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Die Leiche als Erzieher

Ein amerikanischer Staat hat eine exemplarische Strafe gefunden für Autowüteriche: wer schuldig erkannt wird, einen Menschen zu Tode gefahren zu haben, muß eine Nacht in Gesellschaft der Leiche zubringen. Das soll den Unvorsichtigen bessern.

Die amerikanischen Richter sind bekannt durch ihre Phantasie, Strafen auszuhecken. Sie haben noch etwas vom Richter im biblischen Sinne, vom Urtümlichen des Kadi. Kein Paragraphenzaun hält sie gefangen. In der Art zu untersuchen und zu richten, können sie Witz und Originalität zeigen, Scharfsinn, Improvisationsgabe, sogar Sadismus, alles Dinge, die aus unsern Gerichtssälen verbannt sind.

Aber die Sache mit der Leiche hat wahrscheinlich einen Haken. Der weise Richter, der die Pönitenz ausgeklügelt, ist romantisch infiziert; möglicherweise macht er sich Vorstellungen aus dem Gruselmärchen über das, was einem mit einem Toten passieren kann. Glaubt er wirklich, daß ein Yankee von 1925 die Nacht in der Ecke verbringen wird, käseweiß, mit gesträubtem Haar, das Gesicht der Wand zugekehrt, Gebete bibbernd? Auch unter seinen frommen Landsleuten huldigt die überwiegende Mehrheit der Ansicht, daß nur die Toten nicht wiederkehren. Vielleicht wird der Verurteilte weder beten noch zittern, sondern Zeitung lesen und auf einem Notizbuchblatt diffizile Vorberechnungen aufstellen über abzuschließende Geschäfte, denn man ist auch so selten allein, und am andern Morgen die Schreckenskammer verlassen, ein Gefühl freundlicher Dankbarkeit im Herzen, daß er nicht da liegt. Und der einzige Bestrafte ist der Tote, der zum Demonstrationsobjekt degradiert wird, zum Mittel der Exekution, wie etwa eine Handfessel oder eine Prügelbank.

Es gibt noch andere und härtere Möglichkeiten. Wie, wenn einer wirklich das Gruseln mit allen seinen perfiden Wollüsten in solcher Nacht lernen sollte und davon nachher, reich illustriert, in einem Magazin berichtete? Dann würde die angebliche Nacht des Grauens schnell last fashion werden. Es würde zum guten Ton gehören, so was mitgemacht zu haben. Man würde sich schämen, die vorschriftsmäßigen Schauergefühle noch nicht durchlebt zu haben. Namentlich die Damen, die lieben Geschöpfe, würden wie die potenzierten Ungewitter über die Chausseen sausen, im besinnungslosesten Furioso, über Mensch und Tier hinweg, in die Häuser hinein, so hypnotisiert werden sie in die Strafen hineinrasen, als ob nicht die simple Nacht in der Leichenkammer als Ahndung im Gesetz stünde, sondern Vergewaltigung durch den Scharfrichter des Gouvernements.

Oh, es kann munter werden in Amerika! Was abschrecken sollte, wird fabelhafte Attraktion erweisen. Anstatt zerknirscht, werden die Sünder mit photographischen Platten in der Tasche ihre Opfer verlassen und mit ihrer Strecke prahlen, wie passionierte Jäger.

Aber gerade dies letzte Motiv nötigt zu einer etwas gemütsrohen, aber notwendigen Sonderbetrachtung. Gibt es nicht Berufe, die den Todeserfolg brauchen, um sich zu legitimieren? Da ist der Feldherr, der sein Leben lang darüber nachsinnt, die Menschen möglichst scharenweise aus dem Leben zu jagen. Da ist endlich seine neue Konkurrenz in der Todesstrategie, der Ingenieur und der Chemiker, sie beide haben Kains schlichtem Handwerk unendlich reiche Möglichkeiten abgewonnen, sie haben die primitive Propädeutik des Tötens zu einem so kunstreichen System ausgeweitet, daß Attilas Methode zu der ihren sich etwa verhält wie eine alte Krämerbude zu einem modernen Warenhaus.

Früher überreichte man dem tapferen General einen Ehrensäbel oder eine mit den Namen von Schlachtfeldern bestickte glorreiche Bauchbinde, dem Kanonenlieferanten eine eingerahmte Photographie seines dem Vaterlande so dienlichen Geschützmodells. Wie überholt ist solche Art von Ehrung heute! Das, was die Leute geleistet haben, ihren Effekt sollen sie stets vor Augen haben. Macht ihnen ihre Zimmer zur Ruhmeshalle, tapeziert die Wände mit Photographien, wie die Toten auf den Schlachtfeldern lagen, von Projektilen zerfetzt, von Tanks zerwalzt, von giftigen Gasen zerfressen und erstickt, von Flammenwerfern verbrannt. Da haben die Helden ihren Erfolg stets summa summarum vor sich; dauernder und demonstrierender als Ehrendegen und Ehrendoktor-Briefe der medizinischen Falkultäten, sagen ihnen diese Bilder, wieweit sie die großen Kriegsfürsten vor ihnen übertrumpft haben.

Es ist ja möglich, daß den Herrschaften die Sache auf die Dauer etwas beschwerlich, etwas langweilig wird. Nicht wahr, immer dasselbe, toujours perdrix? Auch der Ruhm hat seine Lasten, daran läßt sich nichts ändern.

Und vielleicht sind die Amerikaner mit ihrem Experiment, dessen Risiko wir nicht unterschätzen, trotzdem auf der rechten Spur. Der Tod ist eine feige, versteckte, anonyme Angelegenheit geworden, ein Monopol der Beerdigungs- und Einäscherungs-Industrie. Die hält auf Diskretion. Der unschöne Anblick darf nicht stören. Kasten zu, ab, Schluß! Der Rest ist Kondolenz. Wer weiß es, ob nicht auch heute noch der Tod seine Mirakel hat wie in den Tagen der frommen Märchen? Wer weiß es, ob nicht auch heute noch Wunden aufzubrechen, anzuklagen beginnen. Wer weiß es ...


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