jäh. »Ich bin kein Streikbrecher!« erwiderte er gekränkt.

Und dann kam der Ingenieur selbst: »Wissen Sie, daß Sie sich weigern, Ihre Schuldigkeit zu tun?« sagte er.

»Ich kann die Arbeit meiner Kameraden nicht übernehmen«, erwiderte Pelle leise. –

»Das mag sehr hübsch von Ihnen gedacht sein. Aber jetzt sind die da unten nicht mehr Ihre Kameraden. Sie sind jetzt Beamter, und als solcher müssen Sie der Firma dienen, wo es verlangt wird.«

»Aber das kann ich nicht! Ich kann den anderen nicht das Brot aus der Hand schlagen.«

»Dann gilt es Ihre ganze Zukunft. Bedenken Sie das doch, Mensch! Es tut mir leid um Sie – denn Sie könnten es zu etwas bringen, aber ich kann Sie nicht vor Ihrer eigenen Halsstarrigkeit retten; und hier verlangen wir absoluten Gehorsam.« Der Ingenieur stand eine Weile da und wartete auf eine Antwort, aber Pelle hatte nichts zu sagen.

»Nun, ich will so weit gehen und Ihnen Bedenkzeit bis morgen lassen – obgleich das gegen die Grundsätze der Fabrik verstößt. Überlegen Sie sich die Sache jetzt gut und bleiben Sie nicht an dummen Sentimentalitäten hängen. In erster Linie muß man mit dem, wozu man gehört, durch dick und dünn gehen! Also morgen.«

Pelle ging. Er wollte nicht vor Feierabend nach Hause, um Gegenstand einer Reihe vorzeitiger Fragen zu sein; dies wurde noch früh genug gesagt. So schlenderte er denn über die Handelsplätze hin und starrte die Schiffe an. Da war also sein Glückstraum zerplatzt – und kurz war er gewesen. Er sah Ellens enttäuschten Ausdruck, und ihm ward ganz traurig zu Sinn. Am meisten leid tat es ihm für sie, seiner selbst wegen war da eigentlich nichts zu sagen; dies war das Schicksal! Es fiel ihm auch nicht einen Augenblick ein, zwischen der Zukunft und der Kameradschaft zu schwanken; er hatte ganz vergessen, daß ihm der Ingenieur Bedenkzeit gegeben hatte.

Zur gewohnten Zeit schlenderte er nach Hause. Ellen empfing ihn leicht und fröhlich, sie ging umher in einem Zustand summender Freude; es war ganz rührend, zu sehen, wie sie sich bemühte, sich in die andere Gesellschaftsschicht hineinzufinden. Ihre Bewegungen waren ganz allerliebst, und es war ein Zug um ihren Mund gekommen, der Vornehmheit bedeuten sollte. Der kleidete sie entzückend, und Pelle wandelte immer die Lust an, den Mund zu küssen und diese vornehme Haltung zu stören; aber heute setzte er sich schweigend an sein Essen. Ellen hob ihm seinen Anteil vom Mittagessen auf und wärmte ihn auf, wenn er des Abends kam; mittags aß er Butterbrot auf dem Kontor.

»Wenn wir nun erst ordentlich im Gange sind, wollen wir alle um sechs Uhr Mittag essen, das ist viel gemütlicher.«

»So machen es die feinen Leute, habe ich mir erzählen lassen«, sagte Lasse. »Das wird pläsierlich werden, das auch mal zu probieren.«

Lasse saß mit Klein-Lasse auf den Knien da und erzählte spaßige Geschichten. Dann lachte Klein-Lasse, und jedesmal schrie Schwester vor Freude in der Wiege auf, als verstehe sie das Ganze: »Was soll es denn nun sein – die von dem alten Weibe? Dann müßt ihr auch gut zuhören, sonst wachsen eure Ohren nicht! – das alte Weib!«

»Weib!« sagte Klein-Lasse mit dem Ausdruck des Alten.

»Ja, das alte Weib!« wiederholte Lasse, dann lachten sie alle drei.

»Was soll ich zuerst tun? sagte das Weib, als sie auf Arbeit kam – essen oder schlafen? Ich glaub', ich esse erst. Was soll ich zuerst tun? fragte das Weib als sie gegessen hatte – schlafen oder arbeiten? Ich glaub', ich schlaf' erst. Und dann schlief sie, bis es Abend war, und dann ging sie nach Hause und legte sich ins Bett.«

Ellen trat zu Pelle hin und legte den Arm um seine Schulter. »Ich bin bei meiner früheren Herrin gewesen, und die wird mir helfen, mein Brautkleid zu einem Gesellschaftskleid zurechtzumachen«, sagte sie. »Dann brauchen wir dir nur einen Frackanzug zu kaufen.«

Pelle sah langsam auf, über seine Züge huschte ein Zittern – die Ärmste! Sie dachte an Gesellschaften! – »Du kannst dir deine Sorgen sparen,« sagte er leise, »auf dem Kontor bin ich jetzt fertig. Sie verlangten von mir, daß ich Streikbrecher werden sollte, und da bin ich gegangen.«

»Ach, ach«, sagte Lasse und war nahe daran, den Jungen fallen zu lassen, seine welken Hände zitterten. Ellen starrte Pelle versteinert an, sie wurde weißer und weißer, es kam kein Laut über ihre Lippen. Sie sah so aus, als sollte sie tot umfallen.


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