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Kanton

Hinter dem Holzgehege dieser Welt von Kähnen und hinter luftigem Gefege trocknender Kleider, Segel, Lumpen, das sich der Nebelluft hinhält,
Sah man, wie Unrat grau, wie Klumpen dicht bei Klumpen, die Kantonstadt sich dehnen. Ein Dächerfeld von niederen Einstockhäusern und nirgends einen hohen Bau.
Mit Ziegeldächerkappen, gleich langen, gelben Reihen von alten Drachenzähnen, gähnen die engen Gassen, als ob sie nach den Menschen fassen und nach den Menschen schnappen.
Und an den Stirnen von uralten Holzbalkonen chinesische Lettern hochgeschwungen thronen, wie Schnörkel und wie Windungen in menschlichen Gehirnen.
Von Farben trat nichts stolz zur Schau hier in der Unratfarbe, ein wenig Röte nur vom nassen Holz, ein wenig Gelb beim Lumpengrau der Gassen,
Und um die Fensterrahmen ein wenig Himmelblau. Und diese spärlich dünnen Farben im Wassernebel kahl verdarben.
Die Stadt, die weite, an des Stromes Breite eben lag; fern sah man graue Riesenhügel im Regentag sich heben wie graue Häute großer Drachenflügel,
Die hinterm Nebel in die Ferne schweben. Und keine Rikschawagen an dem Uferrande warten. Nur gelbe Kulis, die in schmutzigen Lumpen starrten, tragen den Sedanstuhl durchs Hafenleben.
Auf mächtigen Bambusstäben heben acht Männer dich auf einem Sessel hoch; sie drangen mit mir ein in diese Stadt, die wüst' wie nur ein Hexenkessel roch.
Fort übern Pfuhl der engen Hafenplätze, wo gelbe Menschen dichter als die Nebel drängen, wo nasse Buden voll von kleinen Fleischerwaren hängen;
Mit Hundebeinen, abgezognen Rattenbündeln und blutigen Katzen dich zum Kauf einluden. Teeschlürfend Menschenfratzen und nackte Menschenbäuche, die wohlbeleibt im Straßenschlamme hocken,
Die unterm Regen stille sitzen, als bleibt die Welt für sie stets trocken. Als hat der Strom die Menschen wie Fische angeschwemmt,
So dicht und ungedämmt die Menschenherde wimmelt, als ist der Boden Menschenfleisch statt Erde. Und wie auf einem Pferde mit acht Beinen
Sitzt du im Sedanstuhl und fühlst dich fortgetragen und geschüttelt, gleich einem Sack gefüllt mit Steinen;
Es schaukeln in dir durcheinander dein Herz, die Leber und der Magen, hoch überm Schmutz und Menschenpack, das unter dir wie eine Fischwelt gaukelt.
Du sitzt im Schwebestuhl, gleichwie in einem Wagen, des Räder und Schwungfeder, aus Menschenknochen, durchs Stadtgewühl fortkrochen.
An einem kurzen, klobigen Brückensteg endet der winkelige Weg vor einem klumpigen Gittertor. Schildwache und chinesisches Zollvolk steht davor.
Die Kettenschlösser öffnen sich, und feierlich empfängt die stille Insel Schamien dich, von allen Stadtteilen der Teil, wo Europäer weilen.
Totstill ist hier der Häuserrahmen. Du fühlst dich wieder heil nach dem chinesischen Gewirr in den paar europäisch zahmen Straßenzügen,
Die sich stillschweigend in das Stadtrevier hier fügen. Als tat man aus Europas Häusern das laute Leben stehlen, totstill war's auf der Insel hier;
Da waren keine Menschen, nicht Laden, keine Seelen. Nur hohes Gras wächst neben Pflastersteinen, die keinen Laut von einem Schritte geben.
Kein Vogel und kein Hund dir hier entgegenschaut, als sei die Stadt für Schlafende gebaut; unheimlich standen rings die europäischen Fassaden,
Kulissen gleich, die man für eine fremde Bühne am Pflaster abgeladen und losgerissen vom Zusammenhang, so standen all die toten Straßen gleichwie ein Gräbergang.
Schmal trennt ein schmutziger Kanal die europäischen, staubigen Häuserfächer von Kantons Ziegeldächern, von Kantons lauten Gassen und Gewühlen.
Hier auf den Sedanstühlen landen Europas Reisebanden am europäischen Hotel und müssen sich als kleine Sekte fühlen, wie Juden sich im Ghetto einst zusammenfanden,
So ausgeschlossen von dem großen Chinareich. Es luden all die Stühle hier die Fremden abseits ab, den europäischen Leib und europäische Gefühle.

 


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