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6. Der Wolf und der Fuchs

Wie kommt Äsop nur drauf, wenn er vom Fuchse spricht,
Den höchsten Preis der List und Schlauheit ihm zu geben?
Ich suche nach dem Grund, allein ich find' ihn nicht.
Ich finde, daß der Wolf, verteidigt er sein Leben,
Oder fällt er 'nen andern an,
Genau so viel als jener kann.
Ich glaub', er kann noch mehr; fast möcht' ich mich erfrechen
Und meinem Meister hier ein wenig widersprechen.
Doch jetzt erzähl' ich was, das alle Ehre macht
Dem Fuchs. Des Mondes Bild sah er in einer Nacht
Auf tiefen Brunnens Grund; er hielt für 'nen enormen
Käse der Scheibe runde Formen.
Zwei Eimer schöpften, ab und auf
Wechselnd, das kühle Naß herauf.
Das Füchslein, dem das Herz vor Gier und Hunger bebte,
Setzt' in den Eimer sich, der hoch am Rande schwebte,
Und ließ in ihm sich schnell hinab.
Nun sitzt er da im feuchten Grab,
Merkt seinen Irrtum, und mit Bangen
Sieht er sich schon vom Tod umfangen;
Denn wie wieder hinaus, käm' nicht ein andrer her.
Den auch das Bild getäuscht, und der,
Sein Unglück teilend, ihm zur Seite,
Ihn auf demselben Weg aus seiner Not befreite?
Zwei Tage waren schon vergangen; Keiner kam.
In den zwei Nächten schnitt die Zeit unaufhaltsam
Ein Stück, in altgewohnter Weise,
Dem silberstrahlenden Gestirn aus seinem Kreise.
Verzweifelnd sitzt Herr Reineke und matt.
Gevatter Wolf, der alte Nimmersatt,
Geht jetzt vorbei. Der andre ruft: »Mein Lieber,
Ich schenk' dir was: 'nen Käs, herrlich, wie keinen du
Gesehn; Gott Faunus selbst bereitet' ihn zu,
Die Milch gab Io ihm, die Kuh.
Zeus, wär' er krank und läg' im Fieber,
Genäse, hätt' er sich an solcher Kost geletzt.
Den Schnitt hab' ich schon aufgegessen,
Der Rest ist immer noch für dich ein fettes Fressen.
Steig' in den Eimer, den für dich ich hingesetzt.«
Er macht, so gut er kann, die Sach' ihm noch viel klarer.
Der Wolf, der's glaubt – so töricht war er –
Steigt ein, und sein Gewicht, sinkend in schnellem Lauf,
Zieht Meister Reineke hinauf.

Spotten wir nicht, als ob wir nicht verführbar wären
Durch Dinge, grundlos ganz wie das!
Leicht glauben ja wir alle, was
Wir fürchten und was wir begehren.


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