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Siebentes und letztes Meer und Heimkunft

Ich schiffte mich ein und kam in das siebente Ozeanreich, das sich vor dem Riesenland Amerika hier klein wie ein Parkteich ausnahm
Und winzig für meinen Sinn, nachdem ich dorthin vom Weltende und vom Göttergarten und vom Donner der Gewässer kam.
Das Schiff voll fröhlicher Sommerleute wie ein zwitschernder Vogelkäfig hinschwamm. Denn viele tausend Amerikaner trieb ein Sommerheimweh nach der Alten Welt über den kleinen Ozeansee.
Wie an Bord einer venezianischen Gondel nahmen mich Abende lang wieder Wasser, Himmel und Sterne in Empfang,
Die gleich ersten Heimatlichtern mir wieder freundlich bekannt erschienen nach den fremden Mienen von großen, tropischen Sterngesichtern.
Auch begegnete mir mancher Bekannte aus manchem Meer zur Heimfahrt auf demselben Schiffsverdecke. Und alle, ungeduldig sehr,
Gingen tagelang auf des Schiffes Bretterstrecke hin und her, als kürzte ihre Ungeduld dadurch den Weg übers Meer.
Eines Morgens kam mich einmal die Angst an, daß es doch möglich sein kann, es würde Europa nie erreicht. Da gerade nahm
Unser Schiff ein drahtloses Telegramm von einem Londoner Postdampfer, der vorüberschwamm. Und eine an Bord gedruckte Zeitung erschien,
Die legte der Steward jedem am Morgen auf den Frühstückstisch hin. Und alle Reisenden teilten schon viele Tage vor Europa der Heimat alltägliche Sorgen. –
Eines Mittags erschien der erste Brocken schwarzer Europaerde. Küstenriffe von Irland hocken senkrecht vor mir in des grauen Meergesichts ewig bewegter Gebärde.
Mit seinen finstern, verwitterten Knochen ist der Heimaterdteil dem Schiff entgegengekrochen, und Wald- und Heuluft haben am nächsten Morgen
Beim englischen Strand von europäischen Wiesenblumen gesprochen. Und ich habe mich noch in denselben Sonntagmorgenstunden
Im Liverpoolhafen gefunden, und meine Ohren noch zu der Nachmittagmusik im Hydepark von London eintrafen.
Und nun ist mir die Besinnung fast geschwunden. Eilig eilte mir die Erde voraus unter den Füßen davon. Ich übersprang den englischen Kanal in der Nacht,
Und ich glaube, ich habe die Reise von Belgien nach Köln dankbar knieend gemacht. Ob man erst englisch um mich sprach,
Oder französisch hernach, oder endlich dann deutsch sich vertraute, – alle Sprachlaute endeten für mich in einem erlösenden – Ach!
Europa nur in einer einzigen Sprache zu mir sprach. Mein Auge blieb nur noch verwundert auf manchem bunten angeklebten Hotelschein an meinem Koffer hängen.
Als schrieb ein jedes Land erinnernd sein Monogramm ins Kofferleder ein, so drängten sich dort rot und blau und eckig auf allen Kofferdeckeln Schein bei Schein.
Und jeder Kofferschein rief eine Flucht von Tagen in mein Kupee herein. Ich seh' in Kairo spitz die Pyramiden ragen; Bombay am Meere und die Kulibajadere;
Die Balsamhändler von Jeipore; die Elefanten zu dem Amberschloß; und Delhi groß, die Großmogulenstadt, die ewigen Sandsturm hat;
Im Mondscheintal den Taj-Mahal in Agra; des Ganges Morgenbad der Stadt Benares; der Himalaja weiß zum Himmel trat;
Der Tibetleute ungekämmt Geschmeiß; Kalkutta mit der Drogenluft und Ruß; in Birma dann in Goldguß, in Rangoon, die Shwe Dagon-Pagode;
Holzklöster an dem Irawaddyfluß; Ceylon mit Zimt und Brotfruchtbäumen und seinem Buddha, schlafend auf der goldenen Wange in goldenen Nirwanaträumen.
Ich sehe noch die Dame, die halbblinde, die ich dort in drei Meeren dreimal wiederfinde; von Singapor' bis Hongkong dann auf eine Weile
Die große Hure aller Erdenteile; und Kanton mit dem Gassenwirrsal und seinen Blumenbooten ohne Zahl und seiner Nebelfahrt zum Fluttheater;
Und Japan mit dem Fushiyamakrater; Kioto mit den Kirschenblütentänzen; und Tokio mit dem Yoshiwara, wo die fünftausend Freudenmädchen glänzen;
Und sehe Nikkos Tempelzone; die englische Gesandtin auf dem Pferd neben dem italienischen Barone; den großen Bronzebuddha nah' dem Meer;
Die Fahrt im Stillen Ozean, begleitet von den Albatros; das Maskenfest im Schiff, gleichwie in einem Wasserschloß;
Seh' San Franziskos riesige Ruinen, die wie vom Weltenzorn verbrannten; auf Schienen stets begleitet von Giganten,
Seh' bis ans End' der Erde dann, wo tief die größten aller Todesstunden starrten; über den Göttergarten zum siebten Ozean. –
Ich kann jetzt keinen Herzschlag lang mehr auf die Heimkunft warten. Es ist, als bringen mich nicht mehr die Monate, die Tage, die Stunden, – nein, die Sekunden um.
Ich höre kaum im Ohr die deutsche Sprache, die ich erst eben neu gefunden. Ich meine: alle Worte sind nur Schaum. Ich will, daß sich zwei Frauenarme runden.
Ich fühle, als die deutschen Häuser, der rheinischen Städte liebe Giebel, auf mich schauen, als hab' ich mir nach Tausenden von Sterbestunden
Endlich ein neues Leben neu erfunden. Doch traue ich noch nicht den Schnellzugfenstern; vielleicht ist dieses deutsche Bild am Rhein,
Gleich allen andern fliegenden Gespenstern, ein Ding, das nicht in Wirklichkeit mehr lebt. Vielleicht ist dieser Rhein auch nur ein Zettelein,
Das man als Namen an den Koffer klebt. So fürchte ich, weil mir seit Monaten nichts still mehr steht, weil sieben Meere weit die Welt in Kofferzetteln und immer nur in Namen leer vergeht.
Mißtrauisch frag ich mich: Vielleicht nie mehr ein Stillstand lebt? Vielleicht bin ich von ihr, zu der mein Eisenzug hinstrebt,
Vergessen längst schon wie ein Wolkenflug und habe sie um sieben Meere nicht erreicht, wenn sich die Sonne morgen wieder hebt? –
Mein reisend Hirn kann es noch nicht verstehn, daß Länder wirklich endlich stille stehn und sich nicht mehr auf Rädern nur vorüberdrehn.
Ist's möglich denn, daß meine Augen das Wirklichste und Liebste in meinem Herzen endlich als Bild mit den Pupillen vor sich sehn,
Daß meine Arme nicht vor Leere länger schmerzen? – Je näher ich dem Main vom Rhein entgegenfliege, ach, desto bänger wird mir meines Blutes Blei,
Und desto enger schnürt sich ein in meinem Hals ein Schrei; weiß nicht, schnitt Jubel oder Angst die Zunge mir entzwei,
Als ob das Warten auf Sekunden das Haar mir bleicht. Wie langsam schleicht der Schnellzug doch, als ob er nie den Nachmittag erreicht!
Noch saß das große Deutschland nebenher, leer wie ein Atlas, kahl wie ein Globus, nur ein Loch, weil jedes Aug' noch kalt und fremd mich maß.
Ich lese Kilometerzahl um Zahl, die sich vermindern soll. Und endlich engt sich liebevoll des Maines Tal mit seiner grünen Krümmung, Zoll um Zoll. –
Hier mir das Herz in Tränen aus den Augen quoll. Klein wie in Japan, wähnen meine Augen, sind hier die Weinberghügelein und Täler.
Die Wange wird mir jetzt vor Sehnsucht schmäler, weil ich noch fünf Minuten, fünf tödliche Minuten, leiden soll.
Will sich die Zeit nicht sputen auf dieser Abenderde! Ich weiß nicht, ob ich sterbenstoll die Notleine nicht reißen werde;
Denn ach, es brennt das Herz mit kopfloser Gebärde. Es saust mein Blut im Sturz mit einer Schnelle,
die kein Schnellzug kennt, voraus zur letzten Schienenschwelle.

Bis endlich im Abendlicht der Liebsten Gesicht am kleinen Bahnhof in Franken aus dem Schwanken der Ferne, und mit ihr die Wirklichkeit, den Willkomm spricht
Und nach der bunten Leere der sieben Meere wir, gleich den Todkranken, einander die Bitterkeit der Trennung uns von den Lippen tranken. –

Und nun ist die Heimat, wie der Liebsten Herz, mir angewachsen an meinen Rippen. Und für die Abendstunden habe ich der Erde Flügel aus Reimen und Rhythmen erfunden.
Und sieben Meere lassen sich, Geliebte, am Abend an deinem Fenster nieder und bringen dir über die ganze Erde, mit geflügelter Gebärde, huldigend ihre Lieder.
Dem Haus sind die Türen dann vor Lust herausgenommen, wenn im Abend die Länder an unsre Brust, geflügelt, kommen. –
Zur Stunde, wenn die Abendglocken den Wein im Becher anrühren und alle Dächer in der Runde die Glocken wie Pulsschläge spüren,
Dann eilen die Lieder herbei über der Erde gehügelte Ränder, dann eilen zu dir, wie Vögel, der Erde geflügelte Länder.
Geliebte! Nicht Nachtgespenster und Schatten stehen mehr um deine Wand, es setzen sich am Abendfenster Singvögel her auf deine helle Hand.
Geliebte, höre, die sieben Meere singen und springen wie Singkehlen um unser Dach. Laß dir erzählen und laß dich umschlingen,
Keine Trennung darf uns mehr quälen, tausendfach. – Laß dir erzählen:
Im ersten Meer nenn' ich das Schiff »Die rote Jahreszahl«, weil es mich in ein neues Jahr und wie mit Blut um dein Herz rief.
Liebste, im zweiten und dritten Meer nenn' ich das Schiff »Erdlose Qual«, weil ich darauf zehn Tage ohn' deine Erde weiterlief.
Im vierten Meer nenn' ich das Schiff »Brennender Saal«, weil ich dort unterm Meernachthimmel unter den Sehnsuchtsflammen schlief.
Liebste, im fünften Meer nenn' ich das Schiff das »Feuermal«, denn mehr, als dort die Hure aller Meere gezeichnet ist, tief schlugen mich die Sehnsuchtsnarben kreuz und schief.
Im sechsten Meer nenn' ich das Schiff das »Letzte Tal«, weil ich von dort, den Erdberg überwunden, aufatmend dir entgegenlief.
Liebste, im siebenten nenn' ich das Schiff nicht mehr, du kamst schon über den Atlant mit jedem Morgen zu mir her.


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