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Am nächsten Tage kam man erst spät in Gang. Ellen erwachte erst gegen zehn Uhr und war ganz erschrocken, aber als sie aufgestanden war, fand sie es überall warm und in Ordnung. Lasse Frederik hatte das besorgt. Sie konnte sogleich Vorbereitungen für das Frühstück treffen.
Schwester war wieder ganz munter. Ellen trug sie in die Wohnstube hinunter und bettete sie auf das Sofa, da saß sie ganz zwischen Kissen – und aß mit am Tische.
»Tut es dir leid, daß Schwester wieder gesund ist, alter Mann?« fragte Svend Trost.
»Ich heiße nicht alter Mann. Ich heiße Großvater – oder auch Herr Brun!« sagte der Bibliothekar lachend und sah zu Ellen hinüber. Sie errötete.
»Tut es dir leid, daß Schwester wieder gesund ist, Großvater?« wiederholte der Kleine mit einer drollig pedantischen Ausdruckstreue.
»Warum sollte mir das wohl leid tun, du kleines Dummchen?«
»Denn nu mußt du ja mit deinem Geld 'rausrücken!«
»Die Puppe, ja – das ist auch wahr. Du mußt dich bis morgen gedulden, Schwester – denn heute ist ja Sonntag.«
Anna hatte ihr weichgekochtes Ei gegessen und die Schale im Eierbecher umgekehrt, so daß es aussah, als sei das Ei unberührt. Sie schob es langsam zu Brun hinüber.
»Aber was ist denn das!« rief er aus und schob die Brille auf die Stirn hinauf. – »Du hast ja dein Ei nicht gegessen!«
»Ich kann nicht«, sagte sie und ließ den Kopf hängen.
»Dann muß dir ja etwas fehlen,« sagte der Alte und tat wie aus den Wolken gefallen – »so ein großes, fettes Ei! Nun ja, dann esse ich es.« Er zerschlug das Ei, Anna und Svend Trost folgten seinen Bewegungen mit jubelnden Augen und mußten sich den Mund zuhalten; erst in dem Augenblick, als der Löffel durch die Schale plumpste und Brun aufsprang, um ihnen das Ganze an den Kopf zu werfen, platzten sie los. Das war ein Spaß, der, sooft es auch sein mochte, wiederholt werden konnte, ohne daß die drei ihn abgenutzt fanden.
Während sie aßen kam der Bauer vom Hügelhof, um zu sagen, daß sie sich darauf gefaßt machen müßten umzuziehen, da er die Absicht habe, das Haus zu verkaufen. Er gehörte zu den Wiesenbauern, die die Großstadt aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Er hatte hier oben gesessen und gesehen, wie die Stadt um das eine Gehöft nach dem anderen herumgewachsen war und die Besitzer zu Millionären gemacht hatte, und nun wartete er beständig darauf, daß auch an ihn die Reihe kommen sollte. Seine Äcker versäumte er, selbst die reichste Ernte erschien ja lächerlich klein neben seinen goldenen Träumen – da konnten seinetwegen die Felder brachliegen und Unkraut tragen.
Ellen war ebenso bestürzt wie Pelle bei dem Gedanken, die Morgendämmerung verlassen zu sollen; dies war ihr Heim, ihr Nest; all ihr Glück und Gedeihen hing im Grunde mit diesem Fleck zusammen.
»Sie können ja das Haus kaufen«, sagte der Bauer. »Ich habe ein Angebot von fünfzehntausend – dafür will ich es hergeben.«
Nachdem er gegangen war, saßen sie da und überlegten.
»Das ist sehr billig«, sagte Brun. »In ein paar Jahren zieht sich die Stadt bis hier hinaus, und dann ist es mindestens das Doppelte wert!«
»Ja, das mag gern sein«, erwiderte Pelle. »Aber diese Summe soll beschafft und auch verzinst werden.«
»Es stehen ja achttausend als erste Hypothek, und der Hypothekenverein leiht die Hälfte – das macht zwölf. Dann fehlen nur noch dreitausend, und die als dritte Hypothek hineinzustecken, bin ich nicht bange«, sagte Brun.
Aber das wollte Pelle nicht. »Für Ihr Geld bekommen wir noch Verwendung genug in unserem Betrieb«, sagte er.
»Ja, ja, aber wenn ihr das Haus instand setzet und es taxieren laßt, so bin ich überzeugt, daß ihr die ganzen fünfzehntausend von den Darlehnsvereinen erhalten könnt«, sagte Brun. »Ich glaube, ihr werdet euch gut dabei stehen!«
Ellen hatte Papier und Bleistift geholt und saß nun da und rechnete. »Wie viele Prozente rechnet man für Zinsen und Abzahlungen?« fragte sie.
»Fünf«, meinte der Alte. »Alle Instandhaltungsarbeiten macht ihr ja doch selbst.«
»Dann wage ich es!« sagte sie und sah die beiden mutig an. »Es muß herrlich sein, sein eigenes Haus zu haben! Meinst du nicht auch, Pelle?«
»Nein, ich finde, es ist ein ganz wilder Gedanke«, erwiderte Pelle. »Wir laden uns da eine Hausmiete von siebenhundertundfünfzig Kronen auf.«
Ellen war nicht bange vor der Hausmiete. Die konnten das Haus und der Garten wohl tragen. »In ein paar Jahren können wir den Grund und Boden als Bauplätze verkaufen und viel Geld verdienen«, sagte sie. Ihre Wangen glühten.
Pelle lachte. »Ja, die Spekulation – geht denn der Hügelbauer nicht daran zugrunde?« Er hatte genug um die Ohren und empfand kein Bedürfnis, sich auch noch die Beschwerden, die ein eigenes Haus verursachte, aufzuladen.
Aber Ellen wurde nur immer erpichter darauf. »Dann kauf du es doch!« sagte Pelle lachend. »Ich habe keine Lust, Millionär zu werden.«
Ja, das wollte Ellen gern. »Aber dann soll das Haus mir auch gehören«, erklärte sie. »Und wenn ich Geld darauf verdiene, will ich auch das Recht haben, es ganz so zu verwenden, wie es mir paßt. Es soll nicht in eure bodenlose Genossenschaftskasse gehen.« Die Männer lachten.
»Brun und ich machen jetzt einen Spaziergang«, sagte Pelle. »Dann können wir ja gleich hingehen und dem Kauf für dich abschließen.«
Sie gingen unten um den Garten herum, an dem südlichen Hügelrand entlang. Das Wetter war klar, es war in einen leichten Frost übergegangen, unten über den Feldern lag weißer Reif. Wohin die niedrig stehende Sonne fiel, da schmolz der Reif und das welke Grün sah hervor.
»Hier ist es im Grunde hübsch«, sagte Brun. »Sieh, wie schmuck sich die Stadt mit ihren Türmen ausnimmt – man muß nur nicht da unten wohnen. Über Nacht, als das Kind dalag und mit seinem Husten kämpfte, dachte ich darüber nach – die Arbeiter bekommen im Grunde keinen Anteil an der Sonne! Auch die nicht, die sonst ganz gut gestellt sind. Und da wandelte mich die Lust an, hier auf dem Hügelkamm Wohnungen für unsere Leute zu bauen, zu beiden Seiten der Morgendämmerung – die Leute der neuen Zeit sollten im Grunde höher und heller wohnen als andere. Ich habe mir gedacht, die Sache so zu ordnen, daß ich vorläufig für die Grundstücke hafte, und daß der Betrieb sie dann allmählich aus seinem Überschuß einlöst. Das ist reichlich so praktisch, als den Überschuß unter die Arbeiter zu verteilen, dadurch schaffen wir Werte für unser Unternehmen. Apropos, Überschuß – du hast gut gearbeitet, Pelle! Ich habe mir über Nacht einen Überblick verschafft, es werden in diesem Jahr schon zehntausend Kronen. Nun, um aber auf das zurückzukommen, worüber wir sprachen: die Prioritätsanleihen pflegen die Kosten der Bebauung zu decken, und wenn sie nach einer Reihe von Jahren amortisiert sind, dann steht das Ganze unbelastet da.«
»Wem soll es denn gehören?« fragte Pelle. Er kaute im Gehen auf einem Grashalm und setzte die Beine vorsichtig vorwärts wie ein Bauer, der auf ungepflügter Erde geht.
»Der Genossenschaft! Es muß so geordnet werden, daß die Häuser nicht übertragen und mit keinen neuen Hypotheken belastet werden können. Unserem Genossenschaftsbetrieb darf keine Form von Spekulation anhaften, dadurch wird das Gebiet des Kapitals begrenzt. Das Ganze muß auf sich selbst beruhen und muß den Einzelbesitz innerhalb seines Rahmens aufheben können. Du siehst, es ist deine eigene Idee von einem Staat im Staat, auf der ich weiter baue! Bisher ist es noch nicht leicht, eine juristische Form zu finden, unter der das Ganze auf sich selbst beruhen kann; aber vorläufig leiten du und ich es – und Morten, wenn er mittun will. Ich denke mir, er kehrt mit frischen Kräften heim!«
»Und wann soll dieser Plan verwirklicht werden? Schon in absehbarer Zukunft?«
»Schon jetzt in diesem Winter, hatte ich gedacht – dadurch wirken wir ja auch etwas gegen die große Arbeitslosigkeit. Dreißig Häuser – das ist doch immer ein Anfang. Und dahinter liegt ja die ganze Welt, Pelle!«
»Wollen Sie die Benutzung der Wohnungen obligatorisch für die Arbeiter machen?«
»Ja – die Genossenschaft verpflichtet. Man kann nicht halb außerhalb und halb innerhalb sein! – Nun, wie denkst du denn darüber?«
»Es ist ein starker Plan!« sagte Pelle. »Wir erbauen unsere eigene Stadt hier auf dem Berge!«
Das Antlitz des Alten leuchtete vor Freude. »Es ist doch auch ein wenig Gutes an mir, wie? – In meinen Adern fließt altes Geschäftsblut. Meine Vorfahren haben sich eine Welt zusammengezimmert, warum sollte ich geringer sein als sie? Ich sollte nur jünger sein, Pelle!«
Sie gingen rund um den Hügel herum und kamen von der anderen Seite zu dem Gehöft. »Das Ganze wäre im Grunde gar nicht zu groß, wenn wir Platz haben wollen, um uns auszudehnen«, sagte Pelle, der nicht bange war, weit auszulangen, wo es sich um einen großen Plan handelte.
»Ich habe eben gerade denselben Gedanken gehabt«, erwiderte Brun. »Wie groß ist das hier – ein paar hundert Tonnen Land? Da wird ungefähr für tausend Familien Platz sein, wenn jede ein ordentliches Fleckchen Erde haben soll.«
Und dann gingen sie hinein und erstanden das Ganze für eine viertel Million.
»Aber Ellen – wie finden wir uns mit der ab?« rief Pelle aus, als sie sich auf dem Heimwege befanden.
»Ja, das ist auch wahr! In ihrem Auftrag sind wir ja hierhergegangen – und nun haben wir selbst das Geschäft gemacht. Nun, sie wird sich schon darein finden, wenn sie erst hört, um was es sich handelt.«
»Dessen bin ich denn doch nicht so sicher«, sagte Pelle lachend. »Vielleicht wenn Sie sich mit ihr einigen können.«
»Nun, habt ihr das Haus bekommen?« fragte Ellen, sie stand in der Tür und empfing sie.
»Ja, wir haben viel mehr als das bekommen«, sagte Brun flott. »Wir haben den ganzen Krempel gekauft.«
»Ist das euer Ernst, Pelle?«
»Und wie wird es denn mit meinem Haus?« fragte sie langsam.
»Ja, das haben wir zusammen mit all dem anderen gekauft«, sagte Brun. »Aber das kann übrigens leicht abgeteilt werden – es ist nur ein wenig früh, aus der Genossenschaft ein Stück herauszuschneiden, ehe sie noch etabliert ist!« Er saß eine Weile da und wartete darauf, daß Ellen etwas sagen sollte. Als sie hartnäckig schwieg, fuhr er ein wenig kurz angebunden fort:
»Nun ja – dann ist nichts mehr über die Sache zu sagen! Recht soll Recht bleiben, morgen werde ich die nötigen Anstalten treffen, daß das Haus auf Ihren Namen geschrieben wird. Dann müssen wir ja die ganze Geschichte aufgeben, Pelle. Wir können doch nicht zugeben, daß der Mann, der für das Ganze einsteht, auf seinem privaten Grund und Boden wohnt. Damit ist der Plan zu Wasser geworden!«
»Falls sich nicht Ellen und ich jeder in seinem Haus einrichten«, sagte Pelle verschmitzt. »Ich kann ja gleich jenseits der Grenzscheide bauen, dann können wir einander doch zunicken.«
Ellen sah ihn ernsthaft an. »Ich finde nur, es ist ein wenig sonderbar, daß man über meine Angelegenheiten bestimmt, ohne mich zuvor zu fragen«, sagte sie endlich.
»Ja, das war auch rücksichtslos von uns,« sagte Brun – »wir hoffen, daß Sie einen Strich da durch machen werden. Sie verzichten also auf das Haus?«
»Dazu bin ich ja gezwungen, wenn Pelle damit droht, von mir zu ziehen«, entgegnete Ellen lächelnd. »Aber leid tut es mir; ich bin überzeugt, es wäre mit der Zeit Geld damit zu verdienen gewesen.«
»Es würde wirklich amüsant werden, wenn die Frauen in unsere verlassenen Schneckenhäuser einziehen wollten«, sagte Brun halb im Ernst.
»Ellen ist immer ein unverbesserlicher Kapitalist gewesen«, warf Pelle ein.
»Ich habe noch nie so viel Geld gehabt, daß ich nicht wissen sollte, was es wert ist«, erwiderte Ellen schlagfertig.
Der alte Brun lachte. »Das war wohl auf Herrn Brun gemünzt?« sagte er. »Aber da Sie so viel Mut zu Bodenspekulationen haben, Frau Ellen, so will ich Ihnen einen Vorschlag machen: Zu dem Areal, das wir gekauft haben, gehört ein Stückchen Wiese, das halbwegs nach der Stadt zu liegt – am Moor; das bekommen Sie als Abfindung. Es ist augenblicklich nicht viel wert und muß aufgefüllt werden, um überhaupt einen Wert zu erlangen. Aber es wird nicht lange währen, bis die Stadt da draußen ist und Platz fordert.«
Dagegen hatte Ellen nichts einzuwenden. »Aber dann will ich auch selbst über das verfügen dürfen, was dabei herauskommt«, sagte sie.