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21. Der Falk und der Kapaun

Oft lockt euch eine Stimm', um dann euch zu verraten;
Seid klug und folgt nicht gar zu schnell.
Glaubt mir, weiland der Hund von Johann von Nivell'
War gar nicht dumm: er roch den Braten.

Ein Bürger von Le Mans, Kapaun von Rang und Stand,
Ward einst von seines Herren Gnaden
Vor seiner Laren Sitz geladen,
Vor jenen Richterstuhl, gewöhnlich » Herd« genannt.
Die Leute lockten ihn mit heuchlerischem Munde:
»Kerlchen! Kerlchen! Kerlchen!« Doch ihm fiel's gar nicht ein;
Der Schelm erwiderte und ließ die Leute schrein:
»Schön Dank!« Eu'r Köder müßt' nur gar so plump nicht sein;
Ich beiß' nicht drauf, aus gutem Grunde!«
Von seiner Stange sah ein Falk, wie in der Flucht
Unser Normann sein Heil nun sucht.
Kapaune nahn uns – sei's Instinkt, sei es Erfahrung –
Nur mit vorsichtiger Verwahrung.
Der unsre, welchen man mit Mühe nur erwischt,
Sollt' sich am nächsten Tag, als Braten aufgetischt,
An einem Abendschmaus beteil'gen – eine Ehre,
Nach der er nicht zu gierig hascht!
Der Jagdfalk sagt zu ihm: »Ich bin ganz überrascht
Ob Eures Unverstands. Ihr seid doch geistesleere
Geschöpfe, Lumpenpack, das nichts lernt und nichts tut!
Ich fliege aus zur Jagd und kehr' zum Herrn dann wieder.
Seht, dort schaut er vom Fenster nieder.
Er ruft Euch; seid Ihr taub?« »»Ich höre nie zu gut!««
Entgegnet der Kapaun »»Was will er mit mir machen?
Und dort der nette Koch, das Messer in der Hand?
Hieltet Ihr dieser Lockung Stand?
Laßt mich entfliehn, hört auf zu lachen
Der Ungelehrigkeit; sie treibt mich grad' zur Flucht,
Wenn mit so süßem Ton man mich zu locken sucht.
Säht täglich Ihr an Bratennadeln
So viele Falken aufgespießt
Als ich Kapaun' – Ihr unterließt
Ganz sicher dann, mich auf so herbe Art zu tadeln.««


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