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7. Der Mann vom Lande am Donaustrande

Nicht nach dem äußern Schein soll man die Leute schätzen.
Der Rat ist gut, jedoch nicht neu; schon wies ich's nach
An Mäuschens Irrtum, und ich sprach
Von dem schon, was ich hier will auseinandersetzen.
Heut führ' ich euch als Zeugen an
Den guten Sokrates, Äsop und einen Mann
Vom Donaustrand, des Bild, getreulich nach dem Leben
Gezeichnet, Marc Aurel gegeben.
Die Ersten sind bekannt, der andre sei euch hier
In Kürze dargestellt von mir.
Er hatt' ein Kinn, das voll bedeckt von strupp'gem Bart war;
Der ganze Kerl, der dicht behaart war,
Schien mehr ein Bär zu sein, ein Bär, noch ungeleckt.
Tief unter busch'ger Brau' lag ihm das Aug' versteckt;
Schieler Blick, schiefe Nas' und aufgeworfne Lippe;
Sein Rock ein Ziegenfell, 'ne Strippe
Als Gurt, gedreht aus Schilf und Tang.
Die Mißgestalt kam als Gesandter all' der Städte,
Welche die Donau netzt. Dort gab es keine Stätte,
Wohin nicht röm'sche Habgier drang
Und nicht mit Räuberhand die blut'ge Geißel schwang.
Der Mann trat vor und sprach nach einigem Bedenken:
»Römer, und du, Senat, die ihr mich hören wollt!
Erst fleh' die Götter ich, mir freund zu sein und hold:
Geben die Ewigen, die meine Zunge lenken,
Daß nichts ich sage, was sich tadelnswert erweist!
Ohn' ihre Hilfe steht dem Bösen unser Geist
Offen, den Ränken und Kabalen.
Indem man sie umgeht, wird ihr Gebot verletzt.
Seht uns, wie Strafe wir der röm'schen Habgier zahlen!
Mehr unsre Missetat als euer Sieg macht jetzt
Rom, ach! zum Werkzeug unsrer Qualen.
Hütet, ihr Römer, euch, daß nicht einst komm' der Tag,
Der unsre Tränen heim euch, der verhältnisvolle,
Und unsre Leiden bring', in rechtem Widerschlag
Sieg unsern Waffen leih' und uns Vergeltung zolle,
An dem der Himmel euch im Grolle
Zu unsern Sklaven machen mag!
Warum sind eure wir? Man soll mir Antwort geben:
Worin seid besser ihr als andre Völker? Und
Welch Recht macht euch zu Herrn über das Erdenrund?
Weshalb verstört ihr ein unschuldig harmlos Leben?
In Frieden bauten wir glückliche Felder; wir
Sind fähig für der Kunst und des Landbaus Geschäfte.
Was lehrtet die Germanen ihr?
Sie haben Mut und Geisteskräfte;
Wären sie gierig, wie ihr's seid,
Und voll Gewalttat, fiel' am Ende,
Statt in die euren, jetzt die Macht in ihre Hände,
Und sie gebrauchten sie gewiß mit Menschlichkeit.
Wie es bei uns zu Land eure Prätoren treiben,
Ist in der Tat nicht zu beschreiben.
Selbst eurer Götter heil'ge Macht
Kann unentweiht davon nicht bleiben;
Denn, wißt, die Ew'gen haben acht
Auf unser Tun. Sie schau'n – ihr gebt ja die Exempel!
Was Abscheu nur erregt, wohin ihr Auge späht:
Mißachtet sich und ihre Tempel,
Und eine Habgier, die oft bis zum Wahnsinn geht.
Wen Rom uns sendet, den befriedigt keine Beute;
Besitz und Arbeit unsrer Leute
Martern umsonst sich ab, zu sätt'gen jener Gier.
Ruft sie zurück; nicht wollen wir
Fürder für sie die Felder bauen.
Wir fliehen ins Gebirg, verlassen Städt' und Auen,
Scheiden von unsern lieben Frauen;
Wir wollen kein Geschlecht erzeugen, das gebannt
Ans Elend ist, für Rom bevölkern nicht ein Land,
Dem unter seinem Druck die Freiheit ging verloren.
Den Kindern, die vorher uns gab
Der Himmel, wünschen wir ein möglichst frühes Grab;
Dem Unglück paaren so den Frevel die Prätoren.
Ruft sie zurück, sie impfen uns nur ein
Der Üppigkeit, des Lasters Schande!
Bald werden die Germanen sein,
Wie sie, 'ne gier'ge Räuberbande.
Das ist's, was meinem Blick sogleich in Rom sich bot:
»Habt ihr nicht etwas zu verschenken?
Kein Ämtchen zu verleihn?« Vergeblich ist's, zu denken
An Schutz durch das Gesetz: durch tausend Kniffe lenken
Sie stets weit ab vom Ziel. Mein Wort, das unsre Not
Euch schildert, wird euch nicht behagen.
Ich schließe. Strafet mit dem Tod
Mein vielleicht zu aufrichtig Klagen!«
Er wirft sich hin; erstaunt ist alles und besiegt
Durch die Beredsamkeit, die so hochherzig kühne,
Des Wilden, der am Boden liegt.
Man gibt den Adel ihm: dies sei die einz'ge Sühne,
Die solcher Rede wohl gebührt. Man wählt sofort
Andre Prätoren; Wort für Wort
Schreibt nieder man die Red', auf den Befehl der Alten,
Als Lehr' und Muster für die Redner künft'ger Zeit.
Nicht lang' hat sich in Rom gehalten
Diese Art von Beredsamkeit.


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