Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Gedichte
Johann Wilhelm Ludwig Gleim

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Die Schäferwelt

1743

                    Ja, Damon, ja, die Welt ist zu beklagen,
Ihr Glück entwich mit ihren ersten Tagen! –
Als noch das Land voll Schäferhütten war,
War Glück und Gold noch nicht so wandelbar;
Man aß, man trank, man schlief auf seiner Weide,
Man fühlte noch den rechten Trieb zur Freude, –
Man war ein Mensch, man blieb ein Mensch mit Lust, –
Man raubte sie sich selbst nicht aus der Brust,
Man ließ sie sich von keinem Feinde rauben,
Von Fürsten nicht, auch nicht vom Aberglauben!

Man dachte schön noch, stark und frei, wie du,
Man lebte lang' und froh, und starb in Ruh.
Der Schäfer Gott, – wer könnt' unruhig sterben? –
War kein Tyrann, kein Gott nur zum Verderben!
Gott liebte noch das menschliche Geschlecht,
Und Satan war noch nicht sein Büttelknecht.
Er duldete, was seine Hand erschaffen,
Und straft' es nicht mit ewig-zorn'gen Waffen;
Zu seinem Dienst bekehrte keine Wuth,
Zu seiner Lust gerann kein Menschenblut!
Zu Peitsch' und Schwert, zu Strang und Scheiterhaufen
Lief noch kein Volk, den Himmel zu erkaufen.

Ein Rath, ein Schuft, ein Richter und ein Schelm,
Ein Weltmonarch und Panzer, Schwert und Helm,
Des Feldherrn Sieg und Ruhm, ein Scherg', ein Henker,
Ein Ordensband, ein Rechtsgelehrter Zänker,
Ein Ritterpferd, ein Stutzer, ein Prälat,
Ein Rabenstein, ein Galgen, ein Kastrat,
Ein Kämmerer, ein Papst, ein Bürgermeister,
Ein Atheist, und klein' und große Geister;
Ein Hasenfuß, ein Hofmann, ein Pedell,
Ein Sclav', ein Herr, ein Meister, ein Gesell,
Ein Wundermann, ein Narr, ein Schriftgelehrter,
Sind nach und nach entstand'ne neue Wörter.

Die Schäferwelt war nicht der unsern gleich:
Sie war nicht stolz, nicht närrisch und nicht reich;
Ihr Reichthum war ein Feld, ein Bach und Schafe,
Ein Lindenbaum zur Kühlung und zum Schlafe;
Sie ehrte noch die gütige Natur,
Nur was sie gab, das wünschte sie sich nur.
Kein Wunsch, kein Flehn bestürmte das Geschicke,
Ein Priester that noch keine Bubenstücke;
Die Höll' und Höllenfurcht war noch von keiner Kraft,
Es machte noch kein Satan tugendhaft:
Kein Kettenzwang in tiefen Finsternissen,
Kein Schwefelpfuhl erschreckte die Gewissen!
Das Menschenkind hieß noch kein Teufelskind,
Und Satan fuhr durch keinen Wirbelwind;
Das Krokodill, die Katzen und die Affen
Ernährten da noch keine faule Pfaffen!
Es herrschte noch kein Peter und kein Paul,
Aus frommer Pflicht war noch kein Kloster faul.
Kein Pietist schalt auf das Weltgetümmel,
Kein Quäker fuhr lebendig auf zum Himmel!
Es zankte noch kein Martin, kein Johann,
Es schimpfte noch kein Christ den Muselmann!
Man küsste noch kein seliges Gerippe,
Und kein Komet wies Weise zu der Krippe!
Den Heiligen wuchs noch kein Haupt voll Glanz,
Der Teufel hielt noch keinen Hexentanz;
Man sah noch nicht den Fürst der schwarzen Scharen
Dem Blocksberg zu, auf Ofengabeln fahren!

Kein H...nsohn ward Edelmann für Geld,
Kein Attila verwüstete die Welt;
Kein Cato starb, weil ihn ein Herr der Erden
Mit Waffen zwang, sein letzter Knecht zu werden!
Kein Eid betrog des frommen Bruders Mund,
Betrug und List erschlichen keinen Bund;
Die Bürgerpflicht macht jetzt die Häuser sicher,
Dort, ohne sie, war alles bürgerlicher!
Es raubte noch kein Mogul und kein Dieb,
Und jeder Mensch war jedem Menschen lieb!
Kein reicher Narr stolzierte in Carossen,
Kein kluger Narr erwarb sein Brot mit Possen!

Wie edel war die sanfte Menschenhuld,
Das gute Herz, das Mitleid, die Geduld!
Wie groß die Lust naturgemäßer Triebe,
Und o wie rein, wie zärtlich war die Liebe!

Neid, Stolz und Geiz erzogen keinen Held,
Und damals war die rechte beste Welt!

Der beste Theil erlebenswerther Zeiten
Verschwand zu schnell in's Meer der Ewigkeiten!

Bewegt' ein Wunsch das ewige Geschick,
So hohlt' ich ihn durch meinen Wunsch zurück!

 


 


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