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Dr. Hans Luther, der Reichskanzler, ist nicht wie sein theologischer Namensvetter ein überquellendes Temperament, das Abneigungsgefühle sofort in breiten Grobheiten ausladet. Dr. Luther ist der beherrschte Mann der Geschäfte, der öffentlich gern eine überpersönliche Nüchternheit betont.
Wenn trotzdem Hans Luther am Donnerstag mit geballten Fäusten den völkischen Provokateur bedrohte und ihm unweigerlich mit einem kraftvollen Hieb in das Ebenbild Wotans gefahren wäre – Dr. Külz verhinderte das; es war dies die erste Amtshandlung des neuen Innenministers –, so muß diese Erregung des Reichskanzlers einen besonderen Grund gehabt haben. Denn selbst auf der Rechten sitzen Gegner der Politik Luthers, die stärker im Haß sind, schneidender, verletzender im Ausdruck. Wenn Luther gegen Herrn Henning die Faust erhob, so richtete sich das nicht gegen die völlig belanglose Fassade des Herrn Henning, die wirklich nicht mehr ist als billigste Stukkatur, sondern gegen die stärkste Waffe des deutschen Nationalismus ... gegen das Mundwerk. Diese Maulschelle hätte im Antlitz des rassebewußten Deputierten sicherlich einigen Staub aufgewirbelt, dennoch Empfänger war gleichgültig, der eigentliche Adressat war der chauvinische Maulheld, der national-hysterische Agitator schlechtweg, der kalten Blutes Injurien zischt, während die Jünger nachher Revolverkugeln speien. Nicht auf eine einzelne Person, auf eine ganze Richtung, deren Geschichte die Chronik des deutschen Unglücks seit Jahren ist, wäre diese Ohrfeige niedergeknallt.
Das Strafgericht ist nicht erfolgt. Herr Külz trat dazwischen und verhinderte ein Intermezzo, das, erstaunlich in seiner Art, dennoch in keiner Weise der Würde des Parlamentes Eintrag getan hätte. Diese Maulschelle hätte jubelnde Resonanz in der ganzen Welt gefunden, überall, wo redliche Patrioten mit der Chauvinistenkrapule im Streit liegen, wäre impulsiver Applaus das Echo gewesen. Niemals hätte eine Handlung, die an sich dem internationalen Sittenkodex nicht ganz entspricht, größeres Verständnis gefunden. Sie wäre gleichsam das zweite und festere Siegel unter dem Locarno-Pakt gewesen.
Zurück schweift der Blick auf Jahre innern Haders. Dr. Wirth, warum schlugen Sie immer nur mit der Faust auf den Tisch, anstatt auf einen Gegenstand, der geeigneter gewesen wäre, Ihre[m] Zorn würdige Entladung zu geben? Manches wäre vielleicht anders geworden, mancher vielleicht lebte noch ... Schließlich sind die gemordeten Republikaner alle irgendwie an ihrer guten Erziehung gestorben.
Nun, Hans Luthers Maulschelle blieb in den Handflächen stecken. Dennoch, Herr Reichskanzler, es war eine Geste, die verpflichtet. Es war eine Geste, die von nun an zu Kraft verpflichtet. Wir warten.
Montag Morgen, 1. Februar 1926