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Uhren und Ahnen

Gesicht steht vor Gesicht, und nicht mehr Traum bei Traum,
Du bist in China nicht, gleichwie in Indien, mehr in einem unbegrenzten Raum, nicht in Unendlichkeit.
Nah', schulterdicht geht hier die Menschheit neben dir, von Uhr und Zeit umgeben, abhängig gleich dem Uhrenzeiger in dem Revier vom Zifferblatt,
Und schwer und breit auch unterm Bleigewicht der Abgemessenheit.
In allen den chinesischen Hongkongladen muß dir zuerst, gleichwie ein europäischer Gruß, die breite Wanduhr in das Auge fallen.
Und jede hat wohl einen halben Meter groß ihr Zifferblatt. Sechseckig, ziert sie braunlackiert die Wand, auffällig ungeniert, als wäre sie der erste Gott im Land,
Als ob von ihrem Regelgang das Leben ordnend in die Tage drang. Ich sah auf Bildern bei den Hongkongphotographen die Chinesin oder den Chinesen
Bei einer Uhr an einem Tische sitzen, als sei die Uhr sein Liebling in der Welt und freut ihn wie ein Herz, das tickend sich an seine Seite stellt,
Gleichwie ein treuer Schoßhund ihm gefällt.
Auch Liebenswürdigkeit, deren der höfliche Chinese sich stets befleißt, kommt nicht mehr, wie beim indischen Geist, aus dem Nirwana her und aus Unirdischkeit:
In China ist die Liebenswürdigkeit gleichwie der Uhr Gesicht, das freundlich klug von stets genützter Zeit, von weiser Tätigkeit, auffordernd wie ein leiser Zeiger spricht.
Wie ein Symbol von Weltgericht und Weltgerechtigkeit, die niemals endet, nie sich unterbricht, sieht dich der Chinamann
Mit Uhrgenauigkeit und Uhrenweisheit, Uhrenzeitlichkeit stets lächelnd an, Geduld mit seinem Fächer fächelnd.
Und wie das Uhrgewicht am Uhrenkopf, hängt ihm im Nacken lang der Zopf. Und willst du fragen jeglichen, warum sie alle Zöpfe tragen,
Sie werden weise praktische Antwort sagen: sie wollen bei der Totenreise, von sicherer Hand am Zopf gefaßt, ins Ahnenland einziehen.
Damit dem Totengott die Seelenlast nicht leicht entschlüpft, man sich am Kopf den Zopf erfand. Man wird dran sicher durch die Luft gelüpft.
Denn jedem echten Chinamann das Herz für seinen Ahn stets liebend hüpft. Mutter und Vater sind die Lebensgötter, daran ein jeder sich ans Leben festgeknüpft.
Und alle toten Väter, toten Mütter sind allen Lebenden in China alltägliche Berater. Und täglich geben die Chinesen von jeder Mahlzeit Tee und jeder Mahlzeit Reis
Den Ahnen Trank und Speis', als wären alle die Gestorbenen noch lebend mit dem Uhrengang und mit der Zeit fortstrebend.
So hält mit Uhrenfleiß der Liebe Drang die Toten sich noch heiß und deckt in jedem Haus auch täglich frisch dem toten und geliebten Herzen lange noch den Tisch.

 


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