Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Gedichte
Johann Wilhelm Ludwig Gleim

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Alexis und Elise

Drey Gesänge

1771

Erster Gesang

                          Alexis, und Elise?
Zwey Herzen voll Gefühl?
Wenn sie ein Barde priese
So wär es nicht zu viel!

Petrarch und Laura liebten
Bey weiten nicht, wie sie,
Sie freuten sie betrübten
Sich miteinander nie.

So überein, wie diese,
Bey gleichem Herzensschlag!
Alexis und Elise
Stehn keinem Paare nach

(Seit Amor Tücken übte
Und Pfeil und Bogen trägt)
Das zärtlicher sich liebte
Wie man zu lieben pflegt!

Petrarch sang seiner Quelle
Nur seine Lieder oft,
Hat viel auf einer Stelle
Gestanden, viel gehoft

Frau Laura würd' ihm kommen,
Umsonst; sie kam ihm nicht,
In Thränen dann geschwommen
Ist ihm sein Angesicht,

Und auch sein Herz; und Feuer
Der Liebe brannt' ihn doch,
Und seine süße Leyer
Singt seine Laura noch.

Alexis, wenn er sänge,
So spräng Elise gleich
Ihm in den Arm, sie spränge
Zu ihm ins Höllenreich,

Und bäte Gott, zu richten
Barmherzig, und doch nur
Die Hölle zu vernichten
Um seinetwillen nur!

Alexis und Elise?
Sie singen? Welch ein Lied!
So zärtlich liebt, wie diese,
Sagt man, wenn man sie sieht!

Geschichtchen eine Menge
Weis ich von ihnen; ich?
Wenn ich nur artig sänge,
So säng' ich sie, und mich!

Sie, denn sie sind die Ehre
Der ächten Zärtlichkeit;
Und mich, denn ich verehre
Das Wunder dieser Zeit,

Und stell es zum Exempel,
Das gute liebe Paar!
Und bau ihm einen Tempel,
Vielleicht noch dieses Jahr!

Alexis führt die holde
Geliebte selbst hinein!
Von Marmor und von Golde
Soll er nicht starren; Nein!

Die Schönheit einer Mirthe,
Die noch kein Blümchen trug;
Und ein getreuer Hirte
Zum Priester, ist genug!

Elise liebt vor allen
Das Schöne der Natur.
Sie gäbe für Corallen
Kein Blümchen ihrer Flur!

Alexis und Elise,
Welch eine Lust, sie sehn!
Die Lieb' im Paradiese
Glaub' ich, war nicht so schön.

Man sieht mit halben Blicken,
Wie herrlich Er und Sie,
Und Sie und Er sich schicken
Zu Hymens Harmonie.

Sie küssen sich, und schämen
Sich artig doch dabey,
Und geben sich, und nehmen
Mehr Küße nicht, als zwey.

Und einig so darüber,
Daß nie gestritten ist:
Ob er Elisen lieber,
Ob sie ihn lieber küßt?

Gestritten aber haben
Sie sich doch schon einmahl.
Mit Waßer sich zu laben
Nach heißem Sonnenstrahl

Stand Er an einer Quelle,
Mit einem Wasserkrug,
Und, Wasser, perlenhelle,
Schöpft' er, und einen Zug

That er aus ihm; gesprungen
Kam seine Schäferin!
Getrunken und gesungen
Bis an den Abend hin

Ward von den guten Beyden.
Sie giengen mit Gesang!
Doch ihre kleinen Freuden
Beschloß ein kleiner Zank.

Den Waßerkrug zu tragen
Hielt Sie für ihre Pflicht!
Und Er? Man hört' ihn sagen:
Ich leid', ich leid' es nicht!

Sie helfen sich, sie tragen
Nicht jeder seine Last;
Gieb mir, hört man sie sagen,
Was du zu tragen hast!

Einst flocht' er eine Mirthe
In ihren Cranz ihr ein,
Da wollte sie der Hirte,
Der Mühe wegen, seyn.

Einst als auf ihre Weyde
Ein armer Pilger kam,
Da liefen alle Beyde
Und holten ihm ein Lamm!

Ein Lamm, das allergrößte
Der kleinen Schäferey,
Vermeinend, daß das beste
Für ihn zu wählen sey.

Kaum hatt' ers hingenommen,
Da riefen sie zugleich:
Er sollte wiederkommen,
Sie wären zwar nicht reich;

Sie wollten aber sparen.
Der arme Wandersmann,
Ein Greiß von achtzig Jahren;
Sprach: Ich nehm es nicht an!

Ich müste ja mich schämen
Solch einer Mißethat!

Das Lämmchen anzunehmen
Stand Er, und Sie, und bat.

Und als Alexis meinte:
Gott seegne Karge nie!
Da nahm er es, und weinte
Für Freuden über sie!

So zärtlich, so gesellig,
Sind sie! Und Sie, und Er
Sind immer mehr gefällig,
Stets um einander her!

Alexis und Elise
Beweisen, sich getreu,
Was man nicht oft bewiese,
Daß Ehe Liebe sey!

Man sieht in seinen Augen
Wie das Vergnügen lacht.
Man sieht in ihren Augen
Wie glücklich Liebe macht.

Man sieht auf seinen Wangen
Der Jugend Feuer glühn.
Man sieht auf ihren Wangen
Der Jugend Rosen blühn.

Alexis sey der schönste
Sagt jeder, der ihn sieht.
Elise sey die schönste
Sagt jede, die sie sieht.

Und Er und Sie sind immer
Einander schöner doch
Als wer sie sieht! Im Schimmer
Der Allerschönsten noch!

Alexis und Elise
Sind glücklicher als schön!
Der Bach, der Wald, die Wiese
Wird sie beysammen sehn.

Ich weide meine Heerde,
Sagt er, nicht mehr allein:
Und Sie? Sie sagt, sie werde
Stets um Alexis seyn.

In ihre kleine Hütte
Folgt ihnen Einigkeit,
Und bleibt auf ihre Bitte,
Bey ihnen allezeit.

In ihrer kleinen Hütte
Sitzt zwischen ihm und ihr,
Die alte gute Sitte,
Zufrieden, an der Thür;

Und spricht: Von euch gelitten,
Für manche nicht zu fein,
Wehr ich den neuen Sitten,
Und laße sie nicht ein.

Auf ihre fernste Weide
Folgt ihnen Liebe nach,
Und jede kleine Freude
Wohnt unter ihrem Dach!

Sie tanzen, aber immer
Wo keine Tugend schillt!
Sie tanzen, aber nimmer
Sind ihre Tänze wild!

Sie gehen, wo sie gehen,
Auf jeden Schritt und Tritt,
Gesehn, und ungesehen,
Geht stets die Unschuld mit.

Alexis und Elise
Sind fromm, und ohne Scheu!
Wo man die Götter priese,
Da wären sie dabey.

Es wird den beyden Frommen
Auch immer wohl ergehn,
Die Engel werden kommen,
Und ihre Liebe sehn.

Zweyter Gesang

Alexis und Elise,
Die Zärtlichen genannt,
Besuchten ihre Wiese
Stillgehend Hand in Hand!

Sie sagten unterwegen
Sich viel von ihrem Glück!
Sie rühmten Gottes Seegen,
Die Frömmigkeit im Blick!

Sie ließen sanft sich nieder
An ihrem Wiesenbach
Und sangen fromme Lieder,
Und Echo sang sie nach!

Es war ein Frülingswetter,
Wie man es selten sah!
Man dacht' ein Fest der Götter,
Man dachte Pan sey da!

So schön war es! die Veilchen
Verhauchten ihren Duft,
Ob wohl in kleinen Theilchen,
Nicht geitzig in die Luft!

Elise fing zu scherzen
Mit ihrem Männchen an;
Schon schmolzen ihre Herzen,
Er, schon ein sanfter Mann!

Sie, schon ein sanftes Weibchen,
Wie sonsten nirgend ist,
Kehrt, wie ein Turtultäubchen
Sich zärtlich um, und küßt!

Und plötzlich stand vor ihnen
Ein schrecklich großes Thier!
In keinem Traum erschienen,
Euch Schönen, oder mir!

Wie Gevaudans Hyäne
Den Rachen offen, wieß
Der Hunger seine Zähne,
Dem Paar' im Paradieß!

Es war ein Wolf! zu scherzen
War keine Zeit, kein Ort!
Elise, blaß, (im Herzen
War all' ihr Blut) lief fort!

Alexis, mehr ein Meister
Von seinem Blut, ein Held!
Bot seine Lebensgeister
All' auf in Kriegesfeld!

Sich seines Knochen-Markes
Bewust, gieng er und griff
Das Unthier an, daß stark es
Ihm um die Ohren pfiff!

Er wirft – die Erde bebet!
Das Thier zu Boden, sitzt
Auf seinem Bauche, lebet,
Und hat sein Weib beschützt!

Kein Helden-Ueberwinder
Fühlt solche Freude! Komm!
Ruft er, der Ueberwinder
Des Wolfes! Weibchen, Komm!

Komm wieder! – In der Ferne,
Hatt' es ihm zugesehn!
Komm wieder, komm, und lerne
Dem größten Wolfe stehn!

Das Weibchen kommt! – Wer siehet
Das frohe Weibchen nicht?
Da gehts! die Rose blühet
Ihm wieder im Gesicht!

Ach könnte Graf es mahlen,
Ein solches Bild könt' ihm
Der Kayser nicht bezahlen,
Und ich bezahlt' es ihm!

Es geht mit dreistem Gange
Zum todten Wolfe, geht,
Als wär ihm wenig bange,
Steht vor dem Todten, steht

Bey seinem Ueberwinder
Klagt: Ach, das arme Thier!
Sein Weib und seine Kinder,
Alexis, fluchen dir!

Gezittert, und gebebet
Hab ich für dich! Mein Dank
Daß mein Alexis lebet,
Sey Götter-Lobgesang!

Ein kühner, ein geübter
Thierbändiger bist du!
Mein Heldchen, mein Geliebter
,
Sagt sie, und weint dazu!

Denn, auf des Helden Wange,
Sieht sie ein Tröpchen Blut,
Im Herzen angst und bange,
Denkt sie des Thieres Wuth!

Saugt ihm das Tröpchen Rothes
Von seinen Wangen ab,
Sieht um sich lauter Todtes,
Denkt sich Alexis Grab!

Schnell rauschts! Was kommt gesprungen?
Was ist es? Ach! es ist
Die Wölfin mit den Jungen,
Die noch ein Lämmchen frißt!

Elise steht versteinet,
Erschrecklich wütend fällt,
(Indeß Elise weinet)
Die Wölfin auf den Held!

Der Held springt auf; gestärket
Von seines Weibchen Blick,
Faßt er die Wölfin, merket
All' ihre List! Zurück

Wird sie von ihm gestoßen!
Sie setzt von neuen an!
Er sieht, wie sich erboßen
Solch' eine Witwe kan!

Er stößt in ihren Rachen
Ihr seinen Arm! Sie stirbt!
Das Stückchen nachzumachen
Rath ich, denn es erwirbt

Ein Bardenlob, weit größer
Als Rhingulph eines gab!
Für beide Lämmerfresser
Scharrt unser Held ein Grab!

Sie hilft! Es sehn die Jungen
Den Todtengräbern zu!
Den Kampf so schön gelungen,
Sagt er; den kämpftest du!

Streicht ihre blaße Wangen
Mit einem Striche roth!
Nach Hause wird gegangen,
Man ißt sein Abendbrod!

Beym Abendbrod – – – dich stören
Ist unsre Pflicht, Gesang!
Wir bitten aufzuhören,
Du wirst uns sonst zu lang!

Dritter Gesang

Beym Abendbrod', ihr Schönen,
Ich bitte, höret mich!
Weint ihrer Liebe Thränen
Elise bitterlich!

Sie mahlet ihre Leiden
Dem Wolfbezwinger ab,
So schön, daß er bescheiden
Ihr tausend Küße gab!

Ach, hätt' ich dich verlohren;
Kein Süßes für mein Herz,
Kein Sang für meine Ohren,
Für meinen Witz kein Scherz,

Wär auf der Welt geblieben
Du nahmst mir alles mit!
Alexis, man muß lieben
Zu fühlen, was ich litt!

Sie sagt ihm diese Worte
Mit sanftem Wangenschlag!
Und draußen an der Pforte
Ruft einer: Guten Tag!

Herein, aus einem Munde
Ruft Er und Sie, Herein!
Möcht' es in guter Stunde
Der arme Pilger seyn!

Er ist es! Freud und Wonne
Sieht ihm aus dem Gesicht!
Es glänzt, nicht wie der Sonne,
Nein, wie des Mondes Licht!

Es ist ein sanfter Schimmer!
Die Guten sehen ihn
In ihrem kleinen Zimmer,
Stehn vor ihm auf, und glühn,

Und wollen ihm erzählen
Was sich begeben hat!
Er sprach: Ihr guten Seelen,
Ich weis es schon!
Man bat

Es gütig anzuhören,
Fing zu erzählen an,
Erzählt' es! Es zu hören
Gefiel dem Wandersmann!

Und als die Mordgeschichte
Sehr schön erzählet war,
Da stand im hellern Lichte
Der Mann mit grauem Haar!

Und sprach: Von einem Hügel
Hab ich euch zugesehn,
Und, sehet! – Hier im Spiegel!
Alexis That ist schön!

Und schön ist deine Liebe,
Du, seine Helferin!
Schön seine Gegenliebe!

Sie nimmt den Spiegel hin!

Und sieht, was sie gesehen,
Ihr Schönen, sing' ich euch!
Und sieht – – Wollt ihr es sehen?
Und sieht – – ins Himmelreich!

Und sieht, als er sie wiese,
Sich selbst! der Pilger spricht:
Alexis und Elise,
Das Lämmchen fehlet nicht!

Alexis nimmt den Spiegel,
Der Greiß sieht mit hinein,
Sieh, sagt er: dieser Hügel
Und diese Heerd' ist dein!

Sie sehen einen Hügel
Schön, wie Elisium!
Der Pilger hält den Spiegel,
Elise sieht sich um!

Und sieht aus ihrer Hütte,
Was ihr der Spiegel wieß!
(Ihr Häuschen in der Mitte)
Ein kleines Paradies!

Sie geht hinaus, und findet
Ein Lämmchen an der Thür;
Der gute Greiß verschwindet!
Alexis spricht zu ihr:

Ein Gott ist es gewesen!
Das Lämmchen wird erkannt,
Von ihnen ausgelesen
War es in ihrer Hand!

Sie gabens willig beyde
Dem armen Wandersmann!
Als wie mit großer Freude
Sieht Sie das Lämmchen an,

Und spricht: Mit euch zu leben
Erbat ich mir von dem,
Dem ihr mich jüngst gegeben,
Ist es euch angenehm?

Alexis und Elise,
Verwundernd, daß es spricht,
Begleiten's auf die Wiese,
Mit Thränen im Gesicht!

Sehn größer ihre Heerde,
Sehn schöner ihre Flur!
Sehn fetter ihre Erde
Verbeßerte Natur!

Sie sehen, was sie sehen,
Mit Thränen im Gesicht!
Denn ihre Früchte stehen,
Wie Sandes Früchte nicht!

Sie knieen! – Mehr erzählen
Ihr Schönen könt' ich euch
Von diesen guten Seelen,
Ihr Lebenslauf ist reich!

Noch viel der guten Thaten
Hat er! – – Allein, Gesang,
Schon bist du lang gerathen,
Gerathe nicht zu lang!

Du möchtest langeweilig
Ein Schlafbefördrer seyn!
Die Schönen haben neulich
Dich schon gestört; Halt ein!

 


 


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