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4. Die Fische und der Seerabe

Es gab wohl keinen Teich ringsum im ganzen Kreise,
Den der Seerabe nicht besteuert bis aufs Blut:
Weiher und Kasten zahlt' ihm reichlichen Tribut.
Sein Tisch war gut bestellt. Doch da die Zeit zum Greise
Das arme Tier gemacht, ist jetzt
Derselbe Tisch oft schlecht besetzt.
Seeraben sorgen selbst für ihre Lieferungen;
Der unsre, dessen Aug' vor Alter blöd' und matt,
Und der nicht Garn noch Netze hat,
War oft vom Hunger fast bezwungen.
Was tun? Die Not, der schon so manche List gelungen,
Lehrt eine ihn. Er sieht an Teiches Rand, nicht weit,
'nen Krebs; den denkt er anzuwerben:
»Gevatter« sagt er ihm »geh, mach' dich schnell bereit,
Bring' eine wicht'ge Neuigkeit
Dem Volk dort unten. Es muß sterben!
Heut in acht Tagen fischt der Herr im ganzen Teich.«
Der Krebs beeilt sich alsogleich
Und meldet's. Groß ist die Bewegung:
Versammlung, heftige Erregung.
Hin schickt man: »Meister Kormoran,
Ist es denn wahr? Wer hat die Meldung euch getan?
Stehn wirklich gar so schlimm die Sachen?
Wißt ihr ein Mittel? Sagt, wie sollen wir es machen?«
»»Auswandern!«« spricht er. »Doch wie fangen wir es an?«
»»Ich trag' in mein Asyl euch alle, Mann für Mann,
Drum macht euch weiter keine Sorgen;
Außer Gott ist nur mir der Weg dorthin bekannt,
Es gibt kein Plätzchen, so verborgen.
Ein Weiher, den Natur dort grub mit eigner Hand,
Den keines Menschen Tücke fand,
Dorthin mag euer Staat auswandern.««
Man glaubt's, und einen nach dem andern
Des Wasservölkchens trug er fort
Nach seinem stillen Felsenort.
Der saubre Heil'ge holt von denen,
Die er in einen Raum gedrängt,
Der hell und flach und höchst beengt,
Mühlos sich heute den zum Mahl und morgen jenen.
Er zeigte ihnen, daß man nie
Vertraun darf einem, der ein Schinder und Erpresser;
Und schweres Lehrgeld zahlten sie.
Ihr Schade war nicht groß: des Menschen Schlächtermesser
Hätt' ihnen andernfalls doch bald den Tod gebracht.

Wer dich verschlingt, ob Mensch, ob Wolf? Ein jeder Fresser
Scheint mir ganz gleich in dem Betracht;
Ob gestern oder heut, das macht
Die Sache schlimmer nicht noch besser.


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