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4. Die Macht der Fabel

An Herrn von Barillon

Eines Botschafters Würde – kann
Sie wirklich sich herab zu kleinen Fabeln lassen?
Dir ihren leichten Scherz zu bieten – wird sich's passen?
Und nehmen manchmal sie des Ernstes Würde an,
Wirst als verwegen du und keck sie dann nicht hassen?
Du mußt mit andrem dich befassen,
Als, wie das Häschen sich ergötzt
Und mit dem Wiesel bricht 'ne Lanze.
Lies oder lies sie nicht; doch jetzt
Verhindre nur, das man das ganze
Europa auf den Hals uns hetzt.
Ob auch aus jeder Erdenscholle
Ein Heer von Feinden uns ersteh' –
Mag sein! Allein, daß England wolle,
Daß unsrer Könige Freundschaft zu Ende geh',
Werd' ich nur schwer begreifen können.
Soll Ludwig immer denn noch keine Rast sich gönnen?
Welch andrer Herkules erlahmte nicht im Streit
Mit jener Hydra? Wüßt' ich nur, was wir gewönnen,
Wenn seinem starken Arm ein neues Haupt sie beut?
Vermag dein Geist, beredt und schneidig,
Die Herzen milder und geschmeidig
Zu machen, daß erspart uns bleibt des Krieges Spiel,
Will hundert Widder ich dir opfern; das ist viel
Für einen Bürger des Parnasses.
Für heut nimm meines Weihrauchfasses
Bescheidne Gabe gnädig an;
Nimm meine heißen Wünsche dann
Und dies Gedicht, daß hier ich dir zu Füßen lege.
Sein Gegenstand paßt wohl für dich, mehr sag' ich nicht;
Das Lob, das selbst die nimmer träge
Zunge des Neids dir nicht abspricht –
Du willst nicht, das man es erwäge.

In Athen, dessen Volk gar leicht und eitel war,
Bestieg ein Redner einst die Bühne; in Gefahr
Sah er das Vaterland, und in die Herzen dringen
Wollt' er, durch die Gewalt der Rede sie bezwingen;
Fürs allgemeine Wohl bot alle Kraft er auf.
Man hört' ihn nicht. Da griff der Sprecher im Verlauf
Der Rede zu den stärksten Mitteln,
Die selbst den trägsten Geist vermögen aufzurütteln:
Er donnert, was er kann, er weckt die Toten auf –
Alles nur in den Wind, und niemand achtet drauf.
Es ward 'mal heut und an dem Orte
Das tausendköpf'ge Tier zu keinem Ernst gebracht:
Rings sah'n sich alle um; er merkt, sie gaben acht
Auf Kinderprügelei'n und nicht auf seine Worte.
Was tat der Redner? Er versucht's auf andre Art:
» Ceres« so fing er an »macht' einstmals eine Fahrt
Mit Aal und Schwalbe. Auf der Reise
Hielt sie ein Wasser auf; der Aal, kundig genug
Des Schwimmens, und die Schwalb' im Flug
Kamen bald drüber weg.« Sogleich einstimmig frug
Das Volk: »Was tat Ceres?« Erwidernd drauf der Weise.
»Was Ceres tat? Es wallt' ihr Blut
Auf gegen euch in Zorn und Wut.
Wie, Kinderfabeln sind's? wonach ihr Volk nur trachtet?
Und die Gefahr, in der es schmachtet,
Kümmert den Leichtsinn nicht und seinen Übermut!
Warum fragt ihr denn nicht, was König Philipp tut?«
Das durch das Gleichnis schnell erwachte
Und zur Besinnung bald gebrachte
Volk hatte nun des Redners acht.
Ein Stückchen Fabel hat's gemacht.

Athener sind wir all' in diesem Punkt. Nicht lügen
Will ich: Hätt' einer mir, als ich dies niederschrieb,
Die » Eselshaut« erzählt, ich blieb
Wohl selber stecken vor Vergnügen.
Man sagt, die Welt ist alt. Ich glaub' es; doch gewinnt
Nur, wer sie unterhält, als wäre sie ein Kind.


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