Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

5. Der Hahn, die Katze und das Mäuschen

Ein junges Mäuschen, das nichts von der Welt noch sah,
Kam dem Verderben ziemlich nah.
Hört, wie's der Mutter selbst erzählt sein Abenteuer:
»Den Berg erklomm' ich, der dort unser Reich umschließt,
Und wie ein Kind, das froh genießt,
Renn' ich und freu' mich ungeheuer,
Als mein erstaunter Blick zwei Tiere jetzt gewahrt,
Das eine mild, von sanfter Art,
Das andre ungestüm, rastlos flatternd und springend,
Die Stimme rauh und markdurchdringend,
Aufs Haupt ein Stückchen Fleisch geklebt,
Und eine Art von Arm, den wie zum Flug es hebt;
Hinten sah einen Schweif ich ragen,
'nem Helmbusch gleich zur Schau getragen.«
Was war's? Es war ein Hahn, den unser Mäuschen klein
So schildert seinem Mütterlein,
Als wär's ein Tier, das aus Amerika gekommen.
»Die Seiten schlug er« sprach's »mit seinen Armen sich
Und macht 'nen Lärm so fürchterlich,
Daß ich, dem, Gott sei Dank, sonst nicht der Mut benommen,
In scheuer Flucht mein Heil gesucht
Und ihn von Herzensgrund verflucht.
Ja, wär' er nur nicht dagewesen,
Macht' ich Bekanntschaft wohl mit jenem feinen Tier,
Es ist so sammetweich wie wir,
Gefleckt, langschwänzig, von demütig sanftem Wesen,
Bescheidnem Blick und doch 'nem Auge glänzend klar;
Und Freundschaft fühlt's, ich glaub's fürwahr,
Für unser edles Volk, auch gleichen seine Ohren
Ganz denen, die uns angeboren.
Ich wollt' ihm nahn, wär bei des andern gellem Ton
Mir besser nicht die Flucht erschienen.«
Die Alte drauf: »Der Schelm, 'ne Katze war's, mein Sohn,
Die unter heuchlerischen Mienen
Sich gegen unser ganz Geschlecht
Nichtswürd'ger Bosheit nur erfrecht.
Das andre Tier dagegen, grade
Sehr weit entfernt, daß es uns schade,
Dient uns vielleicht noch einst als gutes Mahl; doch sie,
Die Katze, lebt von uns und frißt uns, Groß' und Kleine.
Hüt' dich und schätz' im Leben nie
Die Menschen nach dem äußern Scheine.


 << zurück weiter >>