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Nun ist der erste Präsident der Deutschen Republik zu Grabe getragen. Vorüber das schwere, dunkle Gepränge der Bestattung. Wieder beginnt man, diese Tage kritisch zu betrachten. Der pompe funèbre war groß und würdig. Eines muß man der Republik lassen: sie kann eindrucksvolle Totenfeiern arrangieren. So war es auch bei Erzberger und Rathenau. Napoleon sagte von Moreau, dem Meister des Rückzuges: »Es ist mit ihm wie mit der Trommel, man hört ihn nur, wenn er geschlagen wird.«
Allmählich gelingt es, Blicke hinter die schwarzen Draperien des offiziellen Grams zu werfen. Man ahnt nach kleinen Details, was für Mühe es kostete, den Trauer-Mechanismus zum Funktionieren zu bringen. Herr Dr. Luther empfand einen Zug des toten Präsidenten am Parlament vorbei als allzu jakobinisch. Stille Expedition entsprach seinem schlichten Bürgergemüt mehr. Herr Löbe, der immer Geistesgegenwärtige, machte einen dicken Strich durch die diskrete Kalkulation des Rechtskabinetts mit dem überparteilichen Kanzler.
Was wäre sonst geschehen? Man hätte den Verstorbenen »rein als Menschen« gewürdigt, und die Republik dabei unterschlagen. Man hätte so »gefeiert« wie etwa in den Hochschulen. In der Technischen Hochschule z.B. waren dem Ruf zur Trauerfeier 15 (in Buchstaben: fünfzehn) Teilnehmer gefolgt. An der Universität hatten es von den 600 Professoren und Dozenten etwa 25 für nötig befunden, zu erscheinen, um eine nichtssagende Verlegenheitsrede des Rektors anzuhören. Die Einladung erging auf einem kleinen Stück Papier, im Vestibül angebracht. Es fällt nicht schwer, einen gewissen ideellen Zusammenhang aufzudecken zwischen diesem Wisch Papier und dem schmutzigen Lappen, den ein paar Primanerlümmel am 28. Februar in der Mittagsstunde am Flaggenstock eines Berliner Gymnasiums auf Halbmast zogen ...
Und die Kränze! Spaltenlang berichteten die Blätter von der grünen Last, die sich in der Wilhelmstraße türmte. Siam war vertreten wie Guatemala. Wie selten war internationale Vollständigkeit erreicht. Desto auffallender die Lücken und einzelne Versuche, vom Brauch abzubiegen.
Muß besonders erwähnt werden, daß Herr Stresemann sich auch bei dieser Gelegenheit neutral erklärte? Er und sein Auswärtiges Amt waren mit einer weißen Kranzschleife vertreten, um die odiosen Reichsfarben zu vermeiden. Auch unsere Wehrmacht marschierte ihrer friedlichen Tradition gemäß unter der weißen Fahne, mit der Begründung allerdings, daß die schwarz-weiß-rote Kriegsflagge Anstoß erregen könnte. Herr Geßler persönlich gab seine Visitenkarte in Schwarz-Rot-Gold ab. War es ein Gruß an den Toten oder ein wehmütiger Abschied von der eigenen Vergangenheit?
Aber weit interessanter als diese ganz Vorsichtigen im weißen Unschuldskleidchen sind die Andern, die gar nicht da waren. Wo war Wilhelm von Hohenzollern? Er hätte sich ruhig zu einer bescheidenen Beileidskundgebung aufschwingen können für den Mann, der seine schlimme Erbschaft übernommen. Er hat doch noch im Oktober 1918 gesagt: » Mit Herrn Ebert würde ich gern regieren«. Nicht Eberts Schuld war es. daß es nicht zu dieser glückverheißenden Konstellation kam. Wilhelm hatte sich vorher entfernt.
Und sein Ältester, der frohe Naturbursch von Oels, wem verdankt er schließlich die Befreiung aus der Wieringer Enge, die Heimkehr nach Deutschland, wo trotz Revolution und Republik seine Sippe sicher und in Wohlstand lebte? Er hat einen selbstverständlichen Akt der Dankbarkeit versäumt, vielleicht auch der Versöhnung. Wie überzeugend spricht dieses Schweigen von Oels. Man fühlt das Volkskaisertum näher rücken. Man hält es für überflüssig, noch weiter in salbungsvoller Resignation zu machen. Stresemann hat Rosner abgelöst.
Auch die Dynastie Stinnes rührt sich nicht. Es ist längst historisch feststehend, daß Ebert 1922 wenig geneigt war zu einer Verlängerung seiner Amtszeit, und daß ihm Stinnes senior erst die Bedenken ausgeredet hat. In solcher außenpolitischen Situation, hieß es damals, sei ein Wahlkampf unmöglich. Ebert blieb. Seine letzte Periode wird gekennzeichnet durch die Versuche der Parteien und Blätter der Schwerindustrie, ihn mit allen Mitteln zu eskamotieren. Stinnes Erben schwingen sich nicht einmal zu einem unverbindlichen Höflichkeitsakt auf. Dank von Hohenzollern, Dank von Stinnes!
Im Verlaufe des Magdeburger Prozesses wurde der folgende Brief Hindenburgs an Ebert vom 8. Dezember 1918 bekanntgegeben (General Groener, als Zeuge, hat die Echtheit bestätigt):
Sehr geehrter Herr Ebert!
Wenn ich mich in nachstehenden Zeilen an Sie wende, so tue ich dies, weil mir berichtet wird, daß auch Sie als treuer deutscher Mann ihr Vaterland über alles lieben unter Hintanstellung persönlicher Meinungen und Wünsche, wie auch ich es habe tun müssen, um der Not des Vaterlandes gerecht zu werden. In diesem Sinne habe ich mich mit Ihnen verbündet zur Rettung unseres Volkes vor dem drohenden Zusammenbruch. Ich möchte Sie erinnern an Ihren Aufruf vom 9. Nov., in dem es heißt:
»Die neue Reichsregierung kann ihre Aufgabe nur erfüllen, wenn alle Behörden und Beamten in Stadt und Land ihre hilfreiche Hand bieten. Ich weiß, daß es vielen schwer werden wird, mit den neuen Männern zu arbeiten, die das Reich zu leiten übernommen haben, aber ich appelliere an Ihre Liebe zu unserem Volke. Ein Versagen der Organisation in dieser schweren Stunde würde Deutschland der Anarchie und dem schrecklichsten Elend ausliefern. Helft also mit mir, dem durch furchtlose und unverdrossene Weiterarbeit zu begegnen, ein jeder auf seinem Posten, bis die Stunde der Ablösung gekommen ist.«
Es heißt dann weiter:
» In Ihre Hände ist das Schicksal des deutschen Volkes gelegt. Von Ihrem Entschluß wird es abhängen, ob das Deutsche Reich noch einmal zu neuem Aufschwung gelangen wird. Ich bin bereit, und mit mir das ganze Heer, Sie hierbei rückhaltlos zu unterstützen. Wir alle wissen, daß mit diesem bedauerlichen Ausgang des Krieges der Neuaufbau des Reiches nur auf neuen Grundlagen und mit neuen Formen erfolgen kann. Was wir wollen, ist, die Gesundung des Staates nicht dadurch auf Menschenalter hinauszuschieben, daß zunächst in Verblendung und Torheit jede Stütze unseres wirtschaftlichen und sozialen Lebens vollkommen zerstört wird ...
Hindenburg.«
Das war der Hindenburg von 1918. Der alte Heerführer, der sich bedingungslos dem neuen Volksstaat zur Verfügung stellte. Mit schwerem Herzen sicherlich, aber, das ist das Gravierende, weil nichts anderes möglich war, weil überhaupt nichts anderes da war.
Der Hindenburg sechs Jahre später bescheidet sich mit seiner Rolle als Hausgötze der nationalistischen Legende. Eine wüste Verleumdungskampagne beginnt gegen den Mann, als dessen Verbündeter er sich 1918 bezeichnet hat. Mit einem Wort hätte er den ganzen Spuk zerblasen können. Er rührt sich nicht. Er legt nicht Zeugnis ab. Und obgleich er in den Tagen des Trauerfalles, wie von vielen Seiten berichtet wird, in Berlin war, er zwingt sich nicht eine Kondolation ab, er legt nicht einen Kranz an der Bahre des Mannes nieder, dessen Überzeugung er in den schwersten Stunden der deutschen Nation teilte: » ... daß mit diesem bedauerlichen Ausgang des Krieges der Neuaufbau des Reiches nur auf neuen Grundlagen und mit neuen Formen erfolgen kann.«
Wittern die Herrschaften schon Morgenluft? Halten sie es nicht einmal mehr der Mühe für wert, sich von den Gesetzen anerzogener Courteoisie leiten zu lassen?
In Kurzem werden wir wissen, ob wir am vergangenen Mittwoch einen Mann zur letzten Fahrt geleitet haben oder eine Institution.
Montag Morgen, 9. März 1925