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Vanity Fair

Während in Genfer Festreden die Ära des Friedens begründet wird, geht der Krieg in China, den die imperialistischen Mächte durch chinesische Truppen-Vermieter, Generale genannt, führen lassen, munter weiter. Grade jetzt ist eine neue Wendung zu verzeichnen. Die Armee der von Russland inspirierten Republik Kanton hat sich des großen Handelsplatzes Hankau bemächtigt und damit das englische Geschäft empfindlich getroffen. Zur Vertreibung der Canton-Leute rüstet Sun Tschuan Fang, der Beherrscher der Provinzen um Shanghai, und Englands Segen ist bei seinen Kanonen. Wu Pei Fus Stern schwindet wieder. Dagegen ist Feng plötzlich von Moskau abgereist und vielleicht schon bei seiner alten Armee in Mongolei. Tschang Tso Lin, der Gewalthaber der Mandschurei und Garant der Interessen Japans, der neuerdings wieder mit Moskau Konflikt gesucht hat, soll, Gerüchten zufolge, mit Frankreich in Verhandlungen stehen. Der europäische Leser liest von Namen, Parteien, Landschaften, aber ein plastisches Bild will sich nicht formen und es bleibt nur ein Eindruck von Jammer und Zerrüttung. Und doch wird in China auch europäisches Schicksal entschieden. Hier ist die große Gefahrenzone, hier kann das Spiel der Mächte zuerst aufhören, Spiel zu sein. Noch immer wird der Krieg von Chinesen gegen Chinesen geführt. Wie lange noch? Der Völkerbund sieht in diesen Wirren innere Angelegenheiten Chinas, die keine Einmischung gestatten, obgleich einige seiner Mitglieder den Unfrieden eifrig genährt haben und den Emanzipationskampf des gewaltigen Reiches zu ihren Zwecken missbrauchen. Es ist gefährlich, einen Riesen Blindekuh spielen zu lassen: das werden alle an dem chinesischen Elend verantwortlichen Kabinette schließlich erfahren. Der Völkerbund müßte sich um eine Schiedsformel bemühen, sonst wird eines Tages die Intervention irgend einer Macht da sein und die Welt vor vollendeten Tatsachen stehen. Für den Völkerbund bliebe dann nichts als die Untersuchung der Schuldfrage.

 

Warum geht von dem Genfer Ereignis kein belebender Strom aus, nicht Festliches oder Zukunftweisendes?

Wenn mir vor zwei Jahren jemand gesagt hätte, ich würde am Tage des deutschen Eintritts in den Völkerbund sehr gelassen und nicht ganz interessiert die Zeitungsberichte überfliegen, ich hätte dem Propheten ins Gesicht gelacht.

Man soll empfundene und beobachtete Wahrheit aussprechen, auch wenn alles rundum sich in Begeisterung hineinflunkert: das deutsche Volk steht dem Ereignis mit einem Mangel an Anteil gegenüber, wie er ärger nicht gedacht werden kann. Hier rächt sich, dass Deutschland den folgenschweren Schritt völlig unvorbereitet unternimmt. Das sind die Aufgeklärtesten noch, die wissen, dass es ein Erfolg ist, weil man eben dabei sein muss. Die andern kümmern sich entweder überhaupt nicht darum oder sind überzeugt, mal wieder von den Juden verkauft zu sein. Die Zeitungen helfen mangelndem Verständnis durch Massenaufgebot von Blockbuchstaben nach und ziehen die Schilderungen im Stil der Siegesbulletins aus der Großen Zeit auf. Da schreibt das beliebteste Boulevard-Blatt:

»Die Erwartungen der kleinen und sogenannten neutralen Mächte waren unberechtigt und unverständig. Deutschland war nun einmal eine kriegführende Macht und ist und bleibt nun einmal eine Großmacht ... Der Erfolg der Völkerbundpolitik von Stresemann, Schubert, Gaus und Hoesch wäre ziemlich problematisch, wenn sie nur zum Eintritt in diesen fragwürdigen Völkerbund geführt hätte; ihre realpolitische Vervollständigung erfuhr sie erst durch dieses fast noch wichtigere Faktum: die Wiederherstellung eines Konzerts der Großmächte.«

Die armen kleinen Mächte, wie Die plötzlich geschrumpft sind! Sonst konnte man sie übern grünen Klee loben. Hat Herr Unden, der Schwede, der bis zur Selbstentäußerung für Deutschlands Ansprüche eingetreten ist, nicht noch den Weihrauch vom März in der Nase? Damals: der Mann, der die Würde des Bundes rettete. Heute: »unberechtigt und unverständig,« – ein Nebbich, der sich in die Angelegenheiten der bessern Leute drängt.

Doch ein andrer politischer Boulevardier übertrumpft den Kollegen noch:

»Der Völkerbund braucht heute Deutschland, und sein Einzug bedeutet für ihn gewissermaßen die Legitimation dafür, daß sein Bestehen berechtigt ist.«

So ziehn wir aus zur Hermannsschlacht! Immer der Nabel der Welt: ob Wilhelm am Brandenburger Tor, ob Stresemann in Genf. Wird mit dergleichen aber der Republik, der Demokratie, ja, auch nur den befreundeten Herren im Auswärtigen Amt gedient? Und mit welchem Recht wagen liberale Blätter, die ihre Leser mit solchem Quatsch traktieren, sich etwa über Hugenbergs Verdummungszentrale zu entrüsten? Wie es nur eine Wahrheit gibt, so gibt es auch nur eine Dummheit, und der politische Anstrich ist nebensächlich.

Gewiß, Herr Stresemann hat in Genf, für seine Verhältnisse, ganz ausgezeichnet gesprochen. Er musste innere Wärme schuldig bleiben, teils, um nicht in Deutschland eine in diesem Augenblick sehr unerwünschte Kritik zu provozieren, teils, um nicht bei den anderen Mächten durch irgend eine flott improvisierte Wendung anzuecken. Ein Leichtes wars für Briand, eine unerhörte Ovation für seine Rhetorik zu erringen, während der Applaus für Stresemann in erster Linie Deutschland galt. Vergebens versuchen deutschnationale Blätter den Beifall für Briand als eine Demonstration gegen Stresemann hinzustellen, nach dem alten Rezept: Saul hat Tausend geschlagen, David Zehntausend! Aber Stresemann hat nach manchen Schicksalsschlägen doch Disziplin gelernt. Davon ist zum Beispiel unser Külz noch weit entfernt. Der läßt in schöner Ahnungslosigkeit die folgende Erklärung verbreiten: »Mit der vom Völkerbund garantierten Hoheitsstellung seiner Mitgliedsstaaten vertragen sich die Funktionen der interalliierten Kontrollkommission ebensowenig, wie die fernere Besetzung deutschen Landes mit der Unverletzlichkeit des Gebietes der Völkerbundsstaaten. Für die interalliierte Kontrollkommission und für fremde Besatzung ist in einem Deutschland, das mit seinen Feinden von gestern nunmehr in ein und demselben ›Bunde‹ zusammengeschlossen ist, kein Raum mehr. Ausgleich und Verständigung würden unvollkommen sein, wenn nicht auch an der Saar politisch und wirtschaftlich normale Zustände erreicht werden könnten, und wenn Deutschland nicht bei der ersten sich bietenden Gelegenheit in den Kreis der Mächte zugelassen würde, die an der kolonialen Erschließung der Welt beteiligt sind.«

Hei, wie die Logik da Kobolz schießt, und wie lustig es im Porzellanschrank klirrt! Wie sinnvoll, den Bund in Gänsefüßchen zu setzen! Wenn das einer der nationalistischen Minister des Kabinetts Poincaré, etwa Herr Tardieu, getan hätte, welch ein Geheul würde das gegeben haben! Und wie überaus erleuchtet, den Schrei nach Kolonien auszustoßen und zugleich Aufhebung der Militärkontrolle und der Besetzung zu verlangen! Aber wir wollen uns nicht über Herrn Külz lustig machen: denn er sagt genau das, was der deutsche Stammtisch auch sagt; so denkt man über Sinn und Nutzen des Völkerbundes, wo man sich überhaupt Gedanken darüber macht. Wir wollen frei sein, um selbst ein bißchen unterdrücken zu können, das ist unser Völkerbund-Programm. Großmacht-Kitzel, Sucht, an den Welthändeln teilzuhaben, Trödelkram der Eitelkeit – Vanity Fair.

Deutschland hat ein großes Interesse im Bund zu sein, das steht außer Frage. Aber ein sehr geringes Interesse, in die weltpolitischen Verlegenheiten Englands und Frankreichs zu steigen. Die Aufnahme in den Völkerbund war schon lange möglich. Das Richtige wäre zunächst eine bescheidene und abwartende, aber selbständige Rolle gewesen. Das Streben nach dem Ratssitz und die endliche Erfüllung durch eine an Schiebung grenzende Konstruktion hat Deutschland mit der englischen Politik verklammert und seiner Bewegungsfreiheit beraubt. England wird für seinen freundlichen Sukkurs die Rechnung präsentieren. Eitelkeit ist immer teuer.

Doch jetzt sind wir im Rat. Das Konzert kann beginnen. Warten wir es ab. Auch das Konzert der Mächte braucht Notenständer.

 

Spanien verläßt den Völkerbund enttäuscht und verstimmt. Das würde stärkern Wellenschlag erregen und die Genfer Festivität wohl auch erheblich mehr beeinträchtigen, wenn Alfonsos Reich zur Zeit nicht Opfer einer schweren innern Krise wäre. Abermals ist es der Diktatur gelungen, einen Anschlag abzuwehren. Die Situation war umso ernster, als nicht die ohnmächtigen Parteien, sondern Teile des Militärs diesmal versucht haben, den Diktator zu stürzen. Man muss dem dicken Primo lassen: er versteht mit Meutereien energisch, aber ohne Grausamkeit fertig zu werden. Sein unerschrockenes Vorgehen gegen die Kameraden von der Artillerie könnte auch gewissen Republiken zum Vorbild dienen. Der Mann weiß jedenfalls, wie man eine rebellierende Soldateska kirre macht: er überschätzt die Courage der Leute nicht. Primo ist überhaupt der sympathischste von all den Diktatoren. Kein Poseur wie Mussolini, kein brutaler Despot wie Kemal. Ein breiter, gemütlicher Herr, der immer etwas alkoholisiert aussieht, und der gewiß niemals wie der gewesene griechische Kollege Pangalos die Keuschheitspolizei auf kurze Weiberröcke loslassen wird. Für den sieggewohnten Artilleristen werden sie, im Gegenteil, noch viel zu lang sein.

Zweimal hat Primo de Rivera sich mit dem Gedanken getragen, das marokkanische Abenteuer einfach durch Räumung der spanischen Zone zu beenden. Denn auch nach dem Sieg über Abd el Krim ist es in Nordafrika nicht ruhig. Ein unnützer, barbarischer Kleinkrieg geht weiter. Auf einem harten, steinigen Boden – zu steinig, um selbst das Blut der Toten einzusaugen – opfert Spanien seit fast zwanzig Jahren seine Jugend und seine schwachen materiellen Güter. Für nichts. Für ein imaginäres Hoheitsrecht über Wüste und Fels. Trödelkram der Eitelkeit – Vanity Fair.

 

Als die spanischen Offiziere begannen, abtrünnig zu werden, hat Primo de Rivera nicht ohne Geschick plötzlich die Bürger gegen das Militär ausgespielt: eine Art von Probeabstimmung soll nunmehr die Diktatur legitimieren. Solche Possen hat Mussolini nicht mehr nötig: seine Herrschaft steht sicher, zukunftslos, trostlos sicher. Wohl hat auch er wiederholt versucht, vom revolutionären Stoß in die Politik zurückzufinden – bald trieb ihn seine Anhängerschaft, bald die sozialistische Opposition wieder ins starre System zurück. Und ein Attentat, wie das vor wenigen Tagen mißglückte, wird ihn zu neuen Konzessionen an die Schwarzhemd-Bestie zwingen. Der Fascismus hat keine Mission und kein Programm mehr als die Ausrottung seiner Gegner. Es ist, als hätte die Geschichte hier ein Schulbeispiel aufstellen wollen für die Diktatur-Aspiranten aller Völker. Die Demokratie ist vom Leben unsrer Zeit nicht mehr zu trennen. Wo sie zu Tode getroffen liegt, da ist auch die Entwicklung zu Ende. Benito Mussolini begann mit der erregenden Gebärde eines neuen Bonaparte. Aber keine Verheißung wollte sich erfüllen, und er ist bis zum heutigen Tag nur der Bonaparte des innern Krieges geblieben. Verbrannte Gewerkschaftshäuser und Parteikanzleien, das sind seine Triumphmale. Im Kampf gegen das eigne Volk hat er sein Marengo, Austerlitz und Wagram geschlagen. Dort wird er seine Beresina finden.

Die Weltbühne, 14. September 1926


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