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Plumpsack geht um!

In einem kleinen Ort in Württemberg ist vor ein paar Tagen der Dichter Johannes R. Becher verhaftet worden, auf Grund eines Haftbefehls des Oberreichsanwalts. Veranlassung ist Bechers letztes Werk »Der Leichnam auf dem Thron«, kürzlich beim Verlag konfisziert. Dieses Buch, behauptet die Reichsanwaltschaft, bedeutet Vorbereitung zum Hochverrat, Aufreizung zum Klassenhaß und Gotteslästerung.

Es handelt sich dabei um Prinzipielleres als um die Persönlichkeit des exaltierten Johannes R. Würde der Haftbefehl die Unterschrift des Herrn Kußmann tragen, so brauchte man sich nicht zu wundern. Aber ein Mann von der umfassenden Bildung des Herrn Oberreichsanwalts dürfte wissen, daß Becher sich durch die eigenwillige, allen Sprachgesetzen spottende Form seiner Dichtungen zwar die Begeisterung einiger Literatenkonventikel erringt, sich damit aber auch selbst in einen Drahtzaun gegen alle Popularität einsperrt. Selbst wenn so fürchterliche Dinge in dem Buch enthalten wären, wie die Reichsanwaltschaft annimmt: wo ist das Publikum, das sich die Mühe macht, durch diese Art von Verkapselung zu dringen, wo sind die Interessenten für Hochverrat, Klassenhaß und Gotteslästerung, die sich die Zeit nehmen, die Geheimschrift zu enträtseln, um zu dem Schlüssel in das Reich der bösen, den Ordnungsstaat bedrohenden Geister zu gelangen?

Viel ernster ist die Frage, ob in künstlerischer Gestaltung oder Darbietung überhaupt jemals ein Delikt wie Hochverrat erblickt werden kann. Der Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik hat in dem Fall des Schauspielers Gärtner die Frage bejaht. Der Angeklagte hatte revolutionäre Dichtungen rezitiert. Bisher war man der Meinung, daß Hochverrat eigentlich aus massiverem Stoffe gefertigt sein müsse. Jedenfalls ist damit für die gesamte Künstlerschaft eine Gefahr akut geworden. Ein Damoklesschwert schwebt über dem Haupt jedes linksstehenden Autors, der versucht, sein politisches Denken und Fühlen zum Gegenstand der Gestaltung zu machen.

Jedes linksstehenden Künstlers! Denn man hat bisher noch nicht einmal gehört, daß der Staatsanwalt sich die literarischen Expektorationen eines dem Rechtsradikalismus angehörenden Schriftstellers vorgeknöpft hätte. Kein Prokurator der Republik hat Herrn Dinter wegen seiner Hetzromane zur Rechenschaft gezogen. Kein völkischer Versemacher, der in blutrünstigen Bürgerkriegsphantasien schwelgte, ist jemals behelligt worden. Oder wurde etwa Herrn Basil, Hitlers Hofschauspieler, irgendwann das Deklamieren gereimter Pogrommanifeste verwehrt? Immer galt für die künstlerische und geistige Produktion ein ungeschriebener Habeas-Corpus-Akt.

Soll das unter der »freiesten Verfassung der Welt« anders werden? Das alte Regime kam mit der Zensur aus. Der Rotstift des Zensors genügte, um die ärgsten Attacken auf die sittliche Weltordnung abzuschlagen; der Zuchthausschließer wurde nicht bemüht. Der wildeste Randal wurde mit Strafen auf Grund von ein paar Kautschukparagraphen geahndet, – vollendeter Hochverrat wurde nicht ein einziges Mal festgestellt.

Man muß in die Zeiten des Vormärz, bis zu Metternich zurückgehen, um ähnliche Beispiele zu finden. Ein Unterschied allerdings spricht auch da noch gegen unsere Zeit: die Metternich und Gentz waren Weltmänner von Format, feingebildete, helle Zyniker, die an den Autoren, die sie verfolgten und verboten, im Geheimen wenigstens das reinste ästhetische Vergnügen empfanden. Sogar diesen Vorzug kann man unsern modernen Ephoren leider nicht zuerkennen.

Montag Morgen, 24. August 1925


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