Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Gedichte
Johann Wilhelm Ludwig Gleim

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Die freie Liebe

1744

              Wie war es zu der Aeltern Zeit
Wenn sich ein schönes Paar gefrei't?
Der Ehestand war voller Streit,
Voll Einigkeit die erste Liebe.
Wie geht es in der jungen Welt
Wenn sich ein schönes Paar gefällt?
So bald es eh'lich sich gesellt,
Verwandeln sich die ersten Triebe.
* * *
Der allerwürdigste Genuß
Ein süsser und verschwiegner Kuß
Wird bitter durch das Wörtlein: Muß.
Dis war der klugen Alten Glaube.
Ich glaub' es mit, und sage dis:
Vor meinen Mund schmekkt ganz gewiß
Ein Schmätzgen noch einmal so süß,
Wenn ich es schönen Lippen raube.
* * *
Wem seine Liebe glükken soll,
Der prüfe Herz und Nieren wol,
Sonst wird sein Haus von Kummer voll,
Und leer von Lust, und Scherz, und Liebe.
Denn geht es so, wer weiß nicht? wie,
Sie wünscht sich den, er wünscht sich die,
Und beide finden ohne Müh,
Ernehrer der entstandnen Triebe.
* * *
Ein Beispiel ist mir schon bewußt,
Und ohne Lieb' und ohne Lust
Hört Martha: Schätzgen komm du mußt;
Und folgt langsam mit kleinen Schritten.
Wenn sich Bellander eingestellt,
Der sich vor viel geschikter hält,
Von dem sie selbst dis Urteil fällt
So läßt sie sich nicht lange bitten.
* * *
Was würket nicht der schnöde Zwang?
Gefälligkeiten ohne Dank,
Und oft sein ganzes Lebelang
Erkenntniß eh'licher Beschwerden.
Es lebe was sich scherzend übt!
Es lebe was sich mir ergiebt!
Und doch dabei die Freiheit liebt,
Die Freiheit, meinen Schatz auf Erden.

 


 


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