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Die Berichte über den Prozeß gegen den Wikinghelden Rehnig wegen der Erschießung des Reichsbannermannes Schulz sind gespickt mit der parenthetischen Bemerkung: Heiterkeit. Es muß demnach also ein sehr lustiger Fall sein, so als ob es sich nicht etwa um die Sühnung einer Bluttat handelte.
Bei näherem Zusehen wirkt die Sache allerdings etwas anders. Herr Landgerichtsdirektor Dust ist keiner jener Gerichtsvorsitzenden, von denen Ströme forensischer Heiterkeit ausgehen. Man kennt sie, diese jovial-humorig eingestellten Richter. Mit freundlichem Lächeln stellen sie an zappelnde Beklagte und schüchterne Zeugen listige Vexierfragen. Der Zuschauer weiß: jetzt sitzt er in den Maschen, jetzt gibts eine faule Ausrede und fühlt sich angenehm angeregt von dem heitern Jagdspiel. Und wenn der arme Teufel dann wirklich die fällige Sottise gesagt hat, dann bricht rundum die erforderliche »Heiterkeit« aus, und auch der humorige Richter schmunzelt im Vollbewußtsein seiner geistigen Superiorität. Nein, von dieser Art ist der Herr Landgerichtsdirektor Dust nicht.
Herr Dust ist kein Erreger von Lustigkeiten, sondern ihr Objekt. Nicht in seinen Fragen kichern die Lachgeisterchen, sondern in den Antworten seiner Zeugen. Nicht die Zeugen stehen begossen, sondern der Herr Vorsitzende sitzt unter einem feinen, warmen Frühlingsregen munter plätschernden Gelächters (mit respektvoller Dämpfung natürlich).
Ein Zeuge vom Reichsbanner, ein Dachdeckerlehrling z.B., vertrat die Ansicht, daß es unerhört sei, wenn »so eine Rotzneese« mit dem Revolver herumlaufe. Es entspinnt sich folgender Dialog:
Vorsitzender: Wie nannten Sie ihn?
Zeuge: Rotzneese.
Vorsitzender: Wie alt sind Sie denn? (Wer sieht hier nicht, wie sich die überlegene Geistigkeit des Vorsitzenden im Adlerflug erhebt, um dem Dachdeckerknaben die verdiente Blamage zuteil werden zu lassen?)
Zeuge: 19 Jahre, aber ich laufe ja auch nicht mit der Pistole herum.
Der Adler kommt herab. Aber nicht im verwegenen Stoß dieser königlichen Vögel, sondern wie eine bleierne Ente. Ungehemmt ergießt sich aus vielen Schleusen der Strom der Heiterkeit, doch nicht der kleine Dachdecker ist gepantscht. Dieses Jüngelchen aus dem Volk hat dem gelehrten Herrn Juristen ein wunderbares Privatissimum erteilt. Er hat den Kern des Prozesses bloßgelegt, ganz anders als Staatsanwalt und Richter, die mit ihren Erwägungen, ob Notwehr oder nicht, ihn mehr begruben als klarstellten.
Es wäre von erzieherischem Nutzen, wenn die Rotzneesen öfter das vorlaute Riechorgan in die Gerichtssäle stecken würden. Die Herren im Talar könnten davon profitieren. Es gibt nichts Erfrischenderes als dieses alte Duell zwischen Juristerei und Volkswitz.
Leider haben in diesem Prozeß die Rotzneesen nur eine Episodenrolle spielen können. Herr Dust hat die erstaunliche Anschauung bekundet, daß es keine strafbare Handlung sei, in die Luft zu schießen, daß es dagegen nicht erlaubt sei, einem drohenden Raufbold den Schießprügel fortzunehmen. Auf dieser Basis wurden Verteidigung und Gerichtshof einig. Jung-Rehnig sieht mit Vertrauen dem Revisionsverfahren entgegen.
In der Urteilsbegründung wurde ihm immerhin bescheinigt, daß er die Sympathie des Gerichts nicht genieße. Was wird sich der Wackere dafür kaufen? In der Satzung des Wiking-Bundes steht nichts davon, daß die Mitglieder sympathisch wirken sollen. Jedenfalls gehört er nicht zu denen, die an der deutschen Justiz zu verzweifeln brauchen. Er kann in der Zwischenzeit ruhig ein paar Rotzneesen mehr zur Strecke bringen. Das wird heute ebenso wenig krumm genommen wie Anno Brüsewitz.
Dennoch wird der Wiking-Mann sich sagen, daß ohne das energische Auftreten und den uneingeschüchterten Wahrheitsmut der jungen Belastungszeugen das Gericht sich sicherlich nicht einmal dazu aufgeschwungen hätte, das freisprechende Urteil mit einer milden moralischen Ohrfeige zu verschärfen. Ohne die Belehrung durch die jungen Zeugen hätte der Herr Staatsanwalt vielleicht nicht erst ein Jahr Gefängnis beantragt, sondern gleich für die Verleihung der Rettungsmedaille plaidiert.
Montag Morgen, 13. Juli 1925