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Die Sule Solay-Pagode

Auf einem breiten, zimmetroten Sandweg, wo eine grelle Häuserreihe und mit weiten Gesten groß manch Tropenbaum sich fand,
Fuhr ich am Spätnachmittag durch Rangoon in einer hölzernen und buntgestrichenen Droschke,
Wie sie hier Mode ist im Birmaland.
Kam ich zu der Sule Solay-Pagode. Die ist frei auf dem Stadtplatz nah dem Häusereinerlei aus Gold eine Masse,
Wie eine umgestürzte spitze, vergoldete Riesentasse, umdrängt vom Weiß der Alabasterschreine,
Der Götterfiguren und einem grünen Baumhaine; umgeben im Kreis von einem kleinen Jahrmarktleben,
Steht die goldene Stupa, und es brennen Lichter und Kerzen im Freien und rauchen Gerüche der Spezereien
Und wehen rosa papierene Fahnen und klingen kleine Silberblechherzen vor den Göttern, die nicht zur Arbeit,
Nicht zum Beten, nicht zum Leben und nicht zum Sterben hier mahnen.
Die große Gottheit sitzt mit gekreuzten Beinen alabasterweiß auf der Lotosblume, der augapfelreinen;
Und herabgesunken ist der Gottheit rechter Arm, und ihr Auge sieht auf dich ohne Harm.
Fast mit geselligem Lächeln sieht dich diese birmanische Gottheit an, ist nicht Weib, nicht Mann,
Ist schlank in den Hüften, ein göttlicher Leib, mit gepflegtem Gesicht,
Aus dem das Auge mit modischer Lieblichkeit spricht.
Ihre Hoheit rückt dich nicht fort, reißt nicht von der Welt los den, der sich vor ihr bückt;
Gibt ihm auch nicht irdische Macht; ist Lieblichkeit, die höflich und wohlerzogen lacht;
Ist ein zärtlich Gebilde, wie es jeder werden kann, Weib und Mann,
Paßt er sich der höflichsten Lebensart und sonst nichts anderem an.
Ist keine Gewalt, die dir Leidenschaft malt, und keine Gestalt, die sich asketisch quält,
Ist vornehm ein Weltwesen, gut gepflegt, erzogen, geschmückt und scheint belesen;
Ist ein Menschenwunder in Alabaster gut geglückt, das den Beschauer entzückt, aber nicht ins Nirwana rückt;
Ein Gottwesen, das auf Erden alles Schöne getan, das mit der rechten Hand jetzt lässig feiern kann.
Aber keine Gedankenbahn, keiner Leidenschaft Rätsel strengt diese Gottfigur an,
Als ob sie, allzu gut erzogen, im Weltgetriebe unberührt bliebe vom Chaos der Sehnsucht und Liebe.
Ich sah lang in der Gottheit Modegesicht, sah: sie fühlte mich nicht;
War in meiner Verliebtheit so weit von ihr wie ein Soldat, der da ficht im Kugelregen,
Und im Kampfaugenblick nicht daran denken kann, seine Nägel zu pflegen.

 


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