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Falstaffs Prinz

Ein paar indiskrete photographische Aufnahmen zeigten neulich den englischen Thronfolger in Damenkleidern. Er hatte für eine Liebhaberaufführung, die an Bord seines Schiffes stattfand, sich die Rolle der jugendlichen Salondame ausgewählt. Gern gibt man zu, daß dieser Kavalier von fünf Weltteilen auch in Frauenkleidern gute Figur macht. Nur die Beine scheinen, so weit man sehen kann, etwas zu dünn. Diese Bilder haben einiges Aufsehen erregt, und einer der namhaftesten liberalen Publizisten Englands schrieb rügend, daß das keine Art für den Prinzen von Wales sei, sich für seinen majestätischen Beruf vorzubereiten.

Nun kann man sagen: zu schweres Geschütz für einen kleinen Scherz. Man kann auch finden, daß der bunte Weiberrock und die blonde Perücke, die der junge Herr trug, durchaus nicht komischer wirken als heute Hermelin und Purpur und der »pathetische Hut«, wie Karl Rößler die Krone so schön nannte. Außerdem beruht es auf einem moralisch fundierten Irrtum anzunehmen, daß der Prinz in jeder Lebenslage die kommende Würde zu verkörpern habe. Denn die englische Monarchie ist längst jeden feierlichen Charakters bar und in erster Linie die höchste repräsentative Spitze der vornehmen Welt. So pendelt der Prinz von Wales ständig zwischen ein paar Erdteilen, von Kanada nach Kapstadt, von dort nach Kalkutta und wieder zurück, bald als Mannequin der Oxford-Hose, bald um zu manifestieren, daß seine Dynastie heute ein mit allem Komfort der Neuzeit ausgestattetes Stück Mittelalter sei, flexibel genug, um jeden Wandel zu überdauern, stets angepaßt der letzten gesellschaftlichen Mode, so aufs beste gerüstet, auch den Wechsel der politischen Moden zu überdauern.

Das ist der große Unterschied zwischen diesen Propagandafahrten und den einstigen Reisen unserer Hohenzollern. Ob Kairo oder Jerusalem oder im mondänen Badeort, sie zogen immer wie die stolzen Sieger ein, sie kamen nie an, – sie zogen ein. Inmitten von Roß und Reisigen, Tribut in Form von Bewunderungsorgien heischend, und selbst um die weiße Flanellhose des Strandanzuges baumelte ein unsichtbarer Kavalleriesäbel. Die Hohenzollern waren immer die Barnums unter den Monarchen und führten außer ihrem sonstigen Reisegepäck zum Überfluß auch stets noch ideelles Kopfgepäck mit, einen »Gedanken«, eine mystische Überzeugung. Der englische Thronfolger jedoch reist nicht für einen Gedanken, sondern für eine Macht, die immer bereit ist, sich anzugleichen. Das heißt, der Prinz wird royalistisch sein mit vermotteten Legitimisten, er wird ernste theologische Gespräche führen mit den Bischöfen, er wird im Bürgerhause so intensiv den Charmeur spielen, als hätte er es dringend notwendig, an der Erbtochter seine Finanzen aufzufrischen. Er wird im feudalen Klub die schlaffen Mundwinkel resignierter Lasterhaftigkeit zeigen, und wenn es darauf ankommt, wer weiß, wie bald?, mit den roten Männern vom Clyde die Internationale singen. Wenn ein deutscher Prinz in einem so verfänglichen Bild festgehalten worden wäre, wie dem in Weiberkleidern, dann hätte der brave Untertan sicherlich in jäher Erleuchtung geraunzt: »Nette Bescherung! So leben die Herrschaften, und dafür zahlen wir Steuern«, und sich dabei etwas furchtbar Perverses gedacht. Auch das englische Publikum aller fünf Weltteile denkt sich vielleicht etwas Ähnliches, aber im übrigen kommt es nur zu dem Schluß, wie riesig angenehm und leger doch eigentlich der Stil der angelsächsischen Zivilisation ist, wie alles gestattet ist, wenn es nur jenes von London bis Darjeeling allein gültige Siegel trägt. Mögen ein paar puritanische Gouvernantenseelen Anstoß nehmen, auch dieses peinliche Photo ist ein Werbeplakat des Imperiums.

Shakespeare war es, der den Prinzen entdeckte, der sich in lüderlicher Gesellschaft herumsielt, um nachher ein über die Maßen weiser König zu werden. Mit der Thronbesteigung hört der Spaß nämlich auf. Der Engländer kann sich seinen König nur in einer Hosenrolle denken und würde es George V. sehr übelnehmen, wollte er zur Erhöhung der Stimmung etwa Charleys Tante spielen. Aber dem liebenswürdigen jungen Herrn wird anstandslos die magna charta des ungebundenen Lebens erteilt, um sich nach seinem Gusto für seinen späteren pathetischen Beruf zu bilden. Und ist es nicht besser so? Falstaff war ein besserer Erzieher als Hinzpeter.

Das Tage-Buch, 14. November 1925


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