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Der Tempel des heiligen Zahnes

Der Kandysee sah immer flach und ohne Sturm der Sonne nach, war im Sonnenschimmer wie ein heller Glasteller in einem grünen, runden Zimmer.
Dem See nahe stund die Tempelmauer und ein kurzer Tempelturm mit spitzem, braunem Ziegeldache. Beide waren von uralter Dauer.
Wie eine Nippsache in einem ruhigen Salon blinkt der runde Tempelturm mit seinem Steinbalkon. Weiße Steingeländer sind auf der Tempelmauer,
Und gezackte Zinnen verkleiden die Mauerränder. Der kleine Turm aber steht wie auf einem Schachbrett, kurz und gedreht,
Wie ein gedrungener Zwerg, der da hockt, von der Beschaulichkeit an den See gelockt.
Ich warf einen Blick hinter die Tempelmauern, wo im gepflasterten Hof die Wohlgeruchverkäufer, Honighändler und Jahrmarktbuden den Betern auflauern.
In kahlen Steinhallen stunden ein paar Altäre in Nischen, die sich mit Goldbildern beluden und mit Buddhafiguren aus Bergkristallen,
Mit Kerzen und Goldkram und mit den Schmerzen und Sorgen und Gebeten der indischen Pilger, die schon im frühen Morgen zu Haufen hinwallen und zu den Symbolen flehten.
Mönche mit rasselnden Blechbüchsen lassen sich den Eintritt bezahlen, Kinder und Hunde tummeln sich zwischen den Stätten der Weihen mit den Pfauen, Tauben und Papageien.
Sie folgen Schritt um Schritt, und es ist erst Ruhe von dem Jahrmarktsschreien, wenn man den kleinen achteckigen Turm drinnen auf einer Steintreppe betritt.
Hier hab' ich, fern vom Weltstreit im achteckigem Turmgemach aufgereiht, die ältesten Bücher Indiens gefunden; sie sind auf Palmenblätter geschrieben.
Aber mehr als zu den Reihen der Bücher trieben mich meine Augen auf den Turmaltan, der sieht sich drunten den See an und droben den Himmel, den freien,
Wie einer, der sich weder vom Irdischen noch vom Ewigen trennen kann. Und ich vergaß fast auf dem Altan vor der Landschaftsruhe,
Daß ich mit meinem Schuhe zum heiligsten Ort gegangen nicht wegen der Landschaft dort, sondern wegen des Buddhas Zahn.
Man öffnete mir dann im heiligsten Gemach einen goldenen Schrank, drinnen stak auf einer goldenen Lotosblume der Zahn von dem heiligsten Mann;
Aus Elfenbein, spitz und blank, sah er sich wie ein Zeigefinger an. Um dieses Stücklein Elfenbein war der goldne Schrein und der Tempelsitz und ganz Kandy gebaut.
Und auf diesen Zahn Indien vom Himalaja bis Ceylon noch heute mit Ehrfurcht schaut. Doch daß der Zahn falsch sei, keiner sich laut zu sagen getraut.
Das hätte manchen verdrossen. Den echten Zahn ließen einst die Portugiesen unter Pomp in einem Mörser zerstoßen und dann in die Winde zerstreuen.
Doch die Sage erzählt, am andern Morgen kam auf dem Fluß eine silberne Lotosblume mit einem Zahn, einem neuen, geschwommen.
Und die Indier haben Blume und Zahn in den Tempel hineingenommen.
Wunderbar hört sich's an. Und wunderbar lang und spitz ist dieser falsche Weisheitszahn von Buddha, dem weisen Riesenmann.
Eine Prinzessin brachte den echten Zahn, in ihr Haar gewickelt, her vom Festland übers Meer.
Und ich dachte lange darüber nach, wie geliebt jeder Zahn dieses Mundes war, welcher einst von Weisheit und Frieden sprach.
Weiches Frauenhaar trug ihn heran, und es lag ein Frauenaug' wach Tag und Nacht, bis Frauenbedacht den Zahn sicher unter das Tempeldach gebracht.
Und später hat die Liebe der Beter einen zerstoßenen Zahn wieder neu gemacht.
Denn Liebe hat sich niemals lange bedacht und sieht, heißliebend, auch den falschen Zahn immer als echt an.
Und Liebe kennt keinen Wandel der Zeit; wo einmal Echtheit war, betet Liebe stets zu dem Platz
Und hört keiner Aufklärung Rede noch Satz, bietet sich ihr auch die Vergänglichkeit dar.
Denn die Liebe ist des Lebens wunderbar Elixier, und sie überlebt alle Dinge mit dir, die sie anbetend umschwebt,
Und sie sieht das Blut noch rot, das seit Jahren tot, und fühlt warm die Hand und das Wort,
Das schon kalt ist wie die Wand, und wie der Wind wirkt sie fort und hallt, denn ohne Alter und ohne Zeit lieben sich Liebe und Ewigkeit.

 


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