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9. Der Wolf und der Fuchs

Wie kommt's, das niemand sich bescheidet
Mit seinem Rang und Stand? Es wär'
Soldat am liebsten grade der,
Den wieder der Soldat beneidet.

Ein Fuchs möcht' sehnlichst gern vom Stamm
Der Wölfe sein. Nun, wer kann sagen,
Ob nicht auch mancher Wolf, ein Lamm
Zu werden, schon Begehr getragen?

Denkt nur: ein Prinz, der kaum acht Jahr,
Macht' eine Fabel draus; indessen
Schmied' ich mit meinem grauen Haar
Müh'selge Verse, die noch gar
Mit seiner Prosa sich nicht messen.

Viel einzelnes ist ausgeführt
In seiner Fabel und vertreten
Mehr als beim Dichter; drum gebührt
Mehr Lob dem Kind als dem Poeten.

Schalmeien nur und Hirtenflöten
Kann blasen ich; allein ich weiß:
Bald greif' zu meines Helden Preis
Ich zu Posaunen und Drommeten.

Nicht zähl' ich mich zu den Propheten;
Doch les' am Himmel ich: Sein Ruhm
Wird nächstens und sein Heldentum
Homere heischen, mehr als einen:

Und diese Zeit gebiert wohl keinen.
Doch jetzt beiseite das! Es scheinen
Mysterien. Gehn wir grad' auf unsre Fabel los!

Zum Wolfe sprach der Fuchs: »Mein Freund, oft hab' ich bloß
'nen alten Hahn zum Mahl, ein magres Huhn. Welch Los!
Solch Fleisch, vor dem mir ekeln möchte!
Du nährst dich besser und gegen Gefahr gedeckt:
Ich schleich' in Häuser mich, du bleibst im Wald versteckt.
Zeige mir, wie du's machst, mein Freund! Zu gerne brächte
Als erster von dem Fuchsgeschlechte
'nen fetten Hammel ich für meinen Schnabel auf.
Undankbar wirst du nie mich finden, rechne drauf.«
»»Das will ich«« sagt der Wolf »»Ein Bruder starb mir neulich;
Komm, holen wir sein Fell, du hüllst darin dich ein.««
Er tut's; der Wolf spricht: »So! Nun mach' es ganz getreulich
Mir nach! Zu täuschen gilt's zunächst den Schäferhund.«
Der Fuchs hüllt in das Fell sich und
Macht treulich alles nach, wie's ihn sein Meister lehrte,
Erst etwas ungeschickt, dann besser – so viel tut
Die Übung – und zuletzt so gut,
Daß zur Vollkommenheit er fast nichts mehr entbehrte.
Da kommt 'ne Herde an. Der neue Wolf eilt keck
Herbei und breitet weit ringsum nur Angst und Schreck.
So mocht' in Angst Patroklus jagen
Lager und Stadt, als er Achills Rüstung getragen:
Alles lief, Weib und Greis, zur Tempelpforte her.
An fünfzig Wölfe glaubt zu schaun das Blöker-Heer;
Hund, Herd' und Hirten konnt' ins Dorf man fliehen sehen,
Ein einzig Schaf nur ließ man ihm als Beute stehen.
Der Räuber packt es an. Doch ein'ge Schritt von dort
Hört in der Nachbarschaft er eines Hahnes Krähen.
Da läuft der Schüler hin, dem Hahne nach, sofort,
Wirft ab die Schülertracht in Schnelle,
Vergißt Schaf, Unterricht und Lehrer gleich und eilt
Zum neuen Fange unverweilt.

Was hilft es, daß man sich verstelle?
Man täuscht sich, wenn man glaubt, dies ändre die Natur;
Der ersten Lockung folgt man schnelle
Wieder in seine erste Spur.

Dein Geist, mein Prinz, ob allen hoch erhaben,
Ist es, dem meine Mus' alles verdankt diesmal:
Thema und Reden und Moral
In dem Gedicht sind deine Gaben.


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