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Bahnfahrt nach Mandalay

Nach Mandalay, zur alten Haupt- und Königsstadt von Birma, wollt' ich reisen,
Und vierundzwanzig Stunden fuhr ich auf eisenrasselnden Geleisen.
Der Zug trug mich durchs Land, das flach und heiß.
Mehrmals erschien, kalkweiß wie eine Wand, turmhoch ein Buddha vor den Wagenfenstern,
Der zeigte sich, gleich riesigen Gespenstern, unter den Telegraphendrähten im freien Feld,
Als hielten unsichtbare Hände gigantische Marionetten.
Der Buddha hatte stets das damenhafteste Gesicht, halb Weib, halb Mann.
Sein Frauenleib war weiß und leuchtend wie ein weißes Kerzenlicht,
Sein Haupt voll indigogeblauter Locken mit hochgeschweiften schwarzen, edlen Brauen.
Mit unschuldigen, offenen Augen tat er im Feld am Bahndamm sorglos,
Weiß wie ein riesiger Kreidebrocken und groß wie nur ein siebenstöckiges Kaufhaus, hocken.
Das Licht der Sonne ging von seinem weißen Kalkleib aus,
Jungleuchtend über Stoppeln der abgemähten Zuckerfelder und über hitzegraue Palmenwälder.
Zeitweise hätt' ich gern mit einem solchen Buddha mal gesprochen aus der Fern',
Denn endlos war die einförmige Reise.
Des Abends kamen Reisigfeuer und Rauch aus lichtverzerrten Bambusdörfern hergekrochen,
Die steckten mit den hölzernen Gebäuden in Palmen, die mit schwarzen Blattgerippen tanzend im Nachtwind wippen.
Der feurige Geruch des Abends macht den krank,
Der unterm Tuch der Nacht in Heimatträume schwül versank,
Für kurze Zeit sich gar daheim glaubt in der Dunkelheit und dann erwacht und angebunden,
Gleich einem Hund am Stricke liegt, sehnsuchtzerschunden
Und tausend Meilen von Europa fern im Schnellzug hin durch Birma fliegt.
Wie alle Indier reisen auch Birmanen bei Tag und Nacht, und alle Züge sind voll Menschenfracht.
Auf den Bahnsteigen zeigen sich Gruppen gar seltsam aufgeputzter Leute.
Ich fragte mich, erwacht am frühen Morgen: Ist Aschermittwoch in dem Lande heute?
Es stehen Männer, Frauen am Bahnhofsteig im nebelgrauen Morgen in regenbogenfarbiger heller Seide,
Als ob sie mit den Blumensternen in den schwarzen Haaren noch übernächtig hier von einem Maskenballe übrig waren.
Man sieht nicht Bauern, sieht nicht Knechte, nur zarte, flinke Rehgestalten,
Die Blumensträuße, Fächer und die Juwelenketten halten
Und ihre Augenwimpern mit schwarzen Strichen künstlich dunkel fetten,
Die Lippen mit dem roten Betelsaft scharlachen glätten.
Papierne Seide knistert, Haarkamm und Schmuckstück flirrt und blinkt;
Sie sind frisiert wie Spanierinnen mit hohem Knoten, hohem Kamm, so Mann wie Frau.
Du kannst dich nur am Knochenbau auf ihr Geschlecht besinnen,
Es tritt bei Seide, Fächer und Frisur der Unterschied nur schwer zur Schau;
Als lebt birmanisch Leben auf einem ewigen seidenen Götterball.
Du kannst in Birma diese Wesen, die bunt und zart bei einer Bahnfahrt schon im Morgengrau
Wie wandelnde Juwelen dich umgeben, nicht mit Europas praktischem Verstand mehr messen.
Und wie ein Arbeitsuchender, der sich in einen hellen Ballsaal im grauen Taglohnanzug traut,
Fühlst du dich kleinlaut und verächtlich angeschaut, schon eh' der Tag am Wagenfenster graut,
Und wirst beinahe verlacht und bist dir doppelt fremd,
Warst du im Traum noch eben erst daheim im Arme deiner Liebsten, in letzter Stunde dieser Nacht.

 


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