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Völkerbund ohne Völker

Als sich Briand, Chamberlain und Stresemann grade um die Militärkontrolle rauften, kam die in dieser Situation absonderliche Nachricht, daß ihnen Nobels Friedenspreis zugesprochen sei. Wenn es Schreiber politischer Komödien gäbe, hier wäre ein Stoff von umwerfender Lustigkeit. Seit der Überreichung der päpstlichen Tugendrose an die selige Isabella von Spanien ist keine Auszeichnung so gründlich falsch adressiert worden.

Das Aufhören der Militärkontrolle sichert Stresemann einen Achtungserfolg fürs deutsche Heim. Die sogenannte Investigation war nach Lage der Dinge nicht zu verhindern, obgleich man in Deutschland darauf gehofft hatte. Im Übrigen ist diese Ratstagung recht disharmonisch verlaufen. Nicht nur, daß Poincarés Schatten breiter als sonst über den Tisch fiel, auch das halb vergessene Gespenst der Botschafterkonferenz entfaltete eine ungeahnte Aktivität. Daß Herr Stresemann es diesmal recht sauer hatte, verdankt er der vortrefflichen deutschen Militärpolitik und der Eigenmächtigkeit von Geßlers Generalen. Hinzu kam die Enttäuschung, daß England die Frage der Lieferung von Kriegsgerät ganz unerwartet zur pièce de résistance machte und daß Herr Chamberlain auch optische Instrumente zu den Kriegsgeräten zählte, was für die tüchtige industrielle Schulung dieses prämierten Friedensfürsten spricht.

Weitere Sorgen hatte der Hohe Rat diesmal nicht. An und für sich war der Völkerbund als Forum der Menschlichkeit gedacht. Nun, es geht heute in allen Himmelsrichtungen sehr unmenschlich zu. Nationale Minoritäten werden geknechtet ... Leider in der Satzung nicht vorgesehen. In Rumänien werden Juden geschlachtet und Oppositionelle sektionsweise niedergemacht ... Der Völkerbund hat sich nicht in innere Angelegenheiten der Staaten einzumischen. Deshalb hört die Kompetenz auf, wo das Problem beginnt. Deshalb wird der Vertreter bluttriefender Gewalthaber als eher confrère begrüßt und darf mitraten, wie die internationale Moral zu heben sei, ohne daß seine Auftraggeber gestört werden.

Italien hat durch einen »Pakt« die Hand auf Albanien gelegt, in Süd-Slavien fühlt man sich dadurch bedroht, und der alte Kampf um die Adria lebt wieder auf. Frankreich hat Truppen an die italienische Grenze geworfen, Italien seine Schwarzhemden-Miliz an die französische. Der Völkerbund nimmt amtlich keine Kenntnis. Der gläubige Pazifist registriert die Garantiepakte und Schiedsverträge, verweist strahlend auf die Fortschritte in den deutsch-französischen Beziehungen. Das stimmt. Aber nicht die ratifizierten Urkunden sind ausschlaggebend, das Betrübende ist, daß diese feierlichen Papiere nichts an der Welt ändern. Daß der Zustand der Unsicherheit nicht nur geblieben ist, sondern eher noch zugenommen hat. Daß die Rüstungshysterie heute größer ist als jemals. Daß der Mänadentanz der Kapitalsinteressen weiter geht und die Staaten in seinen Taumel reißt. Daß kein Mensch im Grunde glaubt, der Völkerbund könnte eine ernsthafte Belastung überstehen. Denn was in Genf tagt, das ist nicht ein Welt-Parlament, sondern ein Club von Außenministern, die alle gezwungen sind, für Kabinett und Kammer ein paar nette Sächelchen mitzubringen. Das wissen die Herren. Und deshalb nimmt Jeder auf den Kollegen Rücksicht. Es gibt nichts Einsameres als diesen Völkerbund der Diplomaten, hinter dem keine Völker stehen, obgleich so viel Betrieb rund herum ist, und von dem Niemand reden würde, wenn die Pressephotographen plötzlich streikten.

Es gibt nur noch eine politische Institution, die so völlig neben der Wirklichkeit lebt: – der deutsche Reichstag.

 

Die vom ›Vorwärts‹ aufgenommenen Enthüllungen des ›Manchester Guardian‹ über geheimes deutsch-russisches Zusammenspiel hat die Kommunisten fast noch mehr aus dem Häuschen gebracht als die Deutschnationalen. Begreiflich. Für die Rechte war das nichts Neues, nur über die Kommunisten kam es wie ein kalter Guß. Deshalb ist auch an der Echtheit der kommunistischen Entrüstung nicht zu zweifeln. Wenn zum Beispiel Papa Pieck loskollert, alles sei Schwindel, so kann man sicher sein, daß er bona fide handelt. Denn unsere Kommunisten sind nicht intrigant und konspirativ, sondern die Ehrlichkeit selbst, wenngleich die bei den erlesenen Führern einen Grad erreicht, wo sie anfängt, gegen die guten Sitten zu verstoßen. Selbstverständlich war der an sich verdienstvolle Feldzug des ›Vorwärts‹ nur von dem Wunsche diktiert, den benachbarten Kommunisten als Revanche für ihre Haltung bei der Fürstenabfindung ein paar Pfund Fleisch aus dem Leibe zu schneiden. Käme es dem ›Vorwärts‹ wirklich aufs Ganze an, so müßte er sich auch deutlicher über das Ziel der privaten Entente zwischen Reichswehrministerium und dem russischen Außenamt äußern. Wenn man das so liest, möchte man fast annehmen, die Russen wollten nächstens Wilhelm II. mit Waffengewalt wieder einsetzen. Daß das leitende Motiv die gemeinsame Feindschaft gegen Polen war, vermeiden die tapfern Enthüller klar herauszusagen, denn auch sie schwören ja auf die vom Auswärtigen Amt inaugurierte anti-polnische Politik, auch sie sind weit davon entfernt, anzunehmen, daß es heute keine brennendere Frage gibt als die deutsch-polnische Verständigung.

Die deutschen Republikaner mögen indessen bei ihrem Gezeter über Moskaus Hinterhältigkeit nicht übersehen: die Russen sind harte Realisten und klopfen nur dort an, wo sie eine Macht wissen. Wenn Tschitscherins Agenten nach sorgfältigem Erkundungsgang durchs deutsche Gelände schließlich bei Seeckt erschienen sind, anstatt bei Hermann Müller oder Erich Koch, so liegt darin eine Einschätzung, die unsre Republikaner zum Nachdenken bewegen sollte.

In bestimmten Intervallen kehrt bei uns eine Regierungskrise wieder, die Herrn Doctor Scholz, das Fraktionshaupt der Deutschen Volkspartei zum Autor hat. Ein Politiker, der selbst unter unsern Parlaments-Celebritäten eine triste Sonderstellung einnimmt, ein Machiavelli mit Pferdefüßen und ohne Fähigkeit zur Stimmdämpfung. Wenn er in Insterburg hinter geschlossenen Türen flüstert, hört man es in den Reichstags-Korridoren. Dennoch: – er sei gesegnet für und für. Denn er hat, ohne recht zu wissen, was er tat, den Papageien der Großen Koalition den geschäftigen Schnabel endgültig nach hinten gedreht. Die Silverberg-Melodie ist verklungen. Die zwangsläufigen Gegensätze siegen über den Verschleierungswillen der Führer. Wenn Sozialdemokratie und Deutsche Volkspartei manchmal nur durch eine halbe Breitscheid-Länge getrennt schienen, Herr Dr. Scholz hat sich, unfreiwillig, das Verdienst erworben, die natürlichen Grenzen wieder herzustellen.

In diesen zwei Jahren benebelnden Schwatzes um große und kleine, stille und laute Koalitionen ist alle Innenpolitik hoffnungslos volksfremd geworden. Innenpolitik ist heute eine Sache für Eingeweihte, die den Ariadnefaden durch das Labyrinth der Grüppchen und Klüngel besitzen, oder reine Liebhabersache wie ein Herbarium oder eine Briefmarken-Sammlung. Der Chronist verzeichnet die Situationswechsel am innenpolitischen Skattisch ohne Vergnügen und, vor Allem, ohne Glauben an die Bedeutung der ausgespielten Karten. Ob die linke Mittelgruppe des rechten Flügels der Demokraten oder ob die linken Außenseiter des sonst rechtsgerichteten Agrarierflügels des Zentrums mit dem rechten Flügel des linken Flügels der Deutschen Volkspartei ..., das ist so gleichgültig, weil es nur Interesse hat für die Plauderecken der Couloirs, weil es keine öffentliche Resonnanz findet, weil für die Öffentlichkeit überhaupt Alles, was in den Parteien und zwischen den Parteien vorgeht, zu einer Geheimwissenschaft geworden ist, deren Schlüssel zu suchen keinen Wert hat.

Wenn Herr Stresemann aus Genf zurückkommt, wird er die von seinem Scholz servierte Krise noch duftend auf dem Frühstückstisch finden. Die Linke ist verstimmt, die Rechte anbiederungsbereit. Vielleicht wird ihm diese Wandlung gar nicht unlieb sein. Schon um den beiden andern Nobelpreiskollegen zu zeigen, daß er imstande ist, selbst mit den Locarno-Gegnern zu regieren.

Lassen wir uns nicht bange machen, daß es ganz schlimm kommt, wenn die jetzige Regierung der Mitte abtreten müßte. Schon regen sich die Klageweiber. Dieses Kabinett hat nicht einmal negativ nützlich gewirkt. Es hat nichts verhindert, sondern stets Alles getan, was die Reaktion wollte, von der Fürstenabfindung bis zum Zensurgesetz. Sein Sturz erspart uns die Schmach, daß das klerikale Reichsschulgesetz und das verschlechterte Vereinsgesetz von Männern verteidigt und durchgeführt werden, die außerhalb ihres Amtszimmers Wert darauf legen, für Republikaner gehalten zu werden. Mag an ihren Platz kommen, wer will: gegen Marx und Külz gibt es überhaupt keinen schlechten Tausch. Niemand soll sie halten. Sie sollen gehn.

Die Weltbühne, 14. Dezember 1926


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