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Die Bergtreppe in Shizuoka

Ich war müde am Nachmittag an einer Station ausgestiegen, ohne zu fragen, wo ich bin. Ich fuhr in den Straßen hin und wollte hier ein paar Stunden in dem Provinzort liegen.
Ich war jetzt mit der Kirschblüte in Japan von Süden nach Norden gereist, und sie, die rosige Gebieterin, verfolgte mich von Ort zu Ort, wie ein Lied, das ich, Wort bei Wort,
Bald auswendig kannte; aber ich bewunderte es doch immer fort und fort. Hier am Bahnhof sah ich eine viereckige Steinhalle mit vier Bogenpforten.
Darüber stand, in weißen Stein gemeißelt: »Willkommen«, mit japanischen und englischen Worten. Es war für die Mandschureikrieger das Siegestor,
Die in diesem Jahr von Port Arthur als Sieger zurückkamen. Auch die Provinzstadt Shizuoka empfing würdig ihre tapferen Scharen,
Die sie ausgeschickt hat in den Kampf gegen den westlichen, russischen Barbaren. Entlang am warmherzigen Bergrücken Oku-No-In,
Draußen vor Shizuoka, fuhr ich an Reisfeldern hin, sah die Gelände mit Teebüschen, mit runden, die am Fuß von üppigen Bambus- und Kiefernwäldern
Zu Tausenden den Bergabhang umstunden. Dort im Tal führt von einem Tempelschrein eine senkrechte Treppe aus Stein,
Wie eine Leiter, geradeaus auf die Bergflanke hinauf, als führe sie senkrecht in den Himmel hinein. Jede Treppenstufe fast aufrecht, wie eine Hauswand, über dem Kopf dir stand.
Schritt um Schritt zieht dich der Wunsch, wie ein starker Arm, mit, daß dein Herz oben am Berg vielleicht Freiheit sieht, wie der Wolkenschwarm.
Und die hohe Treppe unüberwindliche Sehnsucht nach einem Aufstieg erweckt, als ob dich ihr Freiheitsfieber ansteckt.'
Keiner, der diese Treppe je angesehen, kann ihrer Anziehung entrinnen, und jeder muß Stufe um Stufe hinauf ohne Besinnen.
Du weißt nicht, warum, du steigst und steigst, senkst den Kopf und steigst weiter, wie auf einer Feuerwehrleiter,
Siehst schaudernd vor dem Abgrund nie um und bedenkst auch nicht zaudernd deinen Rückweg auf dem schwindelnden, senkrechten Himmelssteg.
Nur der Höhe Wolkenlicht strebst du geblendet entgegen auf der Stufenzahl, die kaum endet, und dein Auge, nie umgewendet, sieht nur über sich den lockenden, leeren Luftsaal.
Dann, mit stockenden Kräften, erreichst du die Höhe; am schrägen Scheitel ein hölzern Teehaus als Warte, und tief unter dir breitet sich aus des japanischen Landes Landkarte.
Sie macht dich rege, du siehst hinter Bergen noch über Tagereisen weit in den Wäldern und in den Tälern die Wege.
Die bewässerten Furchen der überschwemmten Reisfelder drunten über die Ebenen wie Seen und glänzende Gitter hingehen,
Und deine Augen gestehen den Wolken, daß sie mit ihnen im Sonnenuntergang, in Blutröte und Inbrunst, gerne vergehen.
Deine Augen, die beiden geflügelten Riesen, nehmen Aufschwung und Flug in die unermeßliche Ferne, sie sind wie die Fortsetzung jener Treppe, die dich hinauftrug.
Dann aber, als die Abendnebel die Täler schließen, werden die Fernen schmäler, und deine Gedanken und deine Füße dünken sich noch groß, gleich den Füßen von Riesen,
Bis deine Fußspitzen wieder beim Rückweg, bei den Moosen der ersten Treppenstufe, an den Abgrund und an deine menschliche Ohnmacht stoßen.
Du setzt dich auf die oberste Stufe nieder; es schwindeln dir die Glieder. Unmöglich scheint's dir, von oben, senkrecht, ins dämmernde Tal zu steigen.
Aber kein anderer Weg will sich zeigen. Nichts als deine Glieder sind jetzt nur dein; kein Gedankenflug und kein Wolkenzug kann dir jetzt Rettung sein.
Du machst deine Augen, die vorher Riesen, jetzt zu Zwergen klein; sie helfen dir nicht mehr als Adler, aber als sichere winzige Mäuslein.
Denn alle Größe stürzt dich in den Abgrund hinein mit ihrer Gewalt, und du kennst vor dem Abgrund allein deine wahre winzige Gestalt.
Du bist nicht Riese, du mußt wieder Menschlein sein, sonst brichst du, abstürzend, Hals und Bein.
Und von allen Gedanken im sinkenden Tag blieb nur ein kleiner Herzschlag beständig dein, bis die letzte Bergstufe hinter dir lag.

 


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