Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Gedichte
Johann Wilhelm Ludwig Gleim

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Das Thierchen ohne Nahmen

1745

              Am zwanzigsten des Maien,
An dem du mich, o Doris,
Nicht immer küssen woltest,
Saß an dem weissen Halse
Der freundlichen Filinde
Ein kleines schwarzes Thierchen.
Ich weiß es nicht zu nennen;
Dis weiß ich, daß es hüpfet,
Wie Grasepferde hüpfen,
Und daß es oft entwischet,
Wenn es erzürnte Schönen,
Im freien Felde jagen.
Ein Kenner der Insekten,
Beschrieb mir jüngst das Thierchen.
Er sprach: Es wird bei Schönen
Geboren und erzogen,
Es wohnet bei den Schönen,
Und wagt sich nur zu Männern,
Wenn sie mit Schönen spielen.
Ein solch beglükktes Thierchen
Saß an dem weissen Halse
Der freundlichen Filinde.
Ich wolt es schnell erhaschen,
Und dann wolt ich es fragen;
Wie wohnt es sich bei Schönen?
Allein es sprang vom Halse,
Und hüpfte nach den Hügeln,
Die an dem Halse grenzen.
Ich sah es wieder sitzen.
Es sah sich um, und lachte,
Und, triegen nicht die Minen,
So schiens, als wolt es sprechen:
Nun soll du mich nicht kriegen,
Itzt will ich weiter hüpfen.
Du darfst mich nicht verfolgen,
Wohin ich itzo hüpfe.
Du hörtest nicht, Filinde,
Als ich zum Thierchen sagte:
Adieu du kleiner Springer,
Dürft ich dich nur verfolgen,
Wie bald wolt ich dich kriegen!

 


 


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