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Cesar Borgia oder Der Untergang des 8-Uhr-Abendlandes

Es war so und bleibt so: die Gabe der Dichtung ist ein Kainsmal und hat noch keinem Sterblichen Freude gemacht. Und besonders die Muse der Tragödie mit dem klassisch strengen Antlitz fordert einen rigorosen Dienst. Man zapft sich Herzblut ab, um Gestalten der Phantasie zu beleben. Wenn sie allerdings einmal atmen, dann werden sie alt. Weiß Gott, wann man einmal Ödipus, Ophelia und Wallenstein begräbt.

Victor Hahn hat einen Cesar Borgia geschrieben, der nun auch schon fünfzehn Jahr alt ist und damit eine stattliche Reihe von literarischen Stilmoden überlebt hat. Hat er sein Geisteskind so verschwenderisch mit Blut ausgestattet, daß es dieses immerhin stattliche Alter erreichen konnte?

Überhaupt gehört Herr Victor Hahn zu den tragisch Auserkorenen, dazu verdammt, mit dem Stigma der Dichtung durch eine feindliche, dürre, prosaische Welt zu wandern. Ohne in den privaten Schrein seiner Seele eindringen zu wollen – was wissen wir von den milden Abendröten oder dräuenden Gewitterwolken dort? – er ist in seinem äußern Leben einer der glücklichsten Staubgeborenen. Er ist einer der erfolgreichsten Journalisten, die es gibt. Er hat aus einem vom Alter gebeugten, mählich verkümmernden Blättchen eine Zeitung gemacht, die in den Abendstunden die Straße beherrscht. Was er anfaßte, hat er glücklich angefaßt und deshalb richtig. Mag er schon in der Literatur nicht übermäßig viel Raum beanspruchen, wollte jemand die Geschichte der Erfolgsmenschen unserer Tage schildern, dann dürfte sein Name nicht fehlen. Merkwürdig, daß er noch nicht darauf gekommen ist, im ersten Beiblatt seiner Zeitung sein Leben zu erzählen. Das wäre tausendmal spannender und instruktiver als die Erinnerungen an die Habsburger.

Das aber ist der problematische Knacks in dieser fortunatischen Existenz: er schreibt Tragödien! Ein Mann, der Zeitlebens in der großen Welt gestanden, der den Geschmack und Geruch so vieler Menschen und Dinge aufgenommen, der könnte mit dem bohrenden Blick des Skeptikers in Komödien voll kühl funkelnder Bosheit ein Nachrichter seiner Zeitungsgenossen werden. Er ist fern von so gehässigen Gelüsten. Was ihn lockt, das ist der Lorbeer des Tragikers Schiller, das ist seines Daseins alleinige Sehnsucht. Das idealisierende Geschichtsdrama, das aus den unreinen Bezirken des Alltags führt, in jene unirdische Sphären, wo man sich gegenseitig mit Ihr anredet und nur in Blankversen spricht, das ist sein Ziel. Er konzipiert Tragödie mit der himmlischen Gläubigkeit eines Gymnasiasten, er baut seine fünffüßigen Jamben mit der Besessenheit eines klassischen Formmeisters, kein Tasso hätte glühender in seiner Sprache geschmiedet, und das in einer Zeit, in der jeder Sekundaner mindestens mit August Stramm anfängt und Wedekind als unmodern verachtet. Welch eine absonderliche Aufgabe, welch eine romantisch umwitterte Figur, dieser Schiller-Epigone, der es eigentlich gar nicht nötig hat!

Ja, er ist, so gesehen, viel, viel interessanter und romantischer als sein Don Cesar Borgia. »Die Tragödie die Renaissance?« Ach, es ist nicht wie bei Gobineau eine Renaissance in prächtig shakespearehafter Wildheit. Es ist eine pasteurisierte Renaissance, voll Magnesiumblitzen und Theaterdonner, vorahnend für Ferdinand Bonn und Theodor Becker gedichtet. Aus der aberwitzigen Geschichte einer tollen Familie wird eine gut temperierte Haupt- und Staatsaktion, in der zwar reichlich, aber sanft gestorben wird. Nichts von den wüsten Orgien, von denen das Memorial des guten Zeremonienmeisters Burcard zu vermelden weiß. Nichts auch von Blutschande zwischen Bruder und Schwester, auch der Papa mit der Tiara auf dem greisen Lasterkopf war ja auf den Ältesten eifersüchtig – es muß überhaupt ein harmonisches Familienleben gewesen sein bei Borgias – nichts von alledem. Der zu tausend Exzessen der Phantasie reizende Stoff ist nicht einem dramatischen Wildling zugefallen, sondern einem wohlgesitteten Manne, der wohl weiß, daß der Menschheit Würde in seine Hand gegeben, und daß sie, ganz nach der Art, wie man sie anfaßt, entweder sinkt oder sich hebt, genau so wie Börsenpapiere. Und wenn schließlich Don Cesar den letzten sündigen Atemzug aushaucht und der Doktor Martinus Luther – wo kommt er plötzlich her? – sein Amen dazu sagt, dann geht man mit dem beruhigenden Gefühl, daß der Untergang dieses 8-Uhr-Abendlandes nicht definitiv, sondern daß es Gottseidank morgen wieder erscheinen wird.

Victor Hahn aber wird weiter dichten. Vielleicht gar nicht aus Ehrgeiz nach dem immergrünen Kranz. Vielleicht steckt hinter seiner schillerischen Mission nur das dunkle Gefühl, daß der Glückliche den Göttern irgendwie opfern muß, um ihren Neid nicht zu erwecken. Deshalb zeichnet er sich freiwillig das Kainsmal auf die Stirn, deshalb nimmt er die Plackerei mit dem Skandieren auf sich, was schließlich keine Kleinigkeit ist. Es gibt viele Methoden, Opfer zu bringen. Er setzt sich hin und dichtet.

Er ist dabei nicht schlecht gefahren. Ich weiß nur eines: wenn es mir einmal recht gut geht, dann werde ich auch Tragödien schreiben.

 

Die Erstaufführung im Lessing-Theater am Sonnabend gehört auf ihre Weise zu den sehenswertesten der Saison. So viel geballte Fäuste, rollende Augen, verkrampfte Mundwinkel hat man seit langem nicht gesehen. Uralte Komödianteninstinkte brachen ungehemmt hervor und kein Regisseur bemühte sich zu dämpfen, zu gliedern, den Krakehl zu dosieren. Theodor Becker, gelb, mit schwarzer Mähne, jeder Zoll ein Herodestyrann, zischte seinen Part wütend durch weitgeöffnete Nüstern. Entzückend war Herr Bonn als sündiger Papst. Ein rosiger alter Lebemann, der sein Klerikergewand kokett wie einen Weiberrock trägt. Else Heims stand wie aus einem Botticelli-Bild geschnitten anmutig in der Nähe des Souffleurkastens herum. Mehr war ihr nicht gegönnt. Manches war schlimm. Der Aufmarsch der Kardinäle wirkte in seiner Dürftigkeit wie der Demonstrationszug eines Aufwertungsvereins. Und die drei Kavaliere der Lukrezia waren nicht aus Ferrara, sondern aus Kolomea.

Montag Morgen, 14. April 1925


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