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12. Die beiden Papageien, der König und sein Sohn

Zwei Papageien, Vater war's und Sohn,
Die an des Königs Tisch ihr Futter fanden;
Bei Sohn und Vater, zwei Halbgöttern standen
In Gunst die beiden Vögel, nah dem Thron.
Das Alter hält mit wahrer Freundschaft Banden
Umschlungen sie: die Väter liebten sich;
Die Kinder auch, obwohl leichtsinnig, schlossen
Sich aneinander fest und brüderlich
Beide, der Schule wie des Mahls Genossen.
Das war viel Ehre für den jungen Papagei;
Ein Prinz war jenes Kind, sein Vater war ein König,
Und gut geartet von Natur, hat er nicht wenig
Die Vögel lieb. Ein Spatz, leichtfertig, keck und frei
Und der verliebteste in sämtlichen Provinzen,
Erfreute gleichfalls sich der Gunst des jungen Prinzen.
Dies Nebenbuhlerpaar spielt' einstmals und geriet,
Wie's jungen Leuten wohl geschieht,
Dabei in Streit. Es ward zerschlagen,
Zerhackt der unvorsicht'ge Spatz
So arg, daß flügellahm vom Platz
Er und halbtot ward fortgetragen:
Man meint, daß er unheilbar sei.
Der Prinz erschlug den Papagei
Im Zorn. Der Alte hat es bald vernommen.
Verzweifelnd weint' und schrie der Ärmste; nichts mehr frommen
Konnt' es, umsonst war all' sein Weh und Ach;
Der sprachbegabte Vogel lag im Sarge.
Vielmehr, der Vogel, der jetzt nicht mehr sprach,
Versetzt in Wut den Vater, in so arge:
Des Prinzen Augen hackt er aus mit mächt'gem Stoß.
Sogleich flieht er und birgt unter dem Wipfeldache
'ner Tanne sich; dort, in der Götter Schoß,
Sitzt er an sichrem Ort und freut sich seiner Rache.
Der König eilt herbei und lockt ihn: »Kehr' zu mir
Zurück, mein Freund! Was hilft uns noch das Weinen hier?
Haß, Rache, Trauer, – laß all das uns jetzt vergessen.
Wie groß mein Schmerz, doch sag' ich dir:
Die Schuld ist unser – wohl ermessen
Hab' ich's – sie trägt mein Sohn in seines Zornes Wahn.
Mein Sohn? Nein, nicht mein Sohn, das Schicksal hat's getan!
Eins unsrer Kinder sollt' – so stand's im Buch der Parze –
Sterben, das andere erblinden; sieh, das schwarze
Verhängnis mußt' uns also nahn.
Kehr' wieder heim, laß uns einander Trost zusprechen!«
Der Vogel: »Meinst du wirklich, Mann,
Daß nach so blutigem Verbrechen
Ich dir mich anvertrauen kann?
Dem Schicksal gibst du Schuld; denkst du im Ernst daran,
Durch solche Lockungen mein Mißtraun abzuschwächen?
Mag die Vorsehung nun, mag blinden Schicksals Macht
Die Ordnung dieser Welt besorgen,
Fest steht's: auf dieses Baums unnahbar hoher Wacht
Oder in tiefem Wald geborgen,
Bring' meine Tag' ich hin; fern sei von dir verbannt,
Was stets mit Recht ein Gegenstand
Des Hasses und der Wut dir wär'! Ich weiß, die Rache
Gehört den Kön'gen, da ihr doch mal Götter seid.
Vergessen wolltest du die Sache?
Ich glaub's; doch deinem Aug' und deinem Arme weit
Zu bleiben, halt' ich für gescheit.
Herr König, werter Freund, du sprichst umsonst, drum laß es!
Rückkehr? Niemals! Die Trennung tut
Das ihre schon: sie ist zur Heilung wüt'gen Hasses,
Wie gegen Lieb' als Pflaster gut.«


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