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Auf viertem Meer

Von Prom bracht' mich in gleicher Nacht ein Eilzug fort, mich und die Fracht von Sehnsuchtssorgen.
Wir kamen nach Rangoon am nächsten Morgen. Dort hat ein großer Dampfer ins vierte Meer sich aufgemacht.
In das Bengalische Meer, das ich vorher schon kurz berührte, als mich vor ein paar Tagen der Weg am Küstenland entlang
Her von Kalkutta hin nach Birma führte.
Jetzt fuhr ich quer vier Tage durch die salzige Lake nach Vorderindien wieder, nach Madras.
Der Wasserweg sich vor mir rollte, und immer südlicher ich dann nach Ceylon wollte.
Auf toter Wasserstraß' ich im Unendlichen viel Raum für mein unendlich Heimweh jetzt besaß.
Am dritten Nachmittag stand ich am Schiffsgeländer; gleichwie quecksilberfarbene Gewänder
Trieben die Wellen her, als schwammen Menschen drunter, die nie zum Vorschein kamen,
Die unter silberseidener Maske blieben und spielten wie verwunschen in dem Meeresrahmen.
Ich sah im Wassersilber Leib bei Leib ohn' Ende, als zählte niemand hier die Menschenmassen;
Sah viele knieen, viele Hände sich umfassen, sich pressen, losgelassen weiterziehen und sich vergessen.
So stand ich still vor diesem Tanz im weiten Meeressaale. Da wand mit einem Male sich seltsam eine mächtige Spirale,
Auftauchend wie ein hingeschleudert Riesenband, ein meilenlanger Wurm, ein lebend Wesen, aufgerollt im Meer, entstand.
Es stieß in zwei Fontänen zwei Wasserstrahlen vor sich her, es schwamm nicht tief, es lief in weiten Windungen,
Als sei es übers Wasser lebend, wie eine Reihe Brückenbogen sich erhebend, fortgesprungen;
So hat die riesige Spirale sich durch das Wasser schraubend fortgewunden.
Es sahen viele Leute, die mit an meiner Seite am Schiffsdeck stunden, dem Wundertiere lange nach.
Doch keiner wagte, ohne in Lachen auszubrechen, von einer Seeschlange zu sprechen.
Sie schüttelten den Kopf, wie in Verabredung das Wort »Seeschlange" meidend,
Denn an Ungläubigkeit war jeder leidend.
Wohl hatten alle jetzt das Fabeltier auf eine Viertelstunde hier gesehen,
Doch keiner mochte es sich eingestehen. Kopfschüttelnd ließen sie das Wunder ungeschehen an sich vorübergehen.
Und wie die Seeschlang', die verlacht von jedem Zeitungsblatt, ein zweifelhaftes Dasein hat,
Verleugnet und doch unterirdisch lebt, hab' ich die Sehnsucht stets verneint und stets verdeckt,
Sehnsucht, die jedem lächerlich genug erscheint, dem sie nicht laut im eignen Herzen weint.

 


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