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Achtes Buch

1. Der Tod und der Sterbende

Dem Weisen macht der Tod nicht bange;
Zu scheiden ist er stets bereit,
Stets ist gewärtig er der Zeit,
Da's sich zu rüsten gilt zu jenem letzten Gange.
Und diese Zeit umfaßt, ach! alle Frist,
Die eingeteilt in Tag, Stund' und Minuten ist;
Kein Augenblick, der nicht verfallen
Ihrem Verhängnis wär', denn sie gebietet allen.
Die allererste Stund', in der ein Königssohn
Dem Licht auftut die Augenlider,
Ist oft auch seine letzte schon
Und schließt sie ihm auf ewig wieder.
Was helfen Größe, Ehr' und Treu',
Schönheit und Jugend dir, was Tugend dir und Glaube?
Der Tod rafft alles ohne Scheu
Dahin, und einst wird ihm die ganze Welt zum Raube.
Nichts ist uns minder unbekannt,
Und nichts, obwohl's noch nimmer fehlte,
Da minder uns gerüstet fand.

Ein Sterbender, der mehr als hundert Jahre zählte,
Beklagte sich beim Tod, daß er mit solcher Hast
Ihn zwingen wollt', sogleich das Ew'ge zu ererben,
Eh' er sein Testament verfaßt,
Ohn' alle Mahnung selbst. »Ist's« sprach er »recht, zu sterben
So flücht'gen Fußes? Wart' doch noch ein Weilchen nun;
Mein Weib will, nur mit ihr soll ich den Himmel schauen,
Auch möcht' ich manches noch für meinen Neffen tun;
Laß mich doch an mein Haus noch einen Flügel bauen.
Was bist du eilig doch, du Gott voll Schreck und Grauen!«
Der Tod drauf: »Alter, du nennst Überraschung dies?
Mit Unrecht wagst du mir ob meiner Hast zu fluchen.
Zählst du nicht hundert Jahr? Du sollst mir in Paris
Zwei, die so alt wie du, zehn in ganz Frankreich suchen!
'ne Mahnung forderst du von mir, die hin dich wies
Zur Vorbereitung auf das Ende:
Dann hätt' dein Testament ich noch geschaut,
Versorgt dein Neffen und dein Haus ganz ausgebaut.
War es dir Mahnung nicht genug, als dir die Hände
Und Füße schlotterten, die Stirn
Sich runzelte und Herz und Hirn
Schwach ward, als dir Geschmack und Sehn und Hören schwanden
Und deine Sinne kaum noch irgend was empfanden?
Vergebens strahlt sein Licht des Tags Gestirn dir her;
Das Glück, um das du klagst, ist längst für dich nicht mehr.
Die Freunde sahst du all' mit Bangen
Im Tode dir vorangegangen.
Ist all' dies Mahnung nicht genug? Ich hätt's gedacht!
Drum fort jetzt, Alter, ohne Wimmern!
Der Staat wird wenig sich drum kümmern,
Ob du dein Testament gemacht.«

Der Tod hat recht: mir scheint, man sollt' in hohen Jahren
Vom Leben gehn, wie sich's bei einem Mahl gebührt,
Dem Wirte dankend und das Bündel stets geschnürt.
Wie lange meint man denn die Reise aufzusparen?
Du, Alter, murrst? Schau, wie die Jugend unverweilt
Dort einem Tod entgegeneilt,
Schön und erhaben zwar, ruhmreich und heldenmutig,
Doch sicher fast, und oft, ach! grauenvoll und blutig!
Ich pred'ge dir umsonst, mein Eifer ist betört:
Am mindsten gern stirbt, wer dem Tod schon angehört.


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