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Glaubst du auch, du hast alles gesehen, werden dir immer noch Augen aufgehen, wird sich dir wie in einer japanischen Schachtel
Immer ein neues Schächtelein zeigen; unendlich viele Tanzfiguren tanzt der unendliche Lebensreigen.
Eines Nachmittags fuhren meine Rikscharäder zur kaiserlichen Dschiudschitsu-Schule hinaus, die das Kämpfen lehrt in einem eigenen japanischen Haus.
Ich erwartete ein paar Kämpfer, einen kleinen Saal nur und bin erstaunt, als der Rikschamann auf die Stadtflur hinaus
In einen weiten Park fuhr, unter einem roten Shintotor durch. Er kam mir schwerhörig vor, und ich befahl von neuem und rief ein paar Mal:
»Zur Fechtakademie.« Mein Rikschamann nickt und deutet bloß auf ein Haus, rot und groß, unter grüner Bäume Strauß.
Ein geschwungener Dachfirst im Himmel lag, wie ein Riesentempeldach im Gartenhag.
Bald fällt mich an ein Gekläff, ein Geheul, wie von einem raufenden Tierknäul, wie von schnaufenden Bestien im Gartenfreien
Ein grelles Gewinsel; eine Folge von Schreien, als stürzen Tierbanden im Augenblick, unter Blut speien und das Maul voll Schaum, hervor aus jedem Gartenbaum;
Als verbissen sich Jaguar und Tiger ineinander im Genick, als krähten Hähne, flögen Papageien auf, plappernde,
Als jagten Pferde, hufklappernde, mit fliegender Mähne. Ich sprang aus dem fahrenden Rikschawagen zur Erde,
Ich faßte den Rikschamann mit energischer Gebärde am Leinwandkragen an und sagte: »Nein, ich will nicht, daß man den zoologischen Garten durchquert!
Ich will mit dem Gefährt zur kaiserlichen Akademie, wo man fechten lehrt!« Der Rikschamann hört und bleibt ungestört,
Er will nicht vom Garten fort, er sieht das Haus hinter den Bäumen an und sagt: »Das ist der Fechtboden dort, wo man vom weiten die Fechter schon hören kann.«
Das Geheul tobte rings um den Ort. Ich traute mich beinahe nicht näher zu gehen, ich war sicher, es war hier ein Irrtum geschehen,
Und ich bekomme wahrscheinlich eine Tierzähmung zu sehen, wo Löwen brüllend durch Pechreifen setzen; ich konnte den Rikschakuli nicht begreifen
Und glaubte, er müßte im Sakarausch schwätzen und wollte mich am falschesten Tor absetzen.
Da sah ich Türflügel offen stehn. Drinnen in einem einzigen gelben Holzsaal, der groß wie das ganze Riesenhaus,
Tobten zur ebenen Erde ringende Menschen, stießen springende Menschen die ohrenbetäubenden Niesenlaute aus.
Wie in einem Tanzsaal spiegelblank der hohe Saal wie ein einziger, heller polierter Holzschrank; Zedernholz alle Pfosten, Wände und Dachgebälk.
Da war kein Stein und kein Eisen zu sehen, nur zartes gelbes Naturholz bis unters Dach; der Saal war ein gewaltiges Zederngemach.
Gewappnete Kämpfer mit altmodischer Wehr, jeder mit großem Holzspeer, mit Drahtmaske und Schwert und Dolch im Gürtel quer,
Sprangen einer gegen den andern; immer paarweise fegen die Speerstangen. Dabei war das Haus in allen Fugen in Lärm eingehüllt,
Von Schreien bis unter das Dach angefüllt; Schreie wie heisere Hähne, Gebrüll wie der Tiger grollendes Gegähne;
Und dazwischen Knirschen und Zischen zusammengebissener Zähne, und es krochen die Speere zu Zweien; fortgesetzt ein ununterbrochenes Schreien,
Als könnte nichts mehr auf der Welt das Haus von den wütenden Kehlen befreien. Rings um den Saal, dessen drei Türen,
Jede wie ein Kirchenportal lang und hoch, auf drei Seiten hinaus in das Gartengrün führen, breiten sich Dielen, einen Fuß erhöht,
Von wo die Kampflehrer den Kampf mit Genuß anfeuern und wo ich niedersitzen muß vor Staunen, denn mein Staunen muß sich immer wieder erneuern.
Die Menschen, die vor mir wie Bestien hüpfen, die sich wie Kampfhähne gesträubt anschauen, sind, wenn sie die lackierte schwarze Fechtmaske lüpfen,–
Junge, adelige Mädchen, junge Samuraifrauen; unmöglich zu glauben: dieses Wutschnauben, dieses Hähnekrähen, diese Bestienschreie
Entschlüpfen der Reihe nach den Kehlen japanischer Damen, und diese Muskeln, die sich vor mir im Speerkampf stählen, sind Frauenglieder; –
Ich sitze, immer in mich versunkener, nieder, betrachte die Gesten, die immer kampftrunkener die Speere schlagen,
Ausfall und Abwehr wagen, die, kaum zu zähmen, ihre Masken endlich abnehmen von den erhitzten Gesichtern und den Schweißdampf abwischen,
Und sich friedlich unter die Zuschauer mischen; diese kleinen Krieger sind japanische Frauen, in Bein und Armschienen und waffenstarrend zu schauen,
Geschmeidig gleich Fischen, aus deren Schuppen, den starren, sich Mädchen entpuppen; ich glaubte, meine Augen wollten mich narren. –
Das Kämpfen ist nach alten Kampfregeln geschehen. Wenn zwei gewappnet fertig stehen, gehen sie einander entgegen,
Legen quer vor sich den Speer, knieen voreinander nieder, mit der Stirn den Boden wieder und wieder zum Gruß berührend.
Dann springen sie auf. Nun schlägt Speer auf Speer, jedem Schlag folgt wie ein Schuß ein Gewaltschrei nebenher, –
Ein Geheul, womit sich der Kämpfer furchtbar und schrecklich machen muß; dazu der Anprall mit einem Hochsprung geschieht, wie man ihn bei Kampfhähnen sieht.
Dann prasselt Speer gegen Speer, der Lederpanzer rasselt, die Armschienen krachen, als ob die Kämpfer vor Eifer Blut speien und Geifer aus allen Poren lachen.
Du hast noch das Speergehämmer in den Ohren, da steht der Kampf plötzlich wie still auf einer Stell', beide Frauen wie angefroren,
Speer gegen Speer vorgehalten. Es duckt sich eine der Kämpfergestalten, blitzschnell ein blankes Dolchmesser aufschnellt und durch die Luft wie ein Blitz fällt.
Die andere, wehrlos bedroht, erwartet ins Knie gesunken den Tod; wenn diese Schlußpantomime fiel, endet damit das Übungsspiel.
Beide knieen darnach nieder auf ihre Hände, berühren den Boden mit der Stirn wieder und wieder zum Abschiedsgruß,
Sie lüften die Masken, setzen sich zuschauend auf die erhöhte Diele und rasten oder verlassen die Kampfdiele mit gleichgültigem Fuß.
Das ist dann vom Zweikampf der höfliche Schluß. – Vor mir standen sich zwanzig Frauenpaare zugleich entgegen, die im regen Kampfeifer so brannten,
Daß meine Ohren aus ihrem Schreien alle Tierlaute der Erde erkannten. Dieser Frauenspeerkampf bewegt sich nur im halben Hausraum her.
Auf demselben Fußboden, dem spiegelglatten, war die andere Hälfte der Diele mit dicken Binsenmatten belegt.
Dort wurde von fast fünfzig Männern zugleich der Kampf des Dschiudschitsu gepflegt. In losen weißen Hemdjacken und losen weißen Kniehosen
Überschlugen sich wie Akrobaten die nackten Paare. Es war ein Kampf im Lautlosen auf den Binsenmatten, als wär' nur ein Gekämpfe von weißen Schatten.
Die einzigen Töne waren ein leises Geächze und Gestöhne, der dumpfe Fall der stürzenden Leiber. Der Lehrer saß dabei, tadelte und lobte,
Indessen dicht auf derselben Diele der Lärm der Speerweiber heulend tobte. Die fünfzig Männer, die dort alle zugleich, zwei und zwei, miteinander gerungen haben,
Waren von allen Altern: Männer, Burschen und Knaben. Aus den Haufen weißer Gestalten war es schwer, eine einzelne Kampfweise festzuhalten.
Oft drehten sich zwei daher wie ein weißes Mühlenrad; einer den andern abwechselnd über die Schultern werfen tat.
Dieses Handgemeng' der Fünfzig blieb ein lautloses Gedräng'; ich sah nur ein Gewühl von Gliedmaßen, die sich wie Stricke fassen und nie mehr loslassen. –
Ich schaute dann noch im Fechtsaal mit einem Blick den Thron des Mikado an; der ist ein polierter Holzboden, nur zwei Fuß hoch, ohne eine Schmuckspur zu zeigen.
Aber alle, die den Saal zu einer Kampfforderung betreten, verneigen sich zuerst vor der Thronerhöhung, als ob sie beten. –
Ein hundertfaches Schweigen empfing mich draußen als ich wieder ins Parkgrüne hinausging; ich sah über der Rasenmatte
Ein Japan aufsteigen, von dem ich noch keine Gedanken hatte. In dem Land der zierlichsten Gärten, dem Land der Blumenbewunderung,
Der Papierwände, der schwanken, traten die adeligsten Frauen, die Hände um Speere geballt, kampfheulend in die Schranken,
Und zeigten Mut und Dolchmesser, die gern dem Landesfeind das Herzblut tranken, Mann und Frau, in einem Saal vereint,
Übten in den Kampfkleidern die Waffenkraft, die dem Hausherd den Frieden vor Neidern schafft. Ich seh' noch in mancher Stunde im Geist die kämpfenden, schwarzmaskierten Frauen,
Versteckt in die lederne Panzerbrust, die runde, und vermummt wie Seehunde, aufeinander hauen. Seit diesem Frauengefecht hat mich vor Japan ein Grauen erschreckt,
Als hätt' ich ein neues Liebesgeschlecht auf einem fremden Stern entdeckt.