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Die markierte Kanone

In der kaiserlichen Zeit waren die alljährlichen Herbstmanöver ein Stück Romantik, mit der großen Reiterattacke zum Schluß, bei der alle Feinde Brandenburgs in den Staub geritten wurden, den Manegeschaustücken im Zirkus Busch vergleichbar. Was kam es dem mehr theatralisch als strategisch entwickelten Talent Wilhelms auf die Wirklichkeit an? Er brauchte mächtige und farbenreiche Bilder, er brauchte seinen »Sieg«. Und als sein Ältester in die Jahre kam, in denen Hohenzollernprinzen unbedingt anfangen müssen zu siegen, da wurde für die ohnehin arg genug geplagten Generale die Sache besonders schlimm und die Manöver verloren vollends den militärischen Wert, um definitiv in die Region der Witzblattobjekte herabzusinken.

In diesem Jahr hat die Reichswehr zum erstenmal richtige Herbstmanöver abgehalten. Schon im Vorjahr zeigten sich schwache Ansätze dazu. Doch überwog damals der sportliche und Schau-Charakter. Durch eine Konzertagentur wurden Einlaßkarten vertrieben, und die Zuschauer sahen allerhand militärische Demonstrationen, die sie nicht ganz verstanden, die ihnen aber dennoch sehr gefielen.

Diesmal jedoch wurde »Ernstfall« gespielt. Durch den Mund ihres Chefs ließ die Heeresleitung verlautbaren, daß alles Parademäßige fehlen und lediglich militärischen Erfordernissen Rechnung getragen werde. So muß man also annehmen, daß das, was in Mecklenburg und Thüringen vor sich ging, das verkleinerte Abbild des vielerörterten großen Krieges der Zukunft war. Oder nicht? Fragen wir einen, dessen militaristische Passionen kein pazifistischer Anfall erschüttert. Der Berichterstatter der »Deutschen Tageszeitung« schreibt:

»Durch das Fehlen jeglicher schwerer Artillerie, der im Weltkrieg eingeführten schweren und mittleren Minenwerfer usw., vor allem aber der Fliegerwaffe, die sich in dem stark kupierten Gelände in hervorragender Weise hätte betätigen können, bekommt der Gang der jetzt in Deutschland möglichen Kriegsspiele etwas Unwahrscheinliches, besonders für den, der einen wirklichen Krieg erlebt hat.«

Man wird nach diesem Zeugnis eines sehr Unverdächtigen reichlich skeptisch. Kriegsspiele sagt er. Ja, kann man im Ernst denn noch von Kriegsspielen reden, wenn nicht einmal der Standard des letzten Krieges als maßgeblich zugrunde gelegt werden kann, wo doch heute jedes Kind weiß, daß in einem kommenden Krieg es um ganz anderes geht als schwere und mittlere Minenwerfer usw. Was sollen also diese Exerzitien, über die Fachleute lächeln, und die nicht einmal als miniaturhafter Versuch der Darstellung eines möglichen »Ernstfalles« bewertet werden können. Will man die Reichswehr nur einmal zwecks nötiger Körperbewegung an die Luft führen oder will man dem Publikum beweisen, daß sie gar nicht so schwarz ist, wie manche Leute annehmen? Nein, zu dem technischen Massenmorden, das Tank und Flugzeug die Rolle aller bisherigen Waffengattungen zuteilt, und das chemische Laboratorium zum Hauptquartier erhebt, fehlen alle Mittel und Voraussetzungen. Und das in Thüringen zelebrierte Abbild von Krieg, das sich in seiner prunklosen Schlichtheit, ja Ärmlichkeit, so scharf von Wilhelms geräuschvollen Turnieren unterscheidet, es führt nicht in die Gegenwart, sondern in die längst ehrwürdig gewordene Vergangenheit, da ein Busch- und Kleinkrieg noch möglich war, wie ihn heute der Afrikaner Abd el Krim nicht mehr führt.

Durch die illustrierten Blätter geht ein Manöverbild: » Ein markiertes Geschütz« Da sieht man einige mit täuschender Echtheit imitierte Krieger, martialische Gestalten mit Stahlhelm, Patronentaschen und staubbedeckten Schaftstiefeln um ein Etwas herumstehen, das aufs Haar einer richtigen Kanone gleicht, aber in Wahrheit nur ein Gebilde von Blech, Holz und Pappe ist. Der gute deutsche Normalspießer, dessen Herz bei jedem militärischen Spektakel vor Wonne wackelt, wird auch darüber entzückt sein.

Wer indessen kritischer veranlagt ist, dem demonstriert dieses Bild in überzeugender Weise den Unterschied zwischen »Das ist« und »Das bedeutet«, worüber sich die Gottesgelehrten durch Jahrhunderte die Köpfe bald zerbrochen, bald zerschlagen haben. Nein, wen nicht eine feldgrau bemalte Kulisse in Paroxysmen vaterländischer Begeisterung versetzt, der begreift gerade an diesem Bild, daß die uns durch den Versailler Vertrag gestattete Heeresmacht nähere Beziehungen zur Theologie unterhält als zum Kriegshandwerk.

Diesen Charakter des Gestellten, des Unseriösen aber verliert unsere Reichswehr sofort, wenn man ihre Aufgabe nicht darin sieht, ein modernes Feldheer in mikroskopischen Formaten darzustellen, sondern eine innere Sicherheits- und Ordnungstruppe zu sein, wie sie ein Staat benötigt, der noch längst nicht alle Bürgerkriegs-Bakterien ausgestoßen hat. Wird die Aufgabe so gefaßt, dann kann die Reichswehr einmal vorbildlich werden für die Zukunft. Denn mag es in einzelnen Siegerländern noch so militaristisch kollern, die jungen Leute dieser Länder beneiden uns ..., nicht um den preußischen Leutnant, wohl aber um das Fehlen der Wehrpflicht, und die Idee der allgemeinen Abrüstung wird Terrain erobern, mag auch Generalität und Kriegsindustrie Zeter schreien.

Hier sind die Möglichkeiten eines deutschen Militärprogramms von Heute zu suchen. Alles andere bleibt unwirklich und führt auf jenen Abweg, auf dem das, was man nicht hat, eben »markiert« werden muß. Eine gefährliche Täuschung, die in der Entente immer wieder Argwohn weckt und in Deutschland selber in schwachen Köpfen die Vorstellung hevorruft, man könnte doch wieder einmal mitten in Europa gegen ganz Europa »Ziethen aus dem Busch« spielen. Markiert war in diesen Jahren alles, was den Revanchetaumel zu stützen schien. Markiert war letzten Endes alles, was Deutschland seit 1918 an legalem und illegalem Militarismus produzierte, und echt waren leider nur die Trommelrevolver, mit denen Erzberger und Rathenau zur Strecke gebracht wurden.

Montag Morgen, 21. September 1925


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