Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Gedichte
Johann Wilhelm Ludwig Gleim

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Der Sternseher.

An Sulzer.

              Der Kenner aller Welten,
Der in dem Sterngewölbe
Nach neuen Sonnen suchet,
Und ohne Scherz und Liebe
Fast jede Nacht durchwachet,
Der bat mit eines Abends,
Einmal mit ihm zu wachen!

Den hochgewölbten Himmel
Erhellten tausend Sterne;
Sie funkelten im Blauen
Und warfen kleine Strahlen,
Wie Lichter Strahlen werfen,
Und brannten still und sicher,
Bis Luna's stolzer Schimmer
Heraufzog und die Tiefe
Beleuchtete, da waren
Vom großen Heer der Sterne
Die kleinen ausgelöschet.

Schnell rief ich nach dem Monde:
»Tyrann, warum entweichen,
Vor deinem größern Glanze,
Die kleinen Himmelslichter?« –
Allein der Sternbeschauer
Beseufzte meinen Aerger
Und rief: »Steh' still, du Dummer!«
Ich stand; er rief: »Steh' fester!«
Und legt' auf meine Schulter
Ein Rohr, als wollt' er schießen;
Ich bat ihn um mein Leben,
Allein ich mußt' itzt lachen,
Denn die vermeinte Flinte
War nur ein langes Auge,
Mit dem er aus dem Himmel
Den Mond herunter holte.
»Da will ich«, sprach er, »oben,
Im Monde Berg' und Thäler
Und Meer' und Flüsse suchen;
Ich will die Berge messen
Und alle Fluren zählen!« –
Er zählte schon bis zwanzig,
Da hört' er auf, und lauter
Als Wächter rufen, rief er:
»Im Monde wohnen Mädchen!«

Er, der noch nie gelächelt,
Fing plötzlich an zu lachen,
Und sahe nach dem Monde,
Und lachte plötzlich wieder,
Und sprach noch halb im Lachen:
»Ha, welche kluge Mädchen!
Sie tanzen unter Knaben
Nach richtigen Figuren,
Nach Winkeln und Quadranten,
Und spielen mit Quadranten,
Und stehn auf hohen Gipfeln,
Und sehn mit längern Augen
Als Euler und Kopernik!
Ich habe nie mit Mädchen
Getanzt, noch nie gespielet;
O könnt' ich doch im Monde
Mit jenen Mädchen spielen!«

»Ach, liebster Sternbeschauer«,
Sprach ich, »laß mich die Mädchen
Mit deinem Auge sehen!«
Gleich griff er an mein Auge
Und sprach, wie Zaubrer sprechen:
»Dein Auge werde länger!«

Doch als er dieses sagte,
Da ließ ein schönes Mädchen
Das mich und ihn belauschte,
Das ich und ihn verlachte,
Die schwarzen Augen funkeln.
Schnell rief ich: »Sternbeschauer,
Mein Auge soll nicht wachsen;
Statt aller deiner Mädchen
Im Monde, nehm' ich dieses!«

 


 


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