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15. Die Kaninchen

Eine Betrachtung, dem Herrn Herzog de la Rochefoucauld gewidmet

Oft hab' ich mir gesagt, sah ich das Tun und Schalten
Des Menschen, und wie sein Verhalten
In tausend Fällen dem der Tiere ganz entspricht:
Der Herr der Schöpfung hat doch wen'ger Mängel nicht
Als seine Sklaven. Jedem Wesen
Gab die Natur ein auserlesen
Körnlein von jener Mass', aus welcher schöpft der Geist –
Den Geist, der Körper ist, mein' ich, aus Stoff gewoben –
Wie euch das Folgende beweist.

Zur Zeit der Dämmerung – sei's daß das Licht von oben
Mit seinem letzten Strahl die feuchte Erd' erhellt,
Sei's daß die Sonne sich zu neuem Lauf erhoben,
Und nicht mehr Nacht und noch nicht Tag ist in der Welt –
Erklimm' ich einen Baum an Waldes Rand; dort sitze
Ich, wie ein junger Zeus auf dem Olymp, und blitze
Auf ein Kaninchen, wenn sich just
Mir schußgerecht eins vorgeschoben.
Gleich flieht das ganze Volk Kaninchen, das voll Lust
Im Heidekraut, mit heitrem Toben,
Mit offnem Aug' gespitztem Ohr,
Mit Thymian gewürzt ihr Mahl noch kurz zuvor.
Vom Knall verscheucht, sucht wie besessen
Die ganze Schar im ersten Schreck
Ihr unterirdisches Versteck.
Ist die Gefahr vorbei, ist auch die Furcht vergessen,
Und das Kaninchenvolk kommt zu des Mahls Genuß,
Noch heitrer als zuvor, mir wieder vor den Schuß.

Ob an der Menschen Tun uns dies nicht mahnen muß?
Von des Sturms Gewalt verschlagen,
Kaum genaht dem sichern Port,
Sieht man neuen Sturm sofort,
Neuen Schiffbruch man sie wagen.
Ganz Kaninchen zeigen dann
Sie sich in Fortunas Händen.
Zu einem andern Fall will ich sogleich mich wenden.

Kommt fremder Hunde Schar in einem Dorfe an,
Das nicht in ihrer Heimat Bann,
Welch ein Geheul und welch Gebelle!
Des Dorfes Hunde, auf der Stelle
Von Futterneid erfaßt, mit manchem scharfen Biß
Verfolgen sie die Fremden bis
An des Gebietes letzte Grenze.

Der Neid auf Geld und Gut, auf Größ' und Ruhmeskränze
Bewirkt, daß Fürsten oft und Schranzen, ja gewiß
Auch Leut' aus jedem Stand sich ebenso betragen.
Wir alle fallen ohne Zagen
Her über den, der uns als Nebenbuhler droht.
Dichtern und schönen Fraun will gleiches man nachsagen –
Jungen Schriftstellern welche Not!
Nur möglichst wenige auf einen Bissen Brot –
Das heißt Geschäft! Was hilft das Klagen?
Tausend Beweis' hätt' ich, da mir's nicht dran gebricht;
Allein je kürzer ein Gedicht,
Desto besser gefällt's. Daß dieses wahr und recht ist,
Weiß von den Meistern ich, und mancher Kritikus
Lehrt, daß noch immer was zu denken bleiben muß;
Und deshalb eil' ich jetzt zum Schluß.

Du, der du stets mir gabst, was immer gut und echt ist,
Dessen Bescheidenheit nur deiner Größe gleicht,
Der du errötest, wenn ein Lob dich je erreicht,
Wär' auch dies Lob, das man verkündet,
Noch so gerecht und wohlbegründet;
Bei dem mit Mühe nur ich die Erlaubnis fand,
Daß eine Huldigung ich deinem Namen weihe,
Der Schutz mir gegen Zeit und vor Zensur verleihe –
Ein Nam', in Ewigkeit und überall gekannt,
Der Frankreich Ehre macht, dem's seit den früh'sten Tagen
An großen Namen nicht gebricht;
Gestatte wenigstens mir, aller Welt zu sagen,
Daß du den Gegenstand mir gabst für mein Gedicht.


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