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Schutz vor der Justiz!

Die badischen Justizbehörden fahnden hinter Carl Hau, damit er noch 7 Monate absitze, die man gleichsam eisgekühlt hielt, um sie als moralische Medizin dem früheren Sträfling einzulöffeln, falls sich herausstellen sollte, daß ihn die 17 Jahre noch nicht genügend geläutert hatten. Vorher ließ man ihn einen Revers unterschreiben, innerhalb von 6 Jahren eine »gewisse Persönlichkeit« nicht anzugreifen, die in seinem Prozeß eine Rolle spielte. Man muß bis auf die Zeiten der Kabinettsjustiz und der »lettres de cachet« zurückgehen, um einen analogen Vorgang zu finden.

Die im letzten Jahr immer härter ansetzende Justizkritik beschränkte sich im allgemeinen auf rein politische Fälle. Man kämpfte um Entpolitisierung der Justiz. Das Vorgehen gegen Hau markiert ein weiteres Feld. Das politische Carzinom im Körper der Justitia hat ihre Konstitution unterhöhlt, ihre Gedankenkraft geschwächt, ihre Moralität dem Spiel der Winde preisgegeben. Es sind nicht die großen Affären allein, die das täglich grausam belegen. Von der kleinen Bizarrerie von erprobter Komödienreife bis zum bösartigen scharfkantigen Unrecht immer wieder eine neue Musterkollektion von Fehlentscheidungen. Wurde nicht kürzlich in Köln von einem Gericht das Konkubinat für strafbar erklärt? Wurde nicht jüngst in Moabit ein früherer Offizier zu 4 Monaten Gefängnis verurteilt, weil er ein paar Reichswehroffizieren homosexuellen Verkehr nachgesagt hatte? ( Acht Monate beantragte der Staatsanwalt!) Das sind Einzelfälle, die unbeachtet vorübergleiten. Zwei von vielen, vielen. Ganz zu schweigen von dem in Potsdam gedrehten Bothmer-Film, wo sich seit vierzehn Tagen ein Gerichtshof im Schweiße seines Angesichts bemüht, einer sehr durchschnittlichen Diebstahlsgeschichte zum Gaudi der gaffenden Galerie eine erotische Note abzugewinnen.

Carl Hau mußte einen Revers unterschreiben, der ihn mundtot machen sollte und seine Bemühungen um eine Wiederaufnahme seines Verfahrens beeinträchtigte. Seine literarische Produktion wurde als gegen das amtlich vorgeschriebene Wohlverhalten verstoßend empfunden. Nun, außer Hau haben noch andere Inkulpaten, die sich auf freiem Fuße befanden, ihre Freiheit schriftstellerisch ausgenutzt. Vor Jahresfrist erschienen im Hugenbergschen »Tag« auf der Sensationsseite die Erinnerungen des Kapitäns Ehrhardt, Darstellungen seiner Flucht und seiner Komplotte. Keine Justizkanzlei machte dem Herausgeber, Herrn Freksa in München, Schwierigkeiten, obgleich mit zynischer Selbstverständlichkeit dort der Hergang eines Verbrechens, eine Flucht aus dem Gefängnis, der Apparat und die Helfer, geschildert wurde. Der Staatsanwalt wahrte beneidenswerte Disziplin. Kein Kommissar erkundigte sich bei Herrn Freksa nach Ehrhardts Adresse. Auch Hitler hat ein umfangreiches Buch drucken lassen, ist sogar öffentlich als Redner aufgetreten, auch außerhalb Bayerns, ohne etwas von seinen sattsam bekannten Eigenarten aufgegeben zu haben. Hitler schreibt und agitiert fleißig mitten in seiner »Bewährungsfrist«. Auch die Herren Oberst Bauer und Oberleutnant Roßbach publizierten, ohne daß das die Behörden veranlaßt hätte, ihre vornehme Reserve zu verlassen. Hitler und Ehrhardt bedeuten ständige Bedrohung der Staatssicherheit, Putschgeister, die jedes Staatsgebäude, das nicht der Anarchie anheimfallen will, rücksichtslos ausschwefelt. Was ist Carl Hau daneben? Ein Mensch, der jenseits von Politik für die Rehabilitierung seines Namens kämpft. Und der Arm, der schlaff herunterhing, als es um Hitler, Ehrhardt und viele ihrer Sippschaft ging, er reckt sich frisch und kräftig nach dem Übeltäter. Handelt es sich nur um subalterne Taprigkeit? Man wird das peinliche Gefühl nicht los: hätte Hau seine Frist benutzt, um in einem hakenkreuzgeschmückten Bande zu demonstrieren, die Weisen von Zion hätten ihn ins Zuchthaus gebracht, um einen Vertreter der langschädeligen, arischen Edelrasse zu ruinieren, er könnte heute in Karlsruhe friedlich spazieren gehen.

»Die Art der Gnade weiß von keinem Zwang«, sagt Shakespeare. Die Art der von der badischen Justizverwaltung ausgeklügelten Gnade ist eine Unart. Man mag über Haus Schuld oder Nichtschuld denken wie man will. Wenn aber ein Mann nach 17 Zuchthausjahren, nach 17 Jahren an die Galeere geschmiedet, ungebrochen, unzermürbt, unter Überwindung aller seelischen Hemmungen plötzlich wie aus der Kanone geschossen, mitten im Tageskampfe steht und unter meisterlicher Beherrschung der modernsten journalistischen Fechtregeln die Öffentlichkeit für sich alarmiert, nun, an diesem Manne ist schon etwas. Schuldig oder nicht, das erste Gefühl vor dieser machtvollen Lebensenergie ist das einer uneingeschränkten Bewunderung. Und das empört so sehr gegen die badischen Bureaukraten: indem sie den durch erzwungene Unterschrift gebundenen Mann nach kurzer Kostprobe Freiheit von neuem auf die Galeere schicken wollen, handeln sie nicht nur juristisch höchst anfechtbar, sondern auch unmenschlich, und hier in dieser Anwendung gewinnt dieses oft gedankenlos verbrauchte Wort seine alte, natürliche Bedeutung zurück.

Täuschen wir uns aber nicht, der Sensation machende Fall Hau ist nur die aktuelle Etikettierung der längst bestehenden großen Justizkrise. Gestern Höfle, heute Hau, morgen?? Ein bösartiges, bockiges Philistertum nistet in den schwarzen Talaren. Es hieße zu eng abzirkeln, wollte man sich auf die Festnagelung der Obstruktion eines politisch reaktionären Justizbeamtentums gegen die Republik beschränken. Noch einmal reckt sich das Gespenst des Mittelalters, der peinlichen Halsgerichtsordnung, gegen den Geist des Jahrhunderts nach dem großen Krieg, gegen alle die Umwertungen dieser Zeit, seien es politische, soziale, kulturelle, sexuelle Fragen. Wann werden wir endlich die öffentliche Stumpfheit überwinden? Not tut ein Forum aller, die die Gerechtigkeit lieben, um Gericht zu halten über das Gericht. Schutz gegen die Justiz wird die Losung der nächsten Jahre sein, wie Schutz gegen den Krieg die seit 1918 war. Das Maß der Energie, das Deutschland dafür aufbringt, wird entscheidend sein für seine Zukunft, für sein Schicksal. Die Tribunale sind das Blachfeld des letzten Ringens zwischen Alt und Neu, dort wird es sich erweisen, ob wir das Zeug haben zu fühlenden Menschen und freien Bürgern oder ob wir nur noch Larven sind, wert von Larven gerichtet zu werden.

Montag Morgen, 16. November 1925


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