Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Gedichte
Johann Wilhelm Ludwig Gleim

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Der gute Freund

          Mein guter Freund hat viel verlohren!
Denn, seine liebe Poesie
Liebt er nicht mehr, verschließt die Ohren
Der süßen Musen-Harmonie!

Mein guter Freund, im Musen-Orden
Ein Edler Ritter, schon so früh,
Ist nun geheimer Rath geworden,
Und schämt sich seiner Poesie!

Auf seine Höh' ist er erhoben
Durch seine liebe Poesie!
Und nun kann er in Prose loben,
Kann schelten auf die Poesie!

Die Poesie war seine Freude.
Des Abends spät, des Morgens früh,
Dem Glück ein Trotzer, und dem Neide
Saß er bey seiner Poesie!

Saß er bey meinen lieben Musen,
Im kleinen Tempel des Apoll
Und dichtete, den jungen Busen,
Von Freundschaft, und von Liebe voll!

Die Poesie war seine Hülfe,
War ihm nicht wohl, so rief er sie!
Saß, wie ein Rohrsperling im Schilfe,
Bey seiner lieben Poesie!

Sang die Gedanken, die er dachte,
Der Liebe, nicht der Timonie!
Sangs alles leichte, scherzte, lachte,
Bey seiner lieben Poesie!

O wie so wohl ist ihm gewesen,
So lang er, wie ein Läufer, lief,
Wenn ihn, zum Singen oder Lesen,
Freund, oder Musenmädchen rief!

O, wie so froh hat er gesessen,
Mit uns, vertraut an einem Tisch!
O, wie so gern hat er gegessen
Mein Ey, und meinen kleinen Fisch!

O, wie so froh hat er getrunken
Mein Gläßchen Wein, der gute Mann!
Aus seinem Geiste stoben Funken,
Und steckten unsre Geister an!

Nun aber, ach! sitzt er so kläglich,
Der arme Herr geheime Rath!
An einer Tafel, die er täglich
Mit Schüsseln zu besetzen hat!

Nun aber, ach! fängt er die Grillen,
Die er sonst nie gefangen hat!
Nun aber, ach! seufzt er im Stillen,
Der arme Herr geheime Rath!

Denn, alles fast hat er verloren,
Seit seine liebe Poesie
Verschwunden ist, aus Herz und Ohren,
Mit ihrer süßen Harmonie!

Du wollest, o du lieber König!
Zu deinem Herrn geheimen Rath
Mich doch nicht machen; weil so wenig
Mein guter Freund behalten hat!

 


 


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