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Dem früher viel gelesenen Romanschriftsteller Paul Oskar Höcker ist ein nicht alltägliches Mißgeschick passiert: er ist nämlich zum Tode verurteilt worden. Die Verurteilung erfolgte in Contumaciam durch ein belgisches Kriegsgericht in Lüttich. Herr Höcker war als Kompagnieführer im August 1914 in die traurige Lage gekommen, einen belgischen Franktireur erschießen lassen zu müssen. Das wird ihm nach 11 Jahren als »Kriegsverbrechen« ausgelegt.
Daß heute diese Prozesse, in Abwesenheit und teilweise auch ohne Ladung der Beklagten, noch immer laufen, kann man höchst abgeschmackt finden und darin eine sehr fragwürdige Konzession an eine Volksstimmung sehen, die gar nicht mehr existiert. Man kann auch verstehen, daß Herr Höcker nicht wenig erregt ist darüber, daß ihm etwas zum Verbrechen gestempelt wird, was er nach Soldatenpflicht und Kriegsrecht tun mußte. Da Tötung nun einmal Zweck des Krieges ist, so müßte man gezwungen sein, alle Kriegsteilnehmer erschießen zu lassen, da schließlich jeder einmal mitgewirkt hat, andern das Leben zu rauben. Das wäre eigentlich die letzte Konsequenz der ententistischen Recherchen nach Kriegsverbrechern. Auch unter diesem Gesichtspunkt könnte der von Lütticher Militärrichtern Verurteilte das Urteil ironisieren. Leider schwingt sich Herr Höcker nicht zur Ironie auf, sondern redet sich in einem »Lokalanzeiger«-Artikel in eine Erhitztheit hinein, die seine Erfolge als Kriegsschriftsteller und Kommandant der Liller Armeezeitung begreiflich macht, heute aber in der Tat ebenso anachronistisch wirkt wie das Urteil. Er bedauert, daß »unserer durch den Schandvertrag von Versailles geknebelten Reichsregierung die Mittel fehlen, das Lütticher Kriegsgericht zu zwingen, sein auf Lüge, Entstellung und feiger Rachsucht beruhendes ›Urteil‹ zu kassieren«, und er hofft, daß » die Burschen da draußen« wieder einmal den Respekt vor uns kriegen, den sie »vor Bismarcks Kürassierstiefelspitze« hatten.
Anerkannt, daß das aus einem rauhen, aber ehrlichen Herzen kommt, solche Exklamationen bringen uns kein Stück weiter. Wenn es Herrn Höcker so sehr darum zu tun ist, aus seinem Einzelfall ein Fanal zu machen – viele andere stehen mit gleichem Unrecht auf der schwarzen Liste und haben mit schwerem Herzen geschwiegen, anstatt lärmend an die Reichsregierung zu appellieren – wenn Herr Höcker den Militärjuristen von Lüttich nun einmal zeigen will, was eine Harke ist, warum begnügt er sich damit, den Herrschaften auf dem Umweg über den »Lokalanzeiger« den Gruß des Götz von Berlichingen zu bestellen? wie er es tat. Warum stellt er sich nicht schlankweg dem Kriegsgericht?
Es liegt uns gänzlich fern, mit der Person des früher vielgelesenen Romanschriftstellers ein frivoles Spiel treiben zu wollen, aber wir wetten tausend zu eins, daß ihm nicht das Mindeste passiert, sondern daß er im Gegenteil die belgische Regierung in die fürchterlichste Verlegenheit bringt. Wenn er schon seiner Rachsucht frönen will, es gibt keinen grausameren Akt, als, frisch nach Locarno, sich Herrn Vandervelde, dem versöhnungsfreudigen sozialistischen Außenminister, zu präsentieren und zu sagen: »Hier bin ich, der zum Tode Verurteilte. Bitte, überliefern Sie mich dem Militär, damit ich, wie es im Urteil heißt, in Verviers erschossen werde.« Wir halten jede Wette, daß dieser Fall noch fixer beendet wird als der des Herrn von Nathusius. Damals erledigte Herriot die leidige Angelegenheit mit kurzer Geste. Seitdem hat sich die internationale Atmosphäre wesentlich zum bessern gewandelt. Das Einzige, was Herr Höcker riskiert, ist, als lästiger Ausländer per Schub über die Grenze gebracht zu werden. Es wäre wirklich verdienstvoll von ihm, mit einer kecken Selbststellung diese ganzen törichten Prozesse ein für allemal ad absurdum zu führen.
Sollten wir aber unsere Wette verlieren, was wir im Interesse des Gewinnenden außerordentlich bedauern würden, so gäbe es für Herrn Höcker überhaupt keine günstigere Gelegenheit sich mit ewigem Ruhm zu bedecken als diese. Hier ist ihm durch einen unerhörten Glücksfall, wie er kaum zum zweitenmal vorkommt, die Möglichkeit geboten, den Heldentod zu sterben, den er in den zahlreichen Auflagen seiner Kriegsbücher gefeiert hat und den er der deutschen Jugend zudenkt, damit die Burschen da draußen wieder Respekt vor uns kriegen. Was kann sich ein sehr patriotischer Schriftsteller, dessen Glanz schon verblaßte, sehnsüchtiger wünschen, als das matt werdende Kolorit seiner Bücher in seinem Blute zu unsterblicher Leuchtkraft aufblühen zu lassen? Was wäre ein Theodor Körner ohne seinen heroischen Ausgang? Er hat sein gutes, tapferes Menschenblut über seine schlechten Verse gegossen und deshalb leben sie noch heute. Der Heldentod winkt. Warum zögert Herr Höcker aus einem Invaliden der Literatur ein junger Rekrut in der Armee der Unsterblichen zu werden?
Wahrscheinlich hat er sich das alles auch schon selbst gesagt, und nur die Bemühungen besorgter Freunde haben ihn davon abgehalten nach Lüttich zu fahren, um den Belgiern entweder wirklich fürchterliche Ungelegenheiten zu bereiten oder aber in das Abendrot nationaler Glorie einzugehen. Schließlich hat Herr Paul Oskar Höcker sich entschieden, zu Hause zu bleiben, aber zu protestieren. Blut oder Tinte? hieß die Wahl. Er optierte für Tinte. Wir wollen nicht mit ihm rechten. Wenn der Tod fürs Vaterland auch schön und ehrenvoll ist, es bleibt doch immer noch ein großes Vielleicht. Herr Höcker zog dem Sprung ins Dunkle den Gang zum »Lokalanzeiger« vor.
Montag Morgen. 19. Oktober 1925